Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


Mittelbild zeigt uns ebenfalls die drei Könige zu
den Füßen des göttlichen Kindes. Die Mutter sitzt
in der Vorhalle eines verfallnen edlen Gebäudes,
von Tauben umflattert, von Blumen und duftigen
Kräutern in südlicher Fülle umblüht; vor ihr die
würdigen bärtigen Gestalten der in Demuth anbeten-
den Weisen des Morgenlandes. Doch so sehr dieses
schöne Gemälde, allein gesehen, Jeden entzücken
müßte, so wird dessen Zauber dennoch von der
höheren unaussprechlichen Schönheit der beiden zu
demselben gehörenden Flügelbilder übertroffen.

Johannes der Täufer, eine sehr edle, leicht
mit Fellen bekleidete Gestalt, steht auf dem ersten
derselben, das weiche schneeweiße Lamm im Arm,
ernst vorwärts blickend, am Rande eines hell und
klar durch üppig wachsende Blumen und Kräuter
hinrieselnden Felsbaches. Man hört das Plätschern
der kleinen kristallhellen Wellen, man sieht auf dem
sandigen Grund die Fischchen zwischen bunten Kieseln
spielen. Eine schöne Lilie sproßt neben dem Heili-
gen aus dem Grase auf, und überhaupt trägt jede
Pflanze, jede Blume des Vorgrundes den eigen-


Mittelbild zeigt uns ebenfalls die drei Könige zu
den Füßen des göttlichen Kindes. Die Mutter ſitzt
in der Vorhalle eines verfallnen edlen Gebäudes,
von Tauben umflattert, von Blumen und duftigen
Kräutern in ſüdlicher Fülle umblüht; vor ihr die
würdigen bärtigen Geſtalten der in Demuth anbeten-
den Weiſen des Morgenlandes. Doch ſo ſehr dieſes
ſchöne Gemälde, allein geſehen, Jeden entzücken
müßte, ſo wird deſſen Zauber dennoch von der
höheren unausſprechlichen Schönheit der beiden zu
demſelben gehörenden Flügelbilder übertroffen.

Johannes der Täufer, eine ſehr edle, leicht
mit Fellen bekleidete Geſtalt, ſteht auf dem erſten
derſelben, das weiche ſchneeweiße Lamm im Arm,
ernſt vorwärts blickend, am Rande eines hell und
klar durch üppig wachſende Blumen und Kräuter
hinrieſelnden Felsbaches. Man hört das Plätſchern
der kleinen kriſtallhellen Wellen, man ſieht auf dem
ſandigen Grund die Fiſchchen zwiſchen bunten Kieſeln
ſpielen. Eine ſchöne Lilie ſproßt neben dem Heili-
gen aus dem Graſe auf, und überhaupt trägt jede
Pflanze, jede Blume des Vorgrundes den eigen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="183"/><lb/>
Mittelbild zeigt uns ebenfalls die drei Könige zu<lb/>
den Füßen des göttlichen Kindes. Die Mutter &#x017F;itzt<lb/>
in der Vorhalle eines verfallnen edlen Gebäudes,<lb/>
von Tauben umflattert, von Blumen und duftigen<lb/>
Kräutern in &#x017F;üdlicher Fülle umblüht; vor ihr die<lb/>
würdigen bärtigen Ge&#x017F;talten der in Demuth anbeten-<lb/>
den Wei&#x017F;en des Morgenlandes. Doch &#x017F;o &#x017F;ehr die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;chöne Gemälde, allein ge&#x017F;ehen, Jeden entzücken<lb/>
müßte, &#x017F;o wird de&#x017F;&#x017F;en Zauber dennoch von der<lb/>
höheren unaus&#x017F;prechlichen Schönheit der beiden zu<lb/>
dem&#x017F;elben gehörenden Flügelbilder übertroffen.</p><lb/>
        <p>Johannes der Täufer, eine &#x017F;ehr edle, leicht<lb/>
mit Fellen bekleidete Ge&#x017F;talt, &#x017F;teht auf dem er&#x017F;ten<lb/>
der&#x017F;elben, das weiche &#x017F;chneeweiße Lamm im Arm,<lb/>
ern&#x017F;t vorwärts blickend, am Rande eines hell und<lb/>
klar durch üppig wach&#x017F;ende Blumen und Kräuter<lb/>
hinrie&#x017F;elnden Felsbaches. Man hört das Plät&#x017F;chern<lb/>
der kleinen kri&#x017F;tallhellen Wellen, man &#x017F;ieht auf dem<lb/>
&#x017F;andigen Grund die Fi&#x017F;chchen zwi&#x017F;chen bunten Kie&#x017F;eln<lb/>
&#x017F;pielen. Eine &#x017F;chöne Lilie &#x017F;proßt neben dem Heili-<lb/>
gen aus dem Gra&#x017F;e auf, und überhaupt trägt jede<lb/>
Pflanze, jede Blume des Vorgrundes den eigen-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0195] Mittelbild zeigt uns ebenfalls die drei Könige zu den Füßen des göttlichen Kindes. Die Mutter ſitzt in der Vorhalle eines verfallnen edlen Gebäudes, von Tauben umflattert, von Blumen und duftigen Kräutern in ſüdlicher Fülle umblüht; vor ihr die würdigen bärtigen Geſtalten der in Demuth anbeten- den Weiſen des Morgenlandes. Doch ſo ſehr dieſes ſchöne Gemälde, allein geſehen, Jeden entzücken müßte, ſo wird deſſen Zauber dennoch von der höheren unausſprechlichen Schönheit der beiden zu demſelben gehörenden Flügelbilder übertroffen. Johannes der Täufer, eine ſehr edle, leicht mit Fellen bekleidete Geſtalt, ſteht auf dem erſten derſelben, das weiche ſchneeweiße Lamm im Arm, ernſt vorwärts blickend, am Rande eines hell und klar durch üppig wachſende Blumen und Kräuter hinrieſelnden Felsbaches. Man hört das Plätſchern der kleinen kriſtallhellen Wellen, man ſieht auf dem ſandigen Grund die Fiſchchen zwiſchen bunten Kieſeln ſpielen. Eine ſchöne Lilie ſproßt neben dem Heili- gen aus dem Graſe auf, und überhaupt trägt jede Pflanze, jede Blume des Vorgrundes den eigen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/195
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/195>, abgerufen am 24.11.2024.