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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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Bald ward es mit frohem Erstaunen anerkannt,
daß auch wir, wie die Jtaliäner, uns einer eigen-
thümlichen, ursprünglich deutschen Kunstschule
rühmen dürfen, welche Jahrhunderte lang, von
allen andern sich unterscheidend, am Nieder-Rheine
blühte, dort von den byzantinischen Fesseln sich
losriß, ohne andere Hülfe als die der Natur, kühn,
fest und ernst den Gang zum Gipfel der Voll-
kommenheit wagte, und ihn endlich unter van Eyck,
Hemling, Schoreel erreichte, wo sie in ihrer Eigen-
thümlichkeit neben dem Höchsten steht, dessen die
Welt sich rühmen darf. Diese Entdeckung ver-
danken wir vorzüglich den Gebrüdern Boisseree und
ihrem Freunde Bertram, Namen welche jeder
deutsche Kunstfreund unsrer Zeit kennt, und mit Liebe
und Dankbarkeit ausspricht. Eine Sammlung, wie
sie wohl schwerlich zum zweitenmal in der Welt zu-
sammengebracht werden könnte, ward der Lohn ihres
weder Mühe noch Kosten scheuenden Forschens; eine
Sammlung, deren Anblick schon Tausende wie mich,
auf die rührendste Weise erfreute. Bei mir mußte
neben dieser Freude auch der Wunsch rege werden,


Bald ward es mit frohem Erſtaunen anerkannt,
daß auch wir, wie die Jtaliäner, uns einer eigen-
thümlichen, urſprünglich deutſchen Kunſtſchule
rühmen dürfen, welche Jahrhunderte lang, von
allen andern ſich unterſcheidend, am Nieder-Rheine
blühte, dort von den byzantiniſchen Feſſeln ſich
losriß, ohne andere Hülfe als die der Natur, kühn,
feſt und ernſt den Gang zum Gipfel der Voll-
kommenheit wagte, und ihn endlich unter van Eyck,
Hemling, Schoreel erreichte, wo ſie in ihrer Eigen-
thümlichkeit neben dem Höchſten ſteht, deſſen die
Welt ſich rühmen darf. Dieſe Entdeckung ver-
danken wir vorzüglich den Gebrüdern Boiſſerée und
ihrem Freunde Bertram, Namen welche jeder
deutſche Kunſtfreund unſrer Zeit kennt, und mit Liebe
und Dankbarkeit ausſpricht. Eine Sammlung, wie
ſie wohl ſchwerlich zum zweitenmal in der Welt zu-
ſammengebracht werden könnte, ward der Lohn ihres
weder Mühe noch Koſten ſcheuenden Forſchens; eine
Sammlung, deren Anblick ſchon Tauſende wie mich,
auf die rührendſte Weiſe erfreute. Bei mir mußte
neben dieſer Freude auch der Wunſch rege werden,

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[4/0016] Bald ward es mit frohem Erſtaunen anerkannt, daß auch wir, wie die Jtaliäner, uns einer eigen- thümlichen, urſprünglich deutſchen Kunſtſchule rühmen dürfen, welche Jahrhunderte lang, von allen andern ſich unterſcheidend, am Nieder-Rheine blühte, dort von den byzantiniſchen Feſſeln ſich losriß, ohne andere Hülfe als die der Natur, kühn, feſt und ernſt den Gang zum Gipfel der Voll- kommenheit wagte, und ihn endlich unter van Eyck, Hemling, Schoreel erreichte, wo ſie in ihrer Eigen- thümlichkeit neben dem Höchſten ſteht, deſſen die Welt ſich rühmen darf. Dieſe Entdeckung ver- danken wir vorzüglich den Gebrüdern Boiſſerée und ihrem Freunde Bertram, Namen welche jeder deutſche Kunſtfreund unſrer Zeit kennt, und mit Liebe und Dankbarkeit ausſpricht. Eine Sammlung, wie ſie wohl ſchwerlich zum zweitenmal in der Welt zu- ſammengebracht werden könnte, ward der Lohn ihres weder Mühe noch Koſten ſcheuenden Forſchens; eine Sammlung, deren Anblick ſchon Tauſende wie mich, auf die rührendſte Weiſe erfreute. Bei mir mußte neben dieſer Freude auch der Wunſch rege werden,

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/16>, abgerufen am 29.03.2024.