spruchloser Unschuld. Die heilige Gudula, ihre Schutzheilige, legt etwas vorgebeugt die sehr schöne Hand dem jungen Fräulein auf die Schulter, ihr frommes klares Gesicht trägt den vollsten Ausdruck herzlicher Milde und Güte. Sie ist reich, aber doch einfach gekleidet, und trägt ihr Attribut in der Hand, eine Laterne, an welche ein kleines drachen- artiges Ungeheuer sich klammert; denn wie die Le- gende erzählt, pflegte Gudula, als sie noch auf Erden lebte, oft noch in später Nacht die Armen und Kranken zu besuchen, und der Teufel strebte dann oft, jedoch immer vergebens, sie auf diesen frommen Wegen zu irren, indem er wenigstens ihre Leuchte auszulöschen sich bemühte. Zur Ritterfrau lächelnd herabgebeugt, steht die heilige Christina, die reizendste Heilige die es geben kann. Wie aller- liebst die altdeutsche goldne Schneppenhaube diesem freundlichen wunderschönen Gesichtchen steht, ist eben so unbeschreiblich, als die anmuth der ganzen Gestalt. Hieher sollten unsere jungen Künstler und unsere Schauspieler wallfahrten, um an diesen beiden Bildern zu lernen, wie sie ihre
ſpruchloſer Unſchuld. Die heilige Gudula, ihre Schutzheilige, legt etwas vorgebeugt die ſehr ſchöne Hand dem jungen Fräulein auf die Schulter, ihr frommes klares Geſicht trägt den vollſten Ausdruck herzlicher Milde und Güte. Sie iſt reich, aber doch einfach gekleidet, und trägt ihr Attribut in der Hand, eine Laterne, an welche ein kleines drachen- artiges Ungeheuer ſich klammert; denn wie die Le- gende erzählt, pflegte Gudula, als ſie noch auf Erden lebte, oft noch in ſpäter Nacht die Armen und Kranken zu beſuchen, und der Teufel ſtrebte dann oft, jedoch immer vergebens, ſie auf dieſen frommen Wegen zu irren, indem er wenigſtens ihre Leuchte auszulöſchen ſich bemühte. Zur Ritterfrau lächelnd herabgebeugt, ſteht die heilige Chriſtina, die reizendſte Heilige die es geben kann. Wie aller- liebſt die altdeutſche goldne Schneppenhaube dieſem freundlichen wunderſchönen Geſichtchen ſteht, iſt eben ſo unbeſchreiblich, als die anmuth der ganzen Geſtalt. Hieher ſollten unſere jungen Künſtler und unſere Schauſpieler wallfahrten, um an dieſen beiden Bildern zu lernen, wie ſie ihre
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ſpruchloſer Unſchuld. Die heilige Gudula, ihre
Schutzheilige, legt etwas vorgebeugt die ſehr ſchöne
Hand dem jungen Fräulein auf die Schulter, ihr
frommes klares Geſicht trägt den vollſten Ausdruck
herzlicher Milde und Güte. Sie iſt reich, aber
doch einfach gekleidet, und trägt ihr Attribut in der
Hand, eine Laterne, an welche ein kleines drachen-
artiges Ungeheuer ſich klammert; denn wie die Le-
gende erzählt, pflegte Gudula, als ſie noch auf
Erden lebte, oft noch in ſpäter Nacht die Armen
und Kranken zu beſuchen, und der Teufel ſtrebte
dann oft, jedoch immer vergebens, ſie auf dieſen
frommen Wegen zu irren, indem er wenigſtens ihre
Leuchte auszulöſchen ſich bemühte. Zur Ritterfrau
lächelnd herabgebeugt, ſteht die heilige Chriſtina,
die reizendſte Heilige die es geben kann. Wie aller-
liebſt die altdeutſche goldne Schneppenhaube dieſem
freundlichen wunderſchönen Geſichtchen ſteht, iſt
eben ſo unbeſchreiblich, als die anmuth der ganzen
Geſtalt. Hieher ſollten unſere jungen Künſtler
und unſere Schauſpieler wallfahrten, um an
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/98>, abgerufen am 29.07.2024.
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