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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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allgemein, daß es nur deshalb geschähe, weil seine
Geburt seiner Mutter das Leben gekostet hatte.

Unter solchen Verhältnissen, unter solchen Leiden
darf ich wohl sagen, wuchs ich auf und was jugend-
liche Heiterkeit und Unbefangenheit heißt, habe ich
nie gekannt. Beständig mußte ich vor der üblen Laune
meines Vaters zittern, der mit dem zunehmenden Al-
ter immer finsterer, immer mehr abstoßend in seinem
Wesen wurde. Seine Beamtenstelle hatte er in Folge
häufiger Zänkereien, die er mit seinen Vorgesetzten
und Collegen gehabt, niedergelegt und sich mit einer
alten Magd, die ihn schon als Kind gewartet und die
die einzige Person war, zu der er noch Vertrauen
hatte, in ein, mitten in einem Garten belegenen, von
der Stadt ziemlich entferntes Haus zurückgezogen. Er
wollte von der Welt, von dem Treiben in derselben
nichts mehr wissen und das Erste, was er nach An-
kauf jenes isolirt liegenden Hauses that, war, daß
er den Garten rundum mit einer ziemlich hohen Mauer
umziehen ließ, so daß wir in einer Art von Burg
lebten.

Da ich, als ich heranwuchs, einigen Unterricht
haben mußte, er aber keine Lehrer zu uns in das
Haus kommen lassen wollte, unterrichtete er mich
selbst. Er besaß nicht nur bedeutende Kenntnisse in
manchen Fächern des Wissens, sondern sogar Talente,

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allgemein, daß es nur deshalb geſchähe, weil ſeine
Geburt ſeiner Mutter das Leben gekoſtet hatte.

Unter ſolchen Verhältniſſen, unter ſolchen Leiden
darf ich wohl ſagen, wuchs ich auf und was jugend-
liche Heiterkeit und Unbefangenheit heißt, habe ich
nie gekannt. Beſtändig mußte ich vor der üblen Laune
meines Vaters zittern, der mit dem zunehmenden Al-
ter immer finſterer, immer mehr abſtoßend in ſeinem
Weſen wurde. Seine Beamtenſtelle hatte er in Folge
häufiger Zänkereien, die er mit ſeinen Vorgeſetzten
und Collegen gehabt, niedergelegt und ſich mit einer
alten Magd, die ihn ſchon als Kind gewartet und die
die einzige Perſon war, zu der er noch Vertrauen
hatte, in ein, mitten in einem Garten belegenen, von
der Stadt ziemlich entferntes Haus zurückgezogen. Er
wollte von der Welt, von dem Treiben in derſelben
nichts mehr wiſſen und das Erſte, was er nach An-
kauf jenes iſolirt liegenden Hauſes that, war, daß
er den Garten rundum mit einer ziemlich hohen Mauer
umziehen ließ, ſo daß wir in einer Art von Burg
lebten.

Da ich, als ich heranwuchs, einigen Unterricht
haben mußte, er aber keine Lehrer zu uns in das
Haus kommen laſſen wollte, unterrichtete er mich
ſelbſt. Er beſaß nicht nur bedeutende Kenntniſſe in
manchen Fächern des Wiſſens, ſondern ſogar Talente,

II. 7
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[97/0103] allgemein, daß es nur deshalb geſchähe, weil ſeine Geburt ſeiner Mutter das Leben gekoſtet hatte. Unter ſolchen Verhältniſſen, unter ſolchen Leiden darf ich wohl ſagen, wuchs ich auf und was jugend- liche Heiterkeit und Unbefangenheit heißt, habe ich nie gekannt. Beſtändig mußte ich vor der üblen Laune meines Vaters zittern, der mit dem zunehmenden Al- ter immer finſterer, immer mehr abſtoßend in ſeinem Weſen wurde. Seine Beamtenſtelle hatte er in Folge häufiger Zänkereien, die er mit ſeinen Vorgeſetzten und Collegen gehabt, niedergelegt und ſich mit einer alten Magd, die ihn ſchon als Kind gewartet und die die einzige Perſon war, zu der er noch Vertrauen hatte, in ein, mitten in einem Garten belegenen, von der Stadt ziemlich entferntes Haus zurückgezogen. Er wollte von der Welt, von dem Treiben in derſelben nichts mehr wiſſen und das Erſte, was er nach An- kauf jenes iſolirt liegenden Hauſes that, war, daß er den Garten rundum mit einer ziemlich hohen Mauer umziehen ließ, ſo daß wir in einer Art von Burg lebten. Da ich, als ich heranwuchs, einigen Unterricht haben mußte, er aber keine Lehrer zu uns in das Haus kommen laſſen wollte, unterrichtete er mich ſelbſt. Er beſaß nicht nur bedeutende Kenntniſſe in manchen Fächern des Wiſſens, ſondern ſogar Talente, II. 7

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/103>, abgerufen am 15.05.2024.