auch das Fegefeuer abgebildet, dessen unglückliche Bewohner in Furcht, Zittern und peinlicher Quaal vor dem Namen des Lammes die Kniee beugen. Doch dieser Theil des Gemäldes war leider nicht mit Ölfarben gemalt, und da er stets offen stand, ging die Malerei darauf allmählich durch die bekannte niederländische Reinlichkeitsliebe zu Grunde; un- verständige Verbesserer versuchten den Schaden wieder gut zu machen, und so war dieser Theil des Altarbildes schon im sechzehnten Jahrhundert durch- aus verdorben, so daß nur durch Tradition seine frühere Existenz uns bekannt geworden ist.
Nie ward ein Kunstwerk höher geachtet, all- gemeiner gepriesen, als dieses Gemälde, vom Mo- ment an da es vollendet in nie gesehner Pracht den Altar schmückte. Gewöhnlich blieb es verschlossen, nur an seltnen hohen Festen ward es den Blicken des Volks Preis gegeben, ausserdem wurde es nur mäch- tigen Fürsten gezeigt, oder Reisenden, welche diese Begünstigung mit schwerem Golde erkauften.
Doch war einmal ein solcher festlicher Tag an- gebrochen, an dem die Flügel des Heiligthums sich
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auch das Fegefeuer abgebildet, deſſen unglückliche Bewohner in Furcht, Zittern und peinlicher Quaal vor dem Namen des Lammes die Kniee beugen. Doch dieſer Theil des Gemäldes war leider nicht mit Ölfarben gemalt, und da er ſtets offen ſtand, ging die Malerei darauf allmählich durch die bekannte niederländiſche Reinlichkeitsliebe zu Grunde; un- verſtändige Verbeſſerer verſuchten den Schaden wieder gut zu machen, und ſo war dieſer Theil des Altarbildes ſchon im ſechzehnten Jahrhundert durch- aus verdorben, ſo daß nur durch Tradition ſeine frühere Exiſtenz uns bekannt geworden iſt.
Nie ward ein Kunſtwerk höher geachtet, all- gemeiner geprieſen, als dieſes Gemälde, vom Mo- ment an da es vollendet in nie geſehner Pracht den Altar ſchmückte. Gewöhnlich blieb es verſchloſſen, nur an ſeltnen hohen Feſten ward es den Blicken des Volks Preis gegeben, auſſerdem wurde es nur mäch- tigen Fürſten gezeigt, oder Reiſenden, welche dieſe Begünſtigung mit ſchwerem Golde erkauften.
Doch war einmal ein ſolcher feſtlicher Tag an- gebrochen, an dem die Flügel des Heiligthums ſich
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[67/0079]
auch das Fegefeuer abgebildet, deſſen unglückliche
Bewohner in Furcht, Zittern und peinlicher Quaal
vor dem Namen des Lammes die Kniee beugen.
Doch dieſer Theil des Gemäldes war leider nicht
mit Ölfarben gemalt, und da er ſtets offen ſtand,
ging die Malerei darauf allmählich durch die bekannte
niederländiſche Reinlichkeitsliebe zu Grunde; un-
verſtändige Verbeſſerer verſuchten den Schaden
wieder gut zu machen, und ſo war dieſer Theil des
Altarbildes ſchon im ſechzehnten Jahrhundert durch-
aus verdorben, ſo daß nur durch Tradition ſeine
frühere Exiſtenz uns bekannt geworden iſt.
Nie ward ein Kunſtwerk höher geachtet, all-
gemeiner geprieſen, als dieſes Gemälde, vom Mo-
ment an da es vollendet in nie geſehner Pracht den
Altar ſchmückte. Gewöhnlich blieb es verſchloſſen,
nur an ſeltnen hohen Feſten ward es den Blicken des
Volks Preis gegeben, auſſerdem wurde es nur mäch-
tigen Fürſten gezeigt, oder Reiſenden, welche dieſe
Begünſtigung mit ſchwerem Golde erkauften.
Doch war einmal ein ſolcher feſtlicher Tag an-
gebrochen, an dem die Flügel des Heiligthums ſich
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/79>, abgerufen am 06.07.2024.
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