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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846.

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bleichen Stirn flossen Ströme von Schweiß über die
Wangen hinab, aus denen jede Spur von Farbe
entwichen war. Arnold konnte, trotz des Hasses,
den er diesem Manne weihen mußte, nicht umhin,
die außerordentliche Schönheit der Gesichtszüge des-
selben zu bewundern: es war das Haupt des Apolls
von Belvedere, welches vor ihm da lag; reinere,
edlere Formen hatte er nie erblickt.

Er stand lange in stummer Betrachtung und
auf eine ihm selbst unerklärliche Weise ergriffen,
neben dem Lager des Sterbenden. Eine so tiefe
Stille herrschte in dem Gemache, daß man die leisen
Athemzüge des Schlummernden am äußersten Ende
desselben hätte vernehmen können. Die unfern des
Fensters stehende Kerze flackerte, durch den Luftzug
bewegt, hin und her und erhellte bald das Gemach,
bald das Antlitz des Propheten mit einem unge-
wissen Lichte.

Endlich schlug der Sterbende die Augen wieder
auf. Sein erster Blick fiel auf den Wundarzt, der
zu Füßen des Bettes stand und ihn mit Theilnahme
betrachtete; dann suchten sie einen andern Gegenstand.

-- "Sie haben mich zu sprechen verlangt, Sir,"
nahm jetzt Arnold, welcher sein Erwachen wahrge-

III. 12

bleichen Stirn floſſen Ströme von Schweiß über die
Wangen hinab, aus denen jede Spur von Farbe
entwichen war. Arnold konnte, trotz des Haſſes,
den er dieſem Manne weihen mußte, nicht umhin,
die außerordentliche Schönheit der Geſichtszüge deſ-
ſelben zu bewundern: es war das Haupt des Apolls
von Belvedere, welches vor ihm da lag; reinere,
edlere Formen hatte er nie erblickt.

Er ſtand lange in ſtummer Betrachtung und
auf eine ihm ſelbſt unerklärliche Weiſe ergriffen,
neben dem Lager des Sterbenden. Eine ſo tiefe
Stille herrſchte in dem Gemache, daß man die leiſen
Athemzüge des Schlummernden am äußerſten Ende
deſſelben hätte vernehmen können. Die unfern des
Fenſters ſtehende Kerze flackerte, durch den Luftzug
bewegt, hin und her und erhellte bald das Gemach,
bald das Antlitz des Propheten mit einem unge-
wiſſen Lichte.

Endlich ſchlug der Sterbende die Augen wieder
auf. Sein erſter Blick fiel auf den Wundarzt, der
zu Füßen des Bettes ſtand und ihn mit Theilnahme
betrachtete; dann ſuchten ſie einen andern Gegenſtand.

— „Sie haben mich zu ſprechen verlangt, Sir,“
nahm jetzt Arnold, welcher ſein Erwachen wahrge-

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[177/0183] bleichen Stirn floſſen Ströme von Schweiß über die Wangen hinab, aus denen jede Spur von Farbe entwichen war. Arnold konnte, trotz des Haſſes, den er dieſem Manne weihen mußte, nicht umhin, die außerordentliche Schönheit der Geſichtszüge deſ- ſelben zu bewundern: es war das Haupt des Apolls von Belvedere, welches vor ihm da lag; reinere, edlere Formen hatte er nie erblickt. Er ſtand lange in ſtummer Betrachtung und auf eine ihm ſelbſt unerklärliche Weiſe ergriffen, neben dem Lager des Sterbenden. Eine ſo tiefe Stille herrſchte in dem Gemache, daß man die leiſen Athemzüge des Schlummernden am äußerſten Ende deſſelben hätte vernehmen können. Die unfern des Fenſters ſtehende Kerze flackerte, durch den Luftzug bewegt, hin und her und erhellte bald das Gemach, bald das Antlitz des Propheten mit einem unge- wiſſen Lichte. Endlich ſchlug der Sterbende die Augen wieder auf. Sein erſter Blick fiel auf den Wundarzt, der zu Füßen des Bettes ſtand und ihn mit Theilnahme betrachtete; dann ſuchten ſie einen andern Gegenſtand. — „Sie haben mich zu ſprechen verlangt, Sir,“ nahm jetzt Arnold, welcher ſein Erwachen wahrge- III. 12

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/183>, abgerufen am 22.12.2024.