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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG.
ganze Dauer der Wachsthumsperiode von doppelter
Wichtigkeit.

Wir wollen nun die bei unserer reiferen Jugend üblichen
einzelnen Gattungen der Bekleidung, insoweit sie unter diesem
Gesichtspunkte in Betracht kommen, einer näheren Unter-
suchung unterwerfen.

Sowohl die männlichen wie die weiblichen Kleidungs-
stücke des Oberkörpers (Röcke, Kleider, Jacken, Westen) üben
am häufigsten dadurch einen nachtheiligen Einfluss auf die
körperliche Haltung und Bildung aus, dass sie entweder
über der Brust oder in den Armlöchern, oft zugleich
an beiden Punkten, zu eng sind.

Sind sie über der Brust zu eng, so wird dadurch natür-
lich die Athmungsbewegung behindert, die fortschreitende Aus-
bildung der Athmungsorgane also beeinträchtigt, und, bei der
hohen Wichtigkeit der Function der Brustorgane, eben da-
durch die Gesundheit und das Leben an den edelsten Wurzeln
bedroht. Nicht minder liegt darin eine mitwirkende Ursache
von Fehlern des Knochenbaues. Bedenkt man nun, dass dies
oft noch mit einer angeborenen und durch die übrigen Er-
ziehungsmaximen begünstigten Anlage zu einem schwächlichen
Körperbaue zusammentrifft, so wird man die Häufigkeit der
Eng- und Schmalbrüstigkeit, sowie des Schiefwuchses unter
unserer Jugend sehr begreiflich finden.

Sind die Kleidungsstücke in den Armlöchern zu eng, so
wird der Blutumlauf in den Armen behindert, jede Bewegung
derselben erschwert und durch das natürliche Bedürfniss, der
Reibung und dem Drucke sich zu entziehen, diese oder jene
nachtheilige Haltung und Bewegung veranlasst. Das Letztere
ist nicht minder dann der Fall, wenn die Kleider der
Mädchen so tief ausgeschnitten sind, dass sie leicht

über die Schultern herabgleiten. Das damit verbundene un-
behagliche Gefühl veranlasst ein fortwährendes ungleiches
Hoch- und Hin- und Herziehen der Schultern und wird da-
durch mit der Zeit leicht der Entstehungsgrund bleibender fal-
scher Gewohnheiten und Haltungen.

Die allergefährlichste und allgemeinste Unsitte ist der

8. — 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG.
ganze Dauer der Wachsthumsperiode von doppelter
Wichtigkeit.

Wir wollen nun die bei unserer reiferen Jugend üblichen
einzelnen Gattungen der Bekleidung, insoweit sie unter diesem
Gesichtspunkte in Betracht kommen, einer näheren Unter-
suchung unterwerfen.

Sowohl die männlichen wie die weiblichen Kleidungs-
stücke des Oberkörpers (Röcke, Kleider, Jacken, Westen) üben
am häufigsten dadurch einen nachtheiligen Einfluss auf die
körperliche Haltung und Bildung aus, dass sie entweder
über der Brust oder in den Armlöchern, oft zugleich
an beiden Punkten, zu eng sind.

Sind sie über der Brust zu eng, so wird dadurch natür-
lich die Athmungsbewegung behindert, die fortschreitende Aus-
bildung der Athmungsorgane also beeinträchtigt, und, bei der
hohen Wichtigkeit der Function der Brustorgane, eben da-
durch die Gesundheit und das Leben an den edelsten Wurzeln
bedroht. Nicht minder liegt darin eine mitwirkende Ursache
von Fehlern des Knochenbaues. Bedenkt man nun, dass dies
oft noch mit einer angeborenen und durch die übrigen Er-
ziehungsmaximen begünstigten Anlage zu einem schwächlichen
Körperbaue zusammentrifft, so wird man die Häufigkeit der
Eng- und Schmalbrüstigkeit, sowie des Schiefwuchses unter
unserer Jugend sehr begreiflich finden.

Sind die Kleidungsstücke in den Armlöchern zu eng, so
wird der Blutumlauf in den Armen behindert, jede Bewegung
derselben erschwert und durch das natürliche Bedürfniss, der
Reibung und dem Drucke sich zu entziehen, diese oder jene
nachtheilige Haltung und Bewegung veranlasst. Das Letztere
ist nicht minder dann der Fall, wenn die Kleider der
Mädchen so tief ausgeschnitten sind, dass sie leicht

über die Schultern herabgleiten. Das damit verbundene un-
behagliche Gefühl veranlasst ein fortwährendes ungleiches
Hoch- und Hin- und Herziehen der Schultern und wird da-
durch mit der Zeit leicht der Entstehungsgrund bleibender fal-
scher Gewohnheiten und Haltungen.

Die allergefährlichste und allgemeinste Unsitte ist der

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[189/0193] 8. — 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG. ganze Dauer der Wachsthumsperiode von doppelter Wichtigkeit. Wir wollen nun die bei unserer reiferen Jugend üblichen einzelnen Gattungen der Bekleidung, insoweit sie unter diesem Gesichtspunkte in Betracht kommen, einer näheren Unter- suchung unterwerfen. Sowohl die männlichen wie die weiblichen Kleidungs- stücke des Oberkörpers (Röcke, Kleider, Jacken, Westen) üben am häufigsten dadurch einen nachtheiligen Einfluss auf die körperliche Haltung und Bildung aus, dass sie entweder über der Brust oder in den Armlöchern, oft zugleich an beiden Punkten, zu eng sind. Sind sie über der Brust zu eng, so wird dadurch natür- lich die Athmungsbewegung behindert, die fortschreitende Aus- bildung der Athmungsorgane also beeinträchtigt, und, bei der hohen Wichtigkeit der Function der Brustorgane, eben da- durch die Gesundheit und das Leben an den edelsten Wurzeln bedroht. Nicht minder liegt darin eine mitwirkende Ursache von Fehlern des Knochenbaues. Bedenkt man nun, dass dies oft noch mit einer angeborenen und durch die übrigen Er- ziehungsmaximen begünstigten Anlage zu einem schwächlichen Körperbaue zusammentrifft, so wird man die Häufigkeit der Eng- und Schmalbrüstigkeit, sowie des Schiefwuchses unter unserer Jugend sehr begreiflich finden. Sind die Kleidungsstücke in den Armlöchern zu eng, so wird der Blutumlauf in den Armen behindert, jede Bewegung derselben erschwert und durch das natürliche Bedürfniss, der Reibung und dem Drucke sich zu entziehen, diese oder jene nachtheilige Haltung und Bewegung veranlasst. Das Letztere ist nicht minder dann der Fall, wenn die Kleider der Mädchen so tief ausgeschnitten sind, dass sie leicht über die Schultern herabgleiten. Das damit verbundene un- behagliche Gefühl veranlasst ein fortwährendes ungleiches Hoch- und Hin- und Herziehen der Schultern und wird da- durch mit der Zeit leicht der Entstehungsgrund bleibender fal- scher Gewohnheiten und Haltungen. Die allergefährlichste und allgemeinste Unsitte ist der

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/193>, abgerufen am 02.05.2024.