Das sechste Bild zeigt uns den Untergang alles dieses jungen, frohen und frommen Lebens. Ritter und Jungfrauen, auf das mannichfaltigste gruppirt, in unendlicher Abwechselung der Stellun- gen, fallen, wie Blumen vor der vernichtenden Sense, unter den blutigen Waffen heidnischer Bar- baren. Hier will ein Ritter die Jungfrauen ver- theidigen, dort sinkt eine von einem Pfeil im Arm getroffen, eine andere verbirgt das Gesicht, um den Tod nicht zu sehen, dem sie doch nicht zu ent- gehen wünscht, andere erwarten oder empfangen ihn in stiller Ergebung.
Auf dem siebenten Bilde endlich, dem letzten der Seitengemälde, erblicken wir die Königstochter in Maximians Zelt; hoch und furchtlos wie ein Held, schön und fromm wie ein Engel steht sie da. Das riesenartige Ungeheuer Maximian spannt den Bogen, der Pfeil sucht sein Ziel, aber wir sehen ihn nicht fliegen, wir sehen die Heldin nicht sinken. Hemling wollte uns den Anblick des Untergangs der frommen königlichen Jungfrau ersparen, und begnügte sich,
Das ſechste Bild zeigt uns den Untergang alles dieſes jungen, frohen und frommen Lebens. Ritter und Jungfrauen, auf das mannichfaltigſte gruppirt, in unendlicher Abwechſelung der Stellun- gen, fallen, wie Blumen vor der vernichtenden Senſe, unter den blutigen Waffen heidniſcher Bar- baren. Hier will ein Ritter die Jungfrauen ver- theidigen, dort ſinkt eine von einem Pfeil im Arm getroffen, eine andere verbirgt das Geſicht, um den Tod nicht zu ſehen, dem ſie doch nicht zu ent- gehen wünſcht, andere erwarten oder empfangen ihn in ſtiller Ergebung.
Auf dem ſiebenten Bilde endlich, dem letzten der Seitengemälde, erblicken wir die Königstochter in Maximians Zelt; hoch und furchtlos wie ein Held, ſchön und fromm wie ein Engel ſteht ſie da. Das rieſenartige Ungeheuer Maximian ſpannt den Bogen, der Pfeil ſucht ſein Ziel, aber wir ſehen ihn nicht fliegen, wir ſehen die Heldin nicht ſinken. Hemling wollte uns den Anblick des Untergangs der frommen königlichen Jungfrau erſparen, und begnügte ſich,
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Das ſechste Bild zeigt uns den Untergang
alles dieſes jungen, frohen und frommen Lebens.
Ritter und Jungfrauen, auf das mannichfaltigſte
gruppirt, in unendlicher Abwechſelung der Stellun-
gen, fallen, wie Blumen vor der vernichtenden
Senſe, unter den blutigen Waffen heidniſcher Bar-
baren. Hier will ein Ritter die Jungfrauen ver-
theidigen, dort ſinkt eine von einem Pfeil im Arm
getroffen, eine andere verbirgt das Geſicht, um
den Tod nicht zu ſehen, dem ſie doch nicht zu ent-
gehen wünſcht, andere erwarten oder empfangen
ihn in ſtiller Ergebung.
Auf dem ſiebenten Bilde endlich, dem letzten
der Seitengemälde, erblicken wir die Königstochter
in Maximians Zelt; hoch und furchtlos wie ein Held,
ſchön und fromm wie ein Engel ſteht ſie da. Das
rieſenartige Ungeheuer Maximian ſpannt den Bogen,
der Pfeil ſucht ſein Ziel, aber wir ſehen ihn nicht
fliegen, wir ſehen die Heldin nicht ſinken. Hemling
wollte uns den Anblick des Untergangs der frommen
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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