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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
und oft in überraschender Weise gerade da wo es seit lange
schon die vollste Willigkeit gezeigt hat, den Gehorsam. Die
Veranlassung dazu mag sein welche sie wolle, eine bedeuten-
dere oder an sich ganz gleichgiltige -- gleichviel, es kommt
Alles darauf an, dass der Trotz gebrochen werde, und
zwar auf der Stelle bis zur Wiedererlangung des vollen Ge-
horsams, nöthigenfalls durch fühlbare Züchtigung. So ist die
Sache in der Regel mit einem Male abgemacht, ausserdem
aber riskirt man einen ungünstigen Wendepunkt im ganzen
Benehmen des Kindes.

Hieran reiht sich die Betrachtung über Belohnungen
und Strafen. Wir gehen in Ansehung dieser beiden Punkte
am sichersten an der Hand der allgemeinen Regel: Behandle
das Kind stets genau so, wie es sein Benehmen ver-
dient.
Nur dürfen unter Benehmen nicht etwa die Handlun-
gen des Kindes verstanden werden, sondern nur die den
Handlungen zu Grunde liegenden Gesinnungen. Auf diese
nur haben wir einzuwirken. Hierin werden unglaublich viel
Verkehrtheiten begangen. Eine kindliche Handlung ohne Ge-
sinnungsfehler, die vielleicht gerade für die Aeltern etwas
Verdriessliches hat, z. B. das Zerbrechen eines Gegenstan-
des u. dgl., wird hart gerügt, anstatt es hier mit einem ruhi-
gen Verweise abgethan wäre; dagegen eine andere, die in
ihrer äusseren Bedeutung gleichgiltig ist, hinter welcher aber
ein recht ernster Gesinnungsfehler: Unwahrheit, Trotz u. s. w.,
steckt, wird unbeachtet gelassen, wohl gar nach Befinden be-
lächelt. Wenn einem Kinde geheissen ist, Etwas mit der einen
bestimmten Hand zu überreichen, es beharrt aber eigenwillig
darauf, statt dieser die andere Hand dazu zu nehmen -- was
in der Welt könnte wohl gleichgiltiger sein, als das Aeussere
dieser Handlung: der vernünftige Erzieher aber wird nicht
eher ruhen, als bis die Handlung dem Geheisse vollkommen
entsprechend ausgeführt, und der unreine Beweggrund ihr ge-
nommen ist.

Behandeln wir also das Kind immer genau so, wie es seine
Gesinnungen verdienen, die sich ja unverkennbar in seinem
ganzen Wesen abspiegeln, so werden wir, so lange diese den


2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN.
und oft in überraschender Weise gerade da wo es seit lange
schon die vollste Willigkeit gezeigt hat, den Gehorsam. Die
Veranlassung dazu mag sein welche sie wolle, eine bedeuten-
dere oder an sich ganz gleichgiltige — gleichviel, es kommt
Alles darauf an, dass der Trotz gebrochen werde, und
zwar auf der Stelle bis zur Wiedererlangung des vollen Ge-
horsams, nöthigenfalls durch fühlbare Züchtigung. So ist die
Sache in der Regel mit einem Male abgemacht, ausserdem
aber riskirt man einen ungünstigen Wendepunkt im ganzen
Benehmen des Kindes.

