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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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ich konnte die Worte des ländlichen Liedes unterschei-
den. Das Geläut der Glocken -- ein ganz neuer
Klang für mein Ohr -- die man der Heerde am
Halse befestigt hatte, damit sie sich nicht verlaufen
könnte, ließ mich errathen, daß es der Hirt sei,
der sang.

Welchen Contrast bildete dies fröhliche Lied aus
jugendlicher Brust gegen den Schmerz in der meini-
gen! Mein Auge fand durch diesen Gedanken zuerst
Thränen; sie flossen in heißen Strömen über meine
Wangen, erleichterten aber mein Herz. Das thaten
mehr noch die Worte Brauns, deren ich mich jetzt
wieder erinnerte: "sei stark, Dina, und Alles wird
noch gut werden!"

Ja, ich vertraute ihm und seiner Liebe; ach, ich
vertraute ihm mehr als ich Gott vertraute, und ich
liebte ihn auch mehr!

Die Nähe des jungen Sängers, wenn sie mich
gleich einerseits mit Furcht erfüllte, war doch auch
wieder ein Trost für mich: ich fühlte mich nicht gänz-
lich, nicht von aller Kreatur in dieser rauhen, mir
ganz fremden Gegend verlassen; ich freute mich, wenn
ich den Knaben seine Thiere anrufen, ihn mit seinem
Hunde sprechen hörte; ich wäre so gern zu ihm ge-
treten, hätte mich zu ihm in das schwellende Moos
gesetzt und vom Gipfel des Bergs hinaus in die schöne,

ich konnte die Worte des ländlichen Liedes unterſchei-
den. Das Geläut der Glocken — ein ganz neuer
Klang für mein Ohr — die man der Heerde am
Halſe befeſtigt hatte, damit ſie ſich nicht verlaufen
könnte, ließ mich errathen, daß es der Hirt ſei,
der ſang.

Welchen Contraſt bildete dies fröhliche Lied aus
jugendlicher Bruſt gegen den Schmerz in der meini-
gen! Mein Auge fand durch dieſen Gedanken zuerſt
Thränen; ſie floſſen in heißen Strömen über meine
Wangen, erleichterten aber mein Herz. Das thaten
mehr noch die Worte Brauns, deren ich mich jetzt
wieder erinnerte: „ſei ſtark, Dina, und Alles wird
noch gut werden!“

Ja, ich vertraute ihm und ſeiner Liebe; ach, ich
vertraute ihm mehr als ich Gott vertraute, und ich
liebte ihn auch mehr!

Die Nähe des jungen Sängers, wenn ſie mich
gleich einerſeits mit Furcht erfüllte, war doch auch
wieder ein Troſt für mich: ich fühlte mich nicht gänz-
lich, nicht von aller Kreatur in dieſer rauhen, mir
ganz fremden Gegend verlaſſen; ich freute mich, wenn
ich den Knaben ſeine Thiere anrufen, ihn mit ſeinem
Hunde ſprechen hörte; ich wäre ſo gern zu ihm ge-
treten, hätte mich zu ihm in das ſchwellende Moos
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[124/0130] ich konnte die Worte des ländlichen Liedes unterſchei- den. Das Geläut der Glocken — ein ganz neuer Klang für mein Ohr — die man der Heerde am Halſe befeſtigt hatte, damit ſie ſich nicht verlaufen könnte, ließ mich errathen, daß es der Hirt ſei, der ſang. Welchen Contraſt bildete dies fröhliche Lied aus jugendlicher Bruſt gegen den Schmerz in der meini- gen! Mein Auge fand durch dieſen Gedanken zuerſt Thränen; ſie floſſen in heißen Strömen über meine Wangen, erleichterten aber mein Herz. Das thaten mehr noch die Worte Brauns, deren ich mich jetzt wieder erinnerte: „ſei ſtark, Dina, und Alles wird noch gut werden!“ Ja, ich vertraute ihm und ſeiner Liebe; ach, ich vertraute ihm mehr als ich Gott vertraute, und ich liebte ihn auch mehr! Die Nähe des jungen Sängers, wenn ſie mich gleich einerſeits mit Furcht erfüllte, war doch auch wieder ein Troſt für mich: ich fühlte mich nicht gänz- lich, nicht von aller Kreatur in dieſer rauhen, mir ganz fremden Gegend verlaſſen; ich freute mich, wenn ich den Knaben ſeine Thiere anrufen, ihn mit ſeinem Hunde ſprechen hörte; ich wäre ſo gern zu ihm ge- treten, hätte mich zu ihm in das ſchwellende Moos geſetzt und vom Gipfel des Bergs hinaus in die ſchöne,

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/130>, abgerufen am 15.05.2024.