schreiten; alles ist in Bewegung, doch immer fern von aller Übertreibung. Die drei Kreuze nehmen die Mitte des Bildes ein; auf der den Hintergrund bildenden Landschaft erblickt man Jerusalem und viele hin und her Wandelnde unter den Mauern der Stadt. Wunderschön ist der Kontrast zwischen dem sterbenden Heiland und den in peinlicher Qual ver- scheidenden Verbrechern ausgedrückt, nicht minder auch der zwischen diesen beiden obwaltende Unter- schied der Karaktere. Beider Sterben ist furchtbar, doch fern von gräßlicher Verzerrung, ihre Physiog- nomien gänzlich verschieden, so wie auch ihre Hal- tung im Tode.
Angeklammert an den Fuß des Kreuzes, welches den Erlöser trägt, mit dem vollen Ausdruck wilden verzweiflenden Schmerzes, halb knieend, halb aufgerichtet, blickt Magdalena zu ihm herauf, fast zürnend dem Himmel, der dieß Ungeheure geschehen läßt. Seitwärts erliegt die weinende Mutter ihrem stilleren, doch nicht minder herzzer- reißenden Schmerz. Johannes und Maria Salome unterstützen, im eignen Jammer fast vergehend, die
3 *
ſchreiten; alles iſt in Bewegung, doch immer fern von aller Übertreibung. Die drei Kreuze nehmen die Mitte des Bildes ein; auf der den Hintergrund bildenden Landſchaft erblickt man Jeruſalem und viele hin und her Wandelnde unter den Mauern der Stadt. Wunderſchön iſt der Kontraſt zwiſchen dem ſterbenden Heiland und den in peinlicher Qual ver- ſcheidenden Verbrechern ausgedrückt, nicht minder auch der zwiſchen dieſen beiden obwaltende Unter- ſchied der Karaktere. Beider Sterben iſt furchtbar, doch fern von gräßlicher Verzerrung, ihre Phyſiog- nomien gänzlich verſchieden, ſo wie auch ihre Hal- tung im Tode.
Angeklammert an den Fuß des Kreuzes, welches den Erlöſer trägt, mit dem vollen Ausdruck wilden verzweiflenden Schmerzes, halb knieend, halb aufgerichtet, blickt Magdalena zu ihm herauf, faſt zürnend dem Himmel, der dieß Ungeheure geſchehen läßt. Seitwärts erliegt die weinende Mutter ihrem ſtilleren, doch nicht minder herzzer- reißenden Schmerz. Johannes und Maria Salome unterſtützen, im eignen Jammer faſt vergehend, die
3 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0045"n="35"/>ſchreiten; alles iſt in Bewegung, doch immer fern<lb/>
von aller Übertreibung. Die drei Kreuze nehmen<lb/>
die Mitte des Bildes ein; auf der den Hintergrund<lb/>
bildenden Landſchaft erblickt man Jeruſalem und<lb/>
viele hin und her Wandelnde unter den Mauern der<lb/>
Stadt. Wunderſchön iſt der Kontraſt zwiſchen dem<lb/>ſterbenden Heiland und den in peinlicher Qual ver-<lb/>ſcheidenden Verbrechern ausgedrückt, nicht minder<lb/>
auch der zwiſchen dieſen beiden obwaltende Unter-<lb/>ſchied der Karaktere. Beider Sterben iſt furchtbar,<lb/>
doch fern von gräßlicher Verzerrung, ihre Phyſiog-<lb/>
nomien gänzlich verſchieden, ſo wie auch ihre Hal-<lb/>
tung im Tode.</p><lb/><p>Angeklammert an den Fuß des Kreuzes,<lb/>
welches den Erlöſer trägt, mit dem vollen Ausdruck<lb/>
wilden verzweiflenden Schmerzes, halb knieend,<lb/>
halb aufgerichtet, blickt Magdalena zu ihm herauf,<lb/>
faſt zürnend dem Himmel, der dieß Ungeheure<lb/>
geſchehen läßt. Seitwärts erliegt die weinende<lb/>
Mutter ihrem ſtilleren, doch nicht minder herzzer-<lb/>
reißenden Schmerz. Johannes und Maria Salome<lb/>
unterſtützen, im eignen Jammer faſt vergehend, die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3 *</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[35/0045]
ſchreiten; alles iſt in Bewegung, doch immer fern
von aller Übertreibung. Die drei Kreuze nehmen
die Mitte des Bildes ein; auf der den Hintergrund
bildenden Landſchaft erblickt man Jeruſalem und
viele hin und her Wandelnde unter den Mauern der
Stadt. Wunderſchön iſt der Kontraſt zwiſchen dem
ſterbenden Heiland und den in peinlicher Qual ver-
ſcheidenden Verbrechern ausgedrückt, nicht minder
auch der zwiſchen dieſen beiden obwaltende Unter-
ſchied der Karaktere. Beider Sterben iſt furchtbar,
doch fern von gräßlicher Verzerrung, ihre Phyſiog-
nomien gänzlich verſchieden, ſo wie auch ihre Hal-
tung im Tode.
Angeklammert an den Fuß des Kreuzes,
welches den Erlöſer trägt, mit dem vollen Ausdruck
wilden verzweiflenden Schmerzes, halb knieend,
halb aufgerichtet, blickt Magdalena zu ihm herauf,
faſt zürnend dem Himmel, der dieß Ungeheure
geſchehen läßt. Seitwärts erliegt die weinende
Mutter ihrem ſtilleren, doch nicht minder herzzer-
reißenden Schmerz. Johannes und Maria Salome
unterſtützen, im eignen Jammer faſt vergehend, die
3 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/45>, abgerufen am 06.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.