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Schottel, Justus Georg: Grausame Beschreibung und Vorstellung Der Hölle Und der Höllischen Qwal . Wolfenbüttel, 1676.

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Nachdenkliche Beschreibung
rung fort erwirbet) So lange der Gewissenswurm
leben wird/ so lange wird auch wehren sein Nagen und
Plagen: Möchte man nun denken/ wie kan ein solcher
Wurm/ oder solches Wurmnagen ewig eben leben/
und unaufhörlich bleiben? Drauf dienet zur Antwort/
der Wurm stekket und kreucht herum im Gewissen/ so
lange nun das Gewissen bleibet/ so lange bleibet auch
der Wurm; des Wurms Nahrung und Auffenthalt
ist das Nagen und Abnagen in dem Gewissen/ solches
schmekket demselben wol/ gibt ihm Kraft/ und erhält ihn
bei seinem nagendgierigen Leben: Und solches Gewis-
sens Wurmes immerwehrendes Leben/ ist des Ver-
damten immerwehrender Tod ohn Ertödtung und
ohn Absterben: Tödlich-beissend naget er/ nagend-gif-
tigst beisset er/ er erwekket/ er erneuret/ er erfrischet
alle alte begangene Sünde/ bläßt Funken in den ein-
mahl verhandenen Sündenzunder/ so immer anglim-
met/ und mit feuriger Erfrischung das Sünden Ge-
dächtniß erneuet/ die grimmig-beissende Reu machet
aufqwellen/ und die ängstliche Reu Qwaal aufprod-
delen/ und das Sehnen/ Bereuen und Wünschen ver-
gebens aufsteigen/ so alles zusammen keinen anderen
Zwekk/ Wirkung und Ausgang haben und finden kan/
als daß der Wurm von neuen anfänget zu nagen/ zu
beissen/ Feur und Funken ins schmertzhafteste Ge-
dächtniß zu blasen/ und alle unsägliche Gewissensmar-
ter aufs neu anzufangen/ und dan wieder aufs neu/ und
dan noch hundert und tausendmahl aufs neu/ und dan
in alle ewige Ewigkeit aufs neu. O Mensch/ O sün-
diger Mensch/ bedenk doch dieses unaussprechliches Höl-
lisches ewiges Wesen/ diese unausdenkliche ängstlichste
Unendlichkeit/ diese unbegreifliche immerwehrende feu-
rige Gewissensqwaal!

Un-

Nachdenkliche Beſchreibung
rung fort erwirbet) So lange der Gewiſſenswurm
leben wird/ ſo lange wird auch wehren ſein Nagen und
Plagen: Moͤchte man nun denken/ wie kan ein ſolcher
Wurm/ oder ſolches Wurmnagen ewig eben leben/
und unaufhoͤrlich bleiben? Drauf dienet zur Antwort/
der Wurm ſtekket und kreucht herum im Gewiſſen/ ſo
lange nun das Gewiſſen bleibet/ ſo lange bleibet auch
der Wurm; des Wurms Nahrung und Auffenthalt
iſt das Nagen und Abnagen in dem Gewiſſen/ ſolches
ſchmekket demſelben wol/ gibt ihm Kraft/ und erhaͤlt ihn
bei ſeinem nagendgierigen Leben: Und ſolches Gewiſ-
ſens Wurmes immerwehrendes Leben/ iſt des Ver-
damten immerwehrender Tod ohn Ertoͤdtung und
ohn Abſterben: Toͤdlich-beiſſend naget er/ nagend-gif-
tigſt beiſſet er/ er erwekket/ er erneuret/ er erfriſchet
alle alte begangene Suͤnde/ blaͤßt Funken in den ein-
mahl verhandenen Suͤndenzunder/ ſo immer anglim-
met/ und mit feuriger Erfriſchung das Suͤnden Ge-
daͤchtniß erneuet/ die grimmig-beiſſende Reu machet
aufqwellen/ und die aͤngſtliche Reu Qwaal aufprod-
delen/ und das Sehnen/ Bereuen und Wuͤnſchen ver-
gebens aufſteigen/ ſo alles zuſammen keinen anderen
Zwekk/ Wirkung und Ausgang haben und finden kan/
als daß der Wurm von neuen anfaͤnget zu nagen/ zu
beiſſen/ Feur und Funken ins ſchmertzhafteſte Ge-
daͤchtniß zu blaſen/ und alle unſaͤgliche Gewiſſensmar-
ter aufs neu anzufangen/ und dan wieder aufs neu/ und
dan noch hundert und tauſendmahl aufs neu/ und dan
in alle ewige Ewigkeit aufs neu. O Menſch/ O ſuͤn-
diger Menſch/ bedenk doch dieſes unausſprechliches Hoͤl-
liſches ewiges Weſen/ dieſe unausdenkliche aͤngſtlichſte
Unendlichkeit/ dieſe unbegreifliche immerwehrende feu-
rige Gewiſſensqwaal!

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[232/0300] Nachdenkliche Beſchreibung rung fort erwirbet) So lange der Gewiſſenswurm leben wird/ ſo lange wird auch wehren ſein Nagen und Plagen: Moͤchte man nun denken/ wie kan ein ſolcher Wurm/ oder ſolches Wurmnagen ewig eben leben/ und unaufhoͤrlich bleiben? Drauf dienet zur Antwort/ der Wurm ſtekket und kreucht herum im Gewiſſen/ ſo lange nun das Gewiſſen bleibet/ ſo lange bleibet auch der Wurm; des Wurms Nahrung und Auffenthalt iſt das Nagen und Abnagen in dem Gewiſſen/ ſolches ſchmekket demſelben wol/ gibt ihm Kraft/ und erhaͤlt ihn bei ſeinem nagendgierigen Leben: Und ſolches Gewiſ- ſens Wurmes immerwehrendes Leben/ iſt des Ver- damten immerwehrender Tod ohn Ertoͤdtung und ohn Abſterben: Toͤdlich-beiſſend naget er/ nagend-gif- tigſt beiſſet er/ er erwekket/ er erneuret/ er erfriſchet alle alte begangene Suͤnde/ blaͤßt Funken in den ein- mahl verhandenen Suͤndenzunder/ ſo immer anglim- met/ und mit feuriger Erfriſchung das Suͤnden Ge- daͤchtniß erneuet/ die grimmig-beiſſende Reu machet aufqwellen/ und die aͤngſtliche Reu Qwaal aufprod- delen/ und das Sehnen/ Bereuen und Wuͤnſchen ver- gebens aufſteigen/ ſo alles zuſammen keinen anderen Zwekk/ Wirkung und Ausgang haben und finden kan/ als daß der Wurm von neuen anfaͤnget zu nagen/ zu beiſſen/ Feur und Funken ins ſchmertzhafteſte Ge- daͤchtniß zu blaſen/ und alle unſaͤgliche Gewiſſensmar- ter aufs neu anzufangen/ und dan wieder aufs neu/ und dan noch hundert und tauſendmahl aufs neu/ und dan in alle ewige Ewigkeit aufs neu. O Menſch/ O ſuͤn- diger Menſch/ bedenk doch dieſes unausſprechliches Hoͤl- liſches ewiges Weſen/ dieſe unausdenkliche aͤngſtlichſte Unendlichkeit/ dieſe unbegreifliche immerwehrende feu- rige Gewiſſensqwaal! Un-

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Zitationshilfe: Schottel, Justus Georg: Grausame Beschreibung und Vorstellung Der Hölle Und der Höllischen Qwal . Wolfenbüttel, 1676, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schottel_hoelle_1676/300>, abgerufen am 24.11.2024.