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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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Es dauerte ziemlich lange, bevor ich Braun wie-
der erkannte und unser früheres Verhältniß in meiner
Erinnerung wieder auflebte. Daß ich ein Kind ge-
boren, daß ich es getödtet hatte, davon würde ich
nichts gewußt haben, wenn Braun nicht die Grau-
samkeit gehabt hätte, es mir mitzutheilen.

Es lag darin eine furchtbare, aber zugleich kluge
Berechnung, daß er es that, daß er Wunden meines
Herzens aufriß, die sonst für immer vernarbt gewe-
sen wären und deren Daseyn ich nicht einmal geahnt
hätte. Er bedurfte einer Dienerin, einer Sclavin,
einer Vertrauten, auf deren Verschwiegenheit er mit
Sicherheit rechnen konnte, und dazu ersah er mich
aus, seit mir die unglückselige Gabe der Vernunft
wieder gegeben worden war.

Die Rolle eines gottbegeisterten Propheten, die
er spielte, nachdem ihm alles Andere mißglückt war,
erheischte die größeste Discretion und Verschwiegenheit
von Seiten seiner nähern Umgebung. Nichts von alle
Dem, was sich im Jnnern des Hauses zutrug, durfte
nach Außen dringen, besonders da es um die Sitt-
lichkeit des neuen Propheten sehr schlecht stand, er
namentlich ohne Frauen nicht leben konnte, und über-
dies auch noch den Wechsel liebte.

Hieram, auf den er sich verlassen durfte, wahr-
scheinlich weil er um ein von diesem Elenden began-

Es dauerte ziemlich lange, bevor ich Braun wie-
der erkannte und unſer früheres Verhältniß in meiner
Erinnerung wieder auflebte. Daß ich ein Kind ge-
boren, daß ich es getödtet hatte, davon würde ich
nichts gewußt haben, wenn Braun nicht die Grau-
ſamkeit gehabt hätte, es mir mitzutheilen.

Es lag darin eine furchtbare, aber zugleich kluge
Berechnung, daß er es that, daß er Wunden meines
Herzens aufriß, die ſonſt für immer vernarbt gewe-
ſen wären und deren Daſeyn ich nicht einmal geahnt
hätte. Er bedurfte einer Dienerin, einer Sclavin,
einer Vertrauten, auf deren Verſchwiegenheit er mit
Sicherheit rechnen konnte, und dazu erſah er mich
aus, ſeit mir die unglückſelige Gabe der Vernunft
wieder gegeben worden war.

Die Rolle eines gottbegeiſterten Propheten, die
er ſpielte, nachdem ihm alles Andere mißglückt war,
erheiſchte die größeſte Discretion und Verſchwiegenheit
von Seiten ſeiner nähern Umgebung. Nichts von alle
Dem, was ſich im Jnnern des Hauſes zutrug, durfte
nach Außen dringen, beſonders da es um die Sitt-
lichkeit des neuen Propheten ſehr ſchlecht ſtand, er
namentlich ohne Frauen nicht leben konnte, und über-
dies auch noch den Wechſel liebte.

Hieram, auf den er ſich verlaſſen durfte, wahr-
ſcheinlich weil er um ein von dieſem Elenden began-

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[151/0157] Es dauerte ziemlich lange, bevor ich Braun wie- der erkannte und unſer früheres Verhältniß in meiner Erinnerung wieder auflebte. Daß ich ein Kind ge- boren, daß ich es getödtet hatte, davon würde ich nichts gewußt haben, wenn Braun nicht die Grau- ſamkeit gehabt hätte, es mir mitzutheilen. Es lag darin eine furchtbare, aber zugleich kluge Berechnung, daß er es that, daß er Wunden meines Herzens aufriß, die ſonſt für immer vernarbt gewe- ſen wären und deren Daſeyn ich nicht einmal geahnt hätte. Er bedurfte einer Dienerin, einer Sclavin, einer Vertrauten, auf deren Verſchwiegenheit er mit Sicherheit rechnen konnte, und dazu erſah er mich aus, ſeit mir die unglückſelige Gabe der Vernunft wieder gegeben worden war. Die Rolle eines gottbegeiſterten Propheten, die er ſpielte, nachdem ihm alles Andere mißglückt war, erheiſchte die größeſte Discretion und Verſchwiegenheit von Seiten ſeiner nähern Umgebung. Nichts von alle Dem, was ſich im Jnnern des Hauſes zutrug, durfte nach Außen dringen, beſonders da es um die Sitt- lichkeit des neuen Propheten ſehr ſchlecht ſtand, er namentlich ohne Frauen nicht leben konnte, und über- dies auch noch den Wechſel liebte. Hieram, auf den er ſich verlaſſen durfte, wahr- ſcheinlich weil er um ein von dieſem Elenden began-

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/157>, abgerufen am 24.11.2024.