Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

La
seiner Vorgänger verherrlichte. Die aber an We-
sen geglaubet hatten, die unerhöret waren, wur-
den gefesselt in eine noch tiefere Höhle geworfen,
bis sie ihren Fehler erkenneten. So ward z. E.
eine Muse von Tabor gesuchet; aber nicht ge-
funden; so ging es den Verehrern einer Muse
von Sinai:
sie ward gesuchet und nicht gefun-
den. Und wirklich war es nur eine abgöttische
Neuerung, indem die Menschen seit 3000 Jah-
ren her
mit neun Musen zufrieden gewesen wa-
ren. Man sah auch wohl, daß sie den neuen
Propheten
nicht immer beygestanden hatten: und
ich hörte ganz vernehmlich diese geistige Wesen la-
chen, wenn unsere heilige und lustige Männer vor
der Höhle die schönsten Stellen ihrer Gesänge her-
sagen mußten, ehe sie eingelassen wurden. Es
kam uns vor, als wären wir der Pförtner: zum
wenigsten wird man es uns erlauben, im Traume
zu seyn. Kaum hatten wir uns gesetzet, unser
Pförtneramt zu beobachten: so kam ein kleines
Männchen; er hüpfte; er sprang und wackelte,
wie das Möpschen mit dem Schwanze wackelte,
das er unter dem linken Arme trug; da der rechte
mit einem Seherohre gerüstet war. Er sah nach
den Sternen, und sah lauter Mägdchen; Er fing
an zu singen, und sang lauter Mägdchen; er fing
an zu schaffen, und schuf lauter Mägdchen: er
liebte nichts als Schönen:

Er liebte die Helenen,
Die Hannchen und die Fiekchen,
Die Lieschen und die Miekchen.
Kurz!
S 5

La
ſeiner Vorgaͤnger verherrlichte. Die aber an We-
ſen geglaubet hatten, die unerhoͤret waren, wur-
den gefeſſelt in eine noch tiefere Hoͤhle geworfen,
bis ſie ihren Fehler erkenneten. So ward z. E.
eine Muſe von Tabor geſuchet; aber nicht ge-
funden; ſo ging es den Verehrern einer Muſe
von Sinai:
ſie ward geſuchet und nicht gefun-
den. Und wirklich war es nur eine abgoͤttiſche
Neuerung, indem die Menſchen ſeit 3000 Jah-
ren her
mit neun Muſen zufrieden geweſen wa-
ren. Man ſah auch wohl, daß ſie den neuen
Propheten
nicht immer beygeſtanden hatten: und
ich hoͤrte ganz vernehmlich dieſe geiſtige Weſen la-
chen, wenn unſere heilige und luſtige Maͤnner vor
der Hoͤhle die ſchoͤnſten Stellen ihrer Geſaͤnge her-
ſagen mußten, ehe ſie eingelaſſen wurden. Es
kam uns vor, als waͤren wir der Pfoͤrtner: zum
wenigſten wird man es uns erlauben, im Traume
zu ſeyn. Kaum hatten wir uns geſetzet, unſer
Pfoͤrtneramt zu beobachten: ſo kam ein kleines
Maͤnnchen; er huͤpfte; er ſprang und wackelte,
wie das Moͤpschen mit dem Schwanze wackelte,
das er unter dem linken Arme trug; da der rechte
mit einem Seherohre geruͤſtet war. Er ſah nach
den Sternen, und ſah lauter Maͤgdchen; Er fing
an zu ſingen, und ſang lauter Maͤgdchen; er fing
an zu ſchaffen, und ſchuf lauter Maͤgdchen: er
liebte nichts als Schoͤnen:

