Mit Erlaubniß, Herr Magister! war das der Herr Mond?
Nächtlich.
Als wir jüngst so herum gingen, und auf Stoff zu unserm Büchlein dachten: erblick- ten wir einen großen Saal. Auf der Thüre stand mit mizraimischen Lettern gemalet: Der Dichtersaal. Herr v. Haller war der Thür- hüter; allein eben, weil er des Amtes noch nicht gewohnet war, war er eingeschlummert. Wir gingen also hinein. Jn der Mitte stand ein sehr großer Tisch, und eine Drechselbank, worauf jeder Dichter sein Weltchen drechselte. Die Splitter hoben einige Kunstrichter, oder wöchentliche Tyran- nen, auf. Es ging ganz entzückt zu; einer ver- drehete die Augen; der andere wackelte mit dem Stuhle: nur Bodmer verderbete alles, was noch zu trocken war, mit seiner Sündfluth; sie ergoß sich über den ganzen Tisch, daß also alle da- von naß wurden. Jn den Winkeln waren Tisch- chen gesetzet, woran Anfänger saßen, die sich mit neuen Beywörtchen abgaben. Die Ehre war freylich klein; aber es war doch eine Ehre. Unter andern fanden wir da den menschenfreundlichen Gellert, der sich Hexameter zu machen bemühte. Allein es gelang ihm nichts besser. Jst Saul auch untern Propheten? sprach ich: Ja! ant- wortete er: was thut man nicht, um zu gefal- len? Jch trat eben auf ein Splitterchen, das vom Meßias flog, und siehe! es was nächtlich! Denn so singet der, der Offenbarungen gesehen:
"Nie-
Na
Mit Erlaubniß, Herr Magiſter! war das der Herr Mond?
Naͤchtlich.
Als wir juͤngſt ſo herum gingen, und auf Stoff zu unſerm Buͤchlein dachten: erblick- ten wir einen großen Saal. Auf der Thuͤre ſtand mit mizraimiſchen Lettern gemalet: Der Dichterſaal. Herr v. Haller war der Thuͤr- huͤter; allein eben, weil er des Amtes noch nicht gewohnet war, war er eingeſchlummert. Wir gingen alſo hinein. Jn der Mitte ſtand ein ſehr großer Tiſch, und eine Drechſelbank, worauf jeder Dichter ſein Weltchen drechſelte. Die Splitter hoben einige Kunſtrichter, oder woͤchentliche Tyran- nen, auf. Es ging ganz entzuͤckt zu; einer ver- drehete die Augen; der andere wackelte mit dem Stuhle: nur Bodmer verderbete alles, was noch zu trocken war, mit ſeiner Suͤndfluth; ſie ergoß ſich uͤber den ganzen Tiſch, daß alſo alle da- von naß wurden. Jn den Winkeln waren Tiſch- chen geſetzet, woran Anfaͤnger ſaßen, die ſich mit neuen Beywoͤrtchen abgaben. Die Ehre war freylich klein; aber es war doch eine Ehre. Unter andern fanden wir da den menſchenfreundlichen Gellert, der ſich Hexameter zu machen bemuͤhte. Allein es gelang ihm nichts beſſer. Jſt Saul auch untern Propheten? ſprach ich: Ja! ant- wortete er: was thut man nicht, um zu gefal- len? Jch trat eben auf ein Splitterchen, das vom Meßias flog, und ſiehe! es was naͤchtlich! Denn ſo ſinget der, der Offenbarungen geſehen:
“Nie-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0342"n="316"/><fwplace="top"type="header">Na</fw><lb/><p>Mit Erlaubniß, <hirendition="#fr">Herr Magiſter!</hi> war das der<lb/><hirendition="#fr">Herr Mond?</hi></p></div><lb/><divn="3"><head>Naͤchtlich.</head><p>Als wir juͤngſt ſo herum gingen, und<lb/>
auf Stoff zu unſerm <hirendition="#fr">Buͤchlein</hi> dachten: erblick-<lb/>
ten wir einen großen Saal. Auf der Thuͤre ſtand<lb/>
mit <hirendition="#fr">mizraimiſchen</hi> Lettern gemalet: <hirendition="#fr">Der<lb/>
