der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen auf grünem Hügel seine Schaafe hütet, achtet ihrer nicht, und auch sie ziehen an ihm vorüber, dem Orte zu, wo schon der blutige Mord der Unschuld begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre Kinder vertheidigen, andere suchen sich mit ihren Säuglingen durch schleunige Flucht zu retten. Eine von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter- thüre des Hauses, während die Krieger schon die vordere Thüre desselben erstürmen, eine andere ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche welche vor ihr im Grase liegt. Jnzwischen geht das Treiben der Menschen in der Umgegend dieses un- glücklichen Ortes seinen gewohnten Gang; eben wie in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchsten Schmerz der tiefste Friede wohnt. Die Leute erndten, säen, tragen Korn zur Mühle, fleißige Bienen schwärmen, einige Krieger die von dem blutigen Tagewerk zurückkommen, beschenken einen Armen dem sie begegnen, ein anderer Krieger steht neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles
der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen auf grünem Hügel ſeine Schaafe hütet, achtet ihrer nicht, und auch ſie ziehen an ihm vorüber, dem Orte zu, wo ſchon der blutige Mord der Unſchuld begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre Kinder vertheidigen, andere ſuchen ſich mit ihren Säuglingen durch ſchleunige Flucht zu retten. Eine von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter- thüre des Hauſes, während die Krieger ſchon die vordere Thüre deſſelben erſtürmen, eine andere ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche welche vor ihr im Graſe liegt. Jnzwiſchen geht das Treiben der Menſchen in der Umgegend dieſes un- glücklichen Ortes ſeinen gewohnten Gang; eben wie in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchſten Schmerz der tiefſte Friede wohnt. Die Leute erndten, ſäen, tragen Korn zur Mühle, fleißige Bienen ſchwärmen, einige Krieger die von dem blutigen Tagewerk zurückkommen, beſchenken einen Armen dem ſie begegnen, ein anderer Krieger ſteht neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles
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[82/0092]
der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen
auf grünem Hügel ſeine Schaafe hütet, achtet ihrer
nicht, und auch ſie ziehen an ihm vorüber, dem
Orte zu, wo ſchon der blutige Mord der Unſchuld
begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre
Kinder vertheidigen, andere ſuchen ſich mit ihren
Säuglingen durch ſchleunige Flucht zu retten. Eine
von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter-
thüre des Hauſes, während die Krieger ſchon die
vordere Thüre deſſelben erſtürmen, eine andere
ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche
welche vor ihr im Graſe liegt. Jnzwiſchen geht das
Treiben der Menſchen in der Umgegend dieſes un-
glücklichen Ortes ſeinen gewohnten Gang; eben wie
in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchſten
Schmerz der tiefſte Friede wohnt. Die Leute
erndten, ſäen, tragen Korn zur Mühle, fleißige
Bienen ſchwärmen, einige Krieger die von dem
blutigen Tagewerk zurückkommen, beſchenken einen
Armen dem ſie begegnen, ein anderer Krieger ſteht
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/92>, abgerufen am 29.07.2024.
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