Hieran reiht sich die Betrachtung über Belohnungen
und Strafen. Wir gehen in Ansehung dieser beiden Punkte
am sichersten an der Hand der allgemeinen Regel: Behandle
das Kind stets genau so, wie es sein Benehmen ver-
dient.
Nur dürfen unter Benehmen nicht etwa die Handlun-
gen des Kindes verstanden werden, sondern nur die den
Handlungen zu Grunde liegenden Gesinnungen. Auf diese
nur haben wir einzuwirken. Hierin werden unglaublich viel
Verkehrtheiten begangen. Eine kindliche Handlung ohne Ge-
sinnungsfehler, die vielleicht gerade für die Aeltern etwas
Verdriessliches hat, z. B. das Zerbrechen eines Gegenstan-
des u. dgl., wird hart gerügt, anstatt es hier mit einem ruhi-
gen Verweise abgethan wäre; dagegen eine andere, die in
ihrer äusseren Bedeutung gleichgiltig ist, hinter welcher aber
ein recht ernster Gesinnungsfehler: Unwahrheit, Trotz u. s. w.,
steckt, wird unbeachtet gelassen, wohl gar nach Befinden be-
lächelt. Wenn einem Kinde geheissen ist, Etwas mit der einen
bestimmten Hand zu überreichen, es beharrt aber eigenwillig
darauf, statt dieser die andere Hand dazu zu nehmen — was
in der Welt könnte wohl gleichgiltiger sein, als das Aeussere
dieser Handlung: der vernünftige Erzieher aber wird nicht
eher ruhen, als bis die Handlung dem Geheisse vollkommen
entsprechend ausgeführt, und der unreine Beweggrund ihr ge-
nommen ist.

Behandeln wir also das Kind immer genau so, wie es seine
Gesinnungen verdienen, die sich ja unverkennbar in seinem
ganzen Wesen abspiegeln, so werden wir, so lange diese den

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[137/0141] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND MIT SEINEN ÄLTERN. und oft in überraschender Weise gerade da wo es seit lange schon die vollste Willigkeit gezeigt hat, den Gehorsam. Die Veranlassung dazu mag sein welche sie wolle, eine bedeuten- dere oder an sich ganz gleichgiltige — gleichviel, es kommt Alles darauf an, dass der Trotz gebrochen werde, und zwar auf der Stelle bis zur Wiedererlangung des vollen Ge- horsams, nöthigenfalls durch fühlbare Züchtigung. So ist die Sache in der Regel mit einem Male abgemacht, ausserdem aber riskirt man einen ungünstigen Wendepunkt im ganzen Benehmen des Kindes. Hieran reiht sich die Betrachtung über Belohnungen und Strafen. Wir gehen in Ansehung dieser beiden Punkte am sichersten an der Hand der allgemeinen Regel: Behandle das Kind stets genau so, wie es sein Benehmen ver- dient. Nur dürfen unter Benehmen nicht etwa die Handlun- gen des Kindes verstanden werden, sondern nur die den Handlungen zu Grunde liegenden Gesinnungen. Auf diese nur haben wir einzuwirken. Hierin werden unglaublich viel Verkehrtheiten begangen. Eine kindliche Handlung ohne Ge- sinnungsfehler, die vielleicht gerade für die Aeltern etwas Verdriessliches hat, z. B. das Zerbrechen eines Gegenstan- des u. dgl., wird hart gerügt, anstatt es hier mit einem ruhi- gen Verweise abgethan wäre; dagegen eine andere, die in ihrer äusseren Bedeutung gleichgiltig ist, hinter welcher aber ein recht ernster Gesinnungsfehler: Unwahrheit, Trotz u. s. w., steckt, wird unbeachtet gelassen, wohl gar nach Befinden be- lächelt. Wenn einem Kinde geheissen ist, Etwas mit der einen bestimmten Hand zu überreichen, es beharrt aber eigenwillig darauf, statt dieser die andere Hand dazu zu nehmen — was in der Welt könnte wohl gleichgiltiger sein, als das Aeussere dieser Handlung: der vernünftige Erzieher aber wird nicht eher ruhen, als bis die Handlung dem Geheisse vollkommen entsprechend ausgeführt, und der unreine Beweggrund ihr ge- nommen ist. Behandeln wir also das Kind immer genau so, wie es seine Gesinnungen verdienen, die sich ja unverkennbar in seinem ganzen Wesen abspiegeln, so werden wir, so lange diese den

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/141>, abgerufen am 06.05.2024.