Er fühlte sich, so wie er wieder zu Hause war, von einem langsam schleichenden Übel ergriffen, welches, seine Kräfte untergrabend, ihn allmählig dem Un- tergange zuführte, und kam dadurch auf den unse- ligen Gedanken, von irgend einem Neider seines Ruhms Gift empfangen zu haben. Freilich läßt die Natur sich selten ungestraft in ihrem gewohnten Gange vorgreifen. Früchte, die früh blühten, reifen früh und fallen ab, und der Geist, der schon den neunjährigen Knaben so mächtig beseelte, mußte auch um so früher die gröberen Bande zerstören, welche ihn an die Erde fesselten. Doch dieß be- dachte Lukas von Leyden nicht, sondern quälte sich Tag und Nacht mit dem peinlichen Glauben an seine Vergiftung, von dem kein Zureden seiner Freunde ihn abzubringen vermochte.
Er lebte und kränkelte fort während einer ziemlichen Reihe von Jahren, und behielt das Schreckbild des langsam herannahenden Todes immer im Gesicht. Dabei zerstörte er durch verdoppelten Fleiß alle ihm übrig gebliebne Kraft, statt durch Ruhe für seine längere Erhaltung zu sorgen.
Er fühlte ſich, ſo wie er wieder zu Hauſe war, von einem langſam ſchleichenden Übel ergriffen, welches, ſeine Kräfte untergrabend, ihn allmählig dem Un- tergange zuführte, und kam dadurch auf den unſe- ligen Gedanken, von irgend einem Neider ſeines Ruhms Gift empfangen zu haben. Freilich läßt die Natur ſich ſelten ungeſtraft in ihrem gewohnten Gange vorgreifen. Früchte, die früh blühten, reifen früh und fallen ab, und der Geiſt, der ſchon den neunjährigen Knaben ſo mächtig beſeelte, mußte auch um ſo früher die gröberen Bande zerſtören, welche ihn an die Erde feſſelten. Doch dieß be- dachte Lukas von Leyden nicht, ſondern quälte ſich Tag und Nacht mit dem peinlichen Glauben an ſeine Vergiftung, von dem kein Zureden ſeiner Freunde ihn abzubringen vermochte.
Er lebte und kränkelte fort während einer ziemlichen Reihe von Jahren, und behielt das Schreckbild des langſam herannahenden Todes immer im Geſicht. Dabei zerſtörte er durch verdoppelten Fleiß alle ihm übrig gebliebne Kraft, ſtatt durch Ruhe für ſeine längere Erhaltung zu ſorgen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0026"n="16"/>
Er fühlte ſich, ſo wie er wieder zu Hauſe war, von<lb/>
einem langſam ſchleichenden Übel ergriffen, welches,<lb/>ſeine Kräfte untergrabend, ihn allmählig dem Un-<lb/>
tergange zuführte, und kam dadurch auf den unſe-<lb/>
ligen Gedanken, von irgend einem Neider ſeines<lb/>
Ruhms Gift empfangen zu haben. Freilich läßt die<lb/>
Natur ſich ſelten ungeſtraft in ihrem gewohnten<lb/>
Gange vorgreifen. Früchte, die früh blühten,<lb/>
reifen früh und fallen ab, und der Geiſt, der ſchon<lb/>
den neunjährigen Knaben ſo mächtig beſeelte, mußte<lb/>
auch um ſo früher die gröberen Bande zerſtören,<lb/>
welche ihn an die Erde feſſelten. Doch dieß be-<lb/>
dachte Lukas von Leyden nicht, ſondern quälte ſich<lb/>
Tag und Nacht mit dem peinlichen Glauben an ſeine<lb/>
Vergiftung, von dem kein Zureden ſeiner Freunde<lb/>
ihn abzubringen vermochte.</p><lb/><p>Er lebte und kränkelte fort während einer<lb/>
ziemlichen Reihe von Jahren, und behielt das<lb/>
Schreckbild des langſam herannahenden Todes immer<lb/>
im Geſicht. Dabei zerſtörte er durch verdoppelten<lb/>
Fleiß alle ihm übrig gebliebne Kraft, ſtatt durch<lb/>
Ruhe für ſeine längere Erhaltung zu ſorgen.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[16/0026]
Er fühlte ſich, ſo wie er wieder zu Hauſe war, von
einem langſam ſchleichenden Übel ergriffen, welches,
ſeine Kräfte untergrabend, ihn allmählig dem Un-
tergange zuführte, und kam dadurch auf den unſe-
ligen Gedanken, von irgend einem Neider ſeines
Ruhms Gift empfangen zu haben. Freilich läßt die
Natur ſich ſelten ungeſtraft in ihrem gewohnten
Gange vorgreifen. Früchte, die früh blühten,
reifen früh und fallen ab, und der Geiſt, der ſchon
den neunjährigen Knaben ſo mächtig beſeelte, mußte
auch um ſo früher die gröberen Bande zerſtören,
welche ihn an die Erde feſſelten. Doch dieß be-
dachte Lukas von Leyden nicht, ſondern quälte ſich
Tag und Nacht mit dem peinlichen Glauben an ſeine
Vergiftung, von dem kein Zureden ſeiner Freunde
ihn abzubringen vermochte.
Er lebte und kränkelte fort während einer
ziemlichen Reihe von Jahren, und behielt das
Schreckbild des langſam herannahenden Todes immer
im Geſicht. Dabei zerſtörte er durch verdoppelten
Fleiß alle ihm übrig gebliebne Kraft, ſtatt durch
Ruhe für ſeine längere Erhaltung zu ſorgen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/26>, abgerufen am 06.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.