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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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Jch war so glücklich, ein junges Reh zu erlegen, das
mir eine treffliche Mahlzeit gab; mein Pferd fand
reichliches Futter, wir Beide eine Quelle, um unsern
Durst zu löschen, und am nächsten Tage konnten wir
gestärkt unsere Reise fortsetzen."

-- "Der große Fluß," schloß White-hawk seine
Erzählung, "mußte noch einmal durchschwommen wer-
den, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen,
und obschon das Wasser hier viel breiter, die Strö-
mung weit schneller ist, gelangten wir doch glücklich
hinüber. Als ich aber mit meiner Beute beim Vater
anlangte, traf ich diesen, verwundet von dem Pfeil
eines tückischen Schwarzfußes, auf dem Lager im Wig-
wam liegend, und obgleich ich meiner Pflicht gegen
ihn Genüge leisten und zu seiner bessern Verpflegung
bei ihm bleiben wollte, litt er es doch nicht, sondern
sandte mich gleich wieder fort, dich aufzusuchen und
dir das Kleinod wieder zuzustellen."

Mit diesen Worten endete der Sioux seine Er-
zählung, der Arnold zugleich mit Erstaunen, Rührung
und Dankbarkeit zugehört hatte; denn würde wohl je
ein Freund in der civilisirten Welt so Viel für den
Freund, um so geringen Preis, gewagt haben? Der
Sioux aber fand das, was er gethan hatte, nur
ganz natürlich und wollte von Dank nichts hören.
Groß aber war seine Freude, als er Arnold das ge-

Jch war ſo glücklich, ein junges Reh zu erlegen, das
mir eine treffliche Mahlzeit gab; mein Pferd fand
reichliches Futter, wir Beide eine Quelle, um unſern
Durſt zu löſchen, und am nächſten Tage konnten wir
geſtärkt unſere Reiſe fortſetzen.“

— „Der große Fluß,“ ſchloß White-hawk ſeine
Erzählung, „mußte noch einmal durchſchwommen wer-
den, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen,
und obſchon das Waſſer hier viel breiter, die Strö-
mung weit ſchneller iſt, gelangten wir doch glücklich
hinüber. Als ich aber mit meiner Beute beim Vater
anlangte, traf ich dieſen, verwundet von dem Pfeil
eines tückiſchen Schwarzfußes, auf dem Lager im Wig-
wam liegend, und obgleich ich meiner Pflicht gegen
ihn Genüge leiſten und zu ſeiner beſſern Verpflegung
bei ihm bleiben wollte, litt er es doch nicht, ſondern
ſandte mich gleich wieder fort, dich aufzuſuchen und
dir das Kleinod wieder zuzuſtellen.“

Mit dieſen Worten endete der Sioux ſeine Er-
zählung, der Arnold zugleich mit Erſtaunen, Rührung
und Dankbarkeit zugehört hatte; denn würde wohl je
ein Freund in der civiliſirten Welt ſo Viel für den
Freund, um ſo geringen Preis, gewagt haben? Der
Sioux aber fand das, was er gethan hatte, nur
ganz natürlich und wollte von Dank nichts hören.
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[54/0060] Jch war ſo glücklich, ein junges Reh zu erlegen, das mir eine treffliche Mahlzeit gab; mein Pferd fand reichliches Futter, wir Beide eine Quelle, um unſern Durſt zu löſchen, und am nächſten Tage konnten wir geſtärkt unſere Reiſe fortſetzen.“ — „Der große Fluß,“ ſchloß White-hawk ſeine Erzählung, „mußte noch einmal durchſchwommen wer- den, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen, und obſchon das Waſſer hier viel breiter, die Strö- mung weit ſchneller iſt, gelangten wir doch glücklich hinüber. Als ich aber mit meiner Beute beim Vater anlangte, traf ich dieſen, verwundet von dem Pfeil eines tückiſchen Schwarzfußes, auf dem Lager im Wig- wam liegend, und obgleich ich meiner Pflicht gegen ihn Genüge leiſten und zu ſeiner beſſern Verpflegung bei ihm bleiben wollte, litt er es doch nicht, ſondern ſandte mich gleich wieder fort, dich aufzuſuchen und dir das Kleinod wieder zuzuſtellen.“ Mit dieſen Worten endete der Sioux ſeine Er- zählung, der Arnold zugleich mit Erſtaunen, Rührung und Dankbarkeit zugehört hatte; denn würde wohl je ein Freund in der civiliſirten Welt ſo Viel für den Freund, um ſo geringen Preis, gewagt haben? Der Sioux aber fand das, was er gethan hatte, nur ganz natürlich und wollte von Dank nichts hören. Groß aber war ſeine Freude, als er Arnold das ge-

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/60>, abgerufen am 22.05.2024.