Dichterſaal. Herr v. Haller</hi> war der Thuͤr-<lb/>
huͤter; allein eben, weil er des Amtes noch nicht<lb/>
gewohnet war, war er eingeſchlummert. Wir<lb/>
gingen alſo hinein. Jn der Mitte ſtand ein ſehr<lb/>
großer Tiſch, und eine Drechſelbank, worauf jeder<lb/>
Dichter ſein <hirendition="#fr">Weltchen</hi> drechſelte. Die Splitter<lb/>
hoben einige Kunſtrichter, oder woͤchentliche Tyran-<lb/>
nen, auf. Es ging ganz entzuͤckt zu; einer ver-<lb/>
drehete die Augen; der andere wackelte mit dem<lb/>
Stuhle: nur <hirendition="#fr">Bodmer</hi> verderbete alles, was<lb/>
noch zu trocken war, mit ſeiner <hirendition="#fr">Suͤndfluth;</hi>ſie<lb/>
ergoß ſich uͤber den ganzen Tiſch, daß alſo alle da-<lb/>
von naß wurden. Jn den Winkeln waren <hirendition="#fr">Tiſch-<lb/>
chen</hi> geſetzet, woran Anfaͤnger ſaßen, die ſich mit<lb/><hirendition="#fr">neuen Beywoͤrtchen</hi> abgaben. Die Ehre war<lb/>
freylich klein; aber es war doch eine Ehre. Unter<lb/>
andern fanden wir da den <hirendition="#fr">menſchenfreundlichen<lb/>
Gellert,</hi> der ſich <hirendition="#fr">Hexameter</hi> zu machen bemuͤhte.<lb/>
Allein es gelang ihm nichts beſſer. <hirendition="#fr">Jſt Saul<lb/>
auch untern Propheten?</hi>ſprach ich: <hirendition="#fr">Ja!</hi> ant-<lb/>
wortete er: <hirendition="#fr">was thut man nicht, um zu gefal-<lb/>
len?</hi> Jch trat eben auf ein Splitterchen, das vom<lb/><hirendition="#fr">Meßias</hi> flog, und ſiehe! es was <hirendition="#fr">naͤchtlich!</hi><lb/>
Denn ſo ſinget <hirendition="#fr">der, der Offenbarungen geſehen:</hi></p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">“Nie-</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[316/0342]
Na
Mit Erlaubniß, Herr Magiſter! war das der
Herr Mond?
Naͤchtlich. Als wir juͤngſt ſo herum gingen, und
auf Stoff zu unſerm Buͤchlein dachten: erblick-
ten wir einen großen Saal. Auf der Thuͤre ſtand
mit mizraimiſchen Lettern gemalet: Der
Dichterſaal. Herr v. Haller war der Thuͤr-
huͤter; allein eben, weil er des Amtes noch nicht
gewohnet war, war er eingeſchlummert. Wir
gingen alſo hinein. Jn der Mitte ſtand ein ſehr
großer Tiſch, und eine Drechſelbank, worauf jeder
Dichter ſein Weltchen drechſelte. Die Splitter
hoben einige Kunſtrichter, oder woͤchentliche Tyran-
nen, auf. Es ging ganz entzuͤckt zu; einer ver-
drehete die Augen; der andere wackelte mit dem
Stuhle: nur Bodmer verderbete alles, was
noch zu trocken war, mit ſeiner Suͤndfluth; ſie
ergoß ſich uͤber den ganzen Tiſch, daß alſo alle da-
von naß wurden. Jn den Winkeln waren Tiſch-
chen geſetzet, woran Anfaͤnger ſaßen, die ſich mit
neuen Beywoͤrtchen abgaben. Die Ehre war
freylich klein; aber es war doch eine Ehre. Unter
andern fanden wir da den menſchenfreundlichen
Gellert, der ſich Hexameter zu machen bemuͤhte.
Allein es gelang ihm nichts beſſer. Jſt Saul
auch untern Propheten? ſprach ich: Ja! ant-
wortete er: was thut man nicht, um zu gefal-
len? Jch trat eben auf ein Splitterchen, das vom
Meßias flog, und ſiehe! es was naͤchtlich!
Denn ſo ſinget der, der Offenbarungen geſehen:
“Nie-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/342>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.