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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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nach vollendeten Lehrjahren antrat, besuchte er die
berühmtesten, damals lebenden Maler, nicht nur
in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden,
lernte von ihnen mit dem Fleiß, der bis ans Ende
seiner Tage ihn auszeichnete, und studirte mit beson-
derer Vorliebe die Werke Martin Schöns und Jsraels
von Mecheln.

Nach vier Jahren kehrte er heim, ausgebildet
an Leib und Geist, fromm, rein und gut, wie er
vom väterlichen Hause ausgegangen war. Seine
Probezeichnung, die er nach der Heimkehr in
Nürnberg mit der Feder zeichnete, um nach dama-
ligem Gebrauch unter die Meister aufgenommen zu
werden, erhielt wegen ihrer seltnen und vollendeten
Ausführung von allen Kunstverständigen großes Lob,
und erregte allgemeine Bewunderung, besonders
in Hinsicht auf die den Hintergrund bildende Land-
schaft. Diese Zeichnung stellte einen Orpheus dar,
dem, freilich prosaisch genug, von den wüthenden
Bachantinnen mit Knitteln übel mitgespielt wird.
Leider ist die Wahl dieses Motifs als eine sehr un-
glückliche Vorbedeutung auf seine bald darauf ge-


nach vollendeten Lehrjahren antrat, beſuchte er die
berühmteſten, damals lebenden Maler, nicht nur
in Deutſchland, ſondern auch in den Niederlanden,
lernte von ihnen mit dem Fleiß, der bis ans Ende
ſeiner Tage ihn auszeichnete, und ſtudirte mit beſon-
derer Vorliebe die Werke Martin Schöns und Jſraels
von Mecheln.

Nach vier Jahren kehrte er heim, ausgebildet
an Leib und Geiſt, fromm, rein und gut, wie er
vom väterlichen Hauſe ausgegangen war. Seine
Probezeichnung, die er nach der Heimkehr in
Nürnberg mit der Feder zeichnete, um nach dama-
ligem Gebrauch unter die Meiſter aufgenommen zu
werden, erhielt wegen ihrer ſeltnen und vollendeten
Ausführung von allen Kunſtverſtändigen großes Lob,
und erregte allgemeine Bewunderung, beſonders
in Hinſicht auf die den Hintergrund bildende Land-
ſchaft. Dieſe Zeichnung ſtellte einen Orpheus dar,
dem, freilich proſaiſch genug, von den wüthenden
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Leider iſt die Wahl dieſes Motifs als eine ſehr un-
glückliche Vorbedeutung auf ſeine bald darauf ge-

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[229/0241] nach vollendeten Lehrjahren antrat, beſuchte er die berühmteſten, damals lebenden Maler, nicht nur in Deutſchland, ſondern auch in den Niederlanden, lernte von ihnen mit dem Fleiß, der bis ans Ende ſeiner Tage ihn auszeichnete, und ſtudirte mit beſon- derer Vorliebe die Werke Martin Schöns und Jſraels von Mecheln. Nach vier Jahren kehrte er heim, ausgebildet an Leib und Geiſt, fromm, rein und gut, wie er vom väterlichen Hauſe ausgegangen war. Seine Probezeichnung, die er nach der Heimkehr in Nürnberg mit der Feder zeichnete, um nach dama- ligem Gebrauch unter die Meiſter aufgenommen zu werden, erhielt wegen ihrer ſeltnen und vollendeten Ausführung von allen Kunſtverſtändigen großes Lob, und erregte allgemeine Bewunderung, beſonders in Hinſicht auf die den Hintergrund bildende Land- ſchaft. Dieſe Zeichnung ſtellte einen Orpheus dar, dem, freilich proſaiſch genug, von den wüthenden Bachantinnen mit Knitteln übel mitgeſpielt wird. Leider iſt die Wahl dieſes Motifs als eine ſehr un- glückliche Vorbedeutung auf ſeine bald darauf ge-

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/241>, abgerufen am 28.03.2024.