Er liebte die Helenen,
Die Hannchen und die Fiekchen,
Die Lieschen und die Miekchen.
Kurz!
S 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0307" n="281"/><fw place="top" type="header">La</fw><lb/>
&#x017F;einer Vorga&#x0364;nger verherrlichte. Die aber an We-<lb/>
&#x017F;en geglaubet hatten, die unerho&#x0364;ret waren, wur-<lb/>
den gefe&#x017F;&#x017F;elt in eine noch <hi rendition="#fr">tiefere Ho&#x0364;hle</hi> geworfen,<lb/>
bis &#x017F;ie ihren Fehler erkenneten. So ward z. E.<lb/>
eine <hi rendition="#fr">Mu&#x017F;e von Tabor</hi> ge&#x017F;uchet; aber nicht ge-<lb/>
funden; &#x017F;o ging es den Verehrern einer <hi rendition="#fr">Mu&#x017F;e<lb/>
von Sinai:</hi> &#x017F;ie ward ge&#x017F;uchet und nicht gefun-<lb/>
den. Und wirklich war es nur eine abgo&#x0364;tti&#x017F;che<lb/>
Neuerung, indem die Men&#x017F;chen &#x017F;eit 3000 <hi rendition="#fr">Jah-<lb/>
ren her</hi> mit <hi rendition="#fr">neun Mu&#x017F;en</hi> zufrieden gewe&#x017F;en wa-<lb/>
ren. Man &#x017F;ah auch wohl, daß &#x017F;ie den <hi rendition="#fr">neuen<lb/>
Propheten</hi> nicht immer beyge&#x017F;tanden hatten: und<lb/>
ich ho&#x0364;rte ganz vernehmlich die&#x017F;e gei&#x017F;tige We&#x017F;en la-<lb/>
chen, wenn un&#x017F;ere <hi rendition="#fr">heilige</hi> und <hi rendition="#fr">lu&#x017F;tige</hi> Ma&#x0364;nner vor<lb/>
der <hi rendition="#fr">Ho&#x0364;hle</hi> die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Stellen ihrer Ge&#x017F;a&#x0364;nge her-<lb/>
&#x017F;agen mußten, ehe &#x017F;ie eingela&#x017F;&#x017F;en wurden. Es<lb/>
kam uns vor, als wa&#x0364;ren wir der <hi rendition="#fr">Pfo&#x0364;rtner:</hi> zum<lb/>
wenig&#x017F;ten wird man es uns erlauben, im Traume<lb/>
zu &#x017F;eyn. Kaum hatten wir uns ge&#x017F;etzet, un&#x017F;er<lb/><hi rendition="#fr">Pfo&#x0364;rtneramt</hi> zu beobachten: &#x017F;o kam ein kleines<lb/>
Ma&#x0364;nnchen; er hu&#x0364;pfte; er &#x017F;prang und wackelte,<lb/>
wie das <hi rendition="#fr">Mo&#x0364;pschen</hi> mit dem Schwanze wackelte,<lb/>
das er unter dem <hi rendition="#fr">linken</hi> Arme trug; da der <hi rendition="#fr">rechte</hi><lb/>
mit einem <hi rendition="#fr">Seherohre</hi> geru&#x0364;&#x017F;tet war. Er &#x017F;ah nach<lb/>
den Sternen, und &#x017F;ah lauter Ma&#x0364;gdchen; Er fing<lb/>
an zu &#x017F;ingen, und &#x017F;ang lauter Ma&#x0364;gdchen; er fing<lb/>
an zu &#x017F;chaffen, und &#x017F;chuf lauter Ma&#x0364;gdchen: er<lb/>
liebte nichts als Scho&#x0364;nen:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Er liebte die <hi rendition="#fr">Helenen,</hi></l><lb/>
              <l>Die <hi rendition="#fr">Hannchen</hi> und die <hi rendition="#fr">Fiekchen,</hi></l><lb/>
              <l>Die <hi rendition="#fr">Lieschen</hi> und die <hi rendition="#fr">Miekchen.</hi></l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">S 5</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Kurz!</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0307] La ſeiner Vorgaͤnger verherrlichte. Die aber an We- ſen geglaubet hatten, die unerhoͤret waren, wur- den gefeſſelt in eine noch tiefere Hoͤhle geworfen, bis ſie ihren Fehler erkenneten. So ward z. E. eine Muſe von Tabor geſuchet; aber nicht ge- funden; ſo ging es den Verehrern einer Muſe von Sinai: ſie ward geſuchet und nicht gefun- den. Und wirklich war es nur eine abgoͤttiſche Neuerung, indem die Menſchen ſeit 3000 Jah- ren her mit neun Muſen zufrieden geweſen wa- ren. Man ſah auch wohl, daß ſie den neuen Propheten nicht immer beygeſtanden hatten: und ich hoͤrte ganz vernehmlich dieſe geiſtige Weſen la- chen, wenn unſere heilige und luſtige Maͤnner vor der Hoͤhle die ſchoͤnſten Stellen ihrer Geſaͤnge her- ſagen mußten, ehe ſie eingelaſſen wurden. Es kam uns vor, als waͤren wir der Pfoͤrtner: zum wenigſten wird man es uns erlauben, im Traume zu ſeyn. Kaum hatten wir uns geſetzet, unſer Pfoͤrtneramt zu beobachten: ſo kam ein kleines Maͤnnchen; er huͤpfte; er ſprang und wackelte, wie das Moͤpschen mit dem Schwanze wackelte, das er unter dem linken Arme trug; da der rechte mit einem Seherohre geruͤſtet war. Er ſah nach den Sternen, und ſah lauter Maͤgdchen; Er fing an zu ſingen, und ſang lauter Maͤgdchen; er fing an zu ſchaffen, und ſchuf lauter Maͤgdchen: er liebte nichts als Schoͤnen: Er liebte die Helenen, Die Hannchen und die Fiekchen, Die Lieschen und die Miekchen. Kurz! S 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/307
Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/307>, abgerufen am 23.11.2024.