Schnitzler, Arthur: Traumnovelle. Berlin, 1926.eben vom Mikroskop entfernend, wie Fridolin beinahe erwartet, sein alter Studienkollege, der Assistent des Institutes, Doktor Adler, sich von seinem Stuhl erhob. "Oh, lieber Kollege," begrüßte ihn Doktor Adler immer noch etwas unwillig, aber zugleich verwundert, "was verschafft mir die Ehre zu so ungewohnter Stunde?" "Entschuldige die Störung", sagte Fridolin. "Du bist gerade mitten in der Arbeit." "Allerdings", erwiderte Adler in dem scharfen Ton, der ihm noch von seiner Burschenzeit eigen war. Und leichter fügte er hinzu: "Was sollte man in diesen heiligen Hallen sonst um Mitternacht zu schaffen haben? Aber du störst mich natürlich nicht im geringsten. Womit kann ich dienen?" Und da Fridolin nicht gleich antwortete: "Der Addison, den ihr uns heute heruntergeliefert habt, liegt noch in holder Unberührtheit da drüben. Sektion morgen früh acht Uhr dreißig." Und auf eine verneinende Bewegung Fridolins: "Ah so - der Pleuratumor! Nun - die histologische Untersuchung hat unwiderleglich Sarkom ergeben. Darüber braucht ihr euch also auch keine grauen Haare wachsen zu lassen." Fridolin schüttelte wieder den Kopf. "Es handelt sich um keine - dienstliche Angelegenheit." eben vom Mikroskop entfernend, wie Fridolin beinahe erwartet, sein alter Studienkollege, der Assistent des Institutes, Doktor Adler, sich von seinem Stuhl erhob. „Oh, lieber Kollege,“ begrüßte ihn Doktor Adler immer noch etwas unwillig, aber zugleich verwundert, „was verschafft mir die Ehre zu so ungewohnter Stunde?“ „Entschuldige die Störung“, sagte Fridolin. „Du bist gerade mitten in der Arbeit.“ „Allerdings“, erwiderte Adler in dem scharfen Ton, der ihm noch von seiner Burschenzeit eigen war. Und leichter fügte er hinzu: „Was sollte man in diesen heiligen Hallen sonst um Mitternacht zu schaffen haben? Aber du störst mich natürlich nicht im geringsten. Womit kann ich dienen?“ Und da Fridolin nicht gleich antwortete: „Der Addison, den ihr uns heute heruntergeliefert habt, liegt noch in holder Unberührtheit da drüben. Sektion morgen früh acht Uhr dreißig.“ Und auf eine verneinende Bewegung Fridolins: „Ah so – der Pleuratumor! Nun – die histologische Untersuchung hat unwiderleglich Sarkom ergeben. Darüber braucht ihr euch also auch keine grauen Haare wachsen zu lassen.“ Fridolin schüttelte wieder den Kopf. „Es handelt sich um keine – dienstliche Angelegenheit.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0126" n="124"/> eben vom Mikroskop entfernend, wie Fridolin beinahe erwartet, sein alter Studienkollege, der Assistent des Institutes, Doktor Adler, sich von seinem Stuhl erhob.</p> <p>„Oh, lieber Kollege,“ begrüßte ihn Doktor Adler immer noch etwas unwillig, aber zugleich verwundert, „was verschafft mir die Ehre zu so ungewohnter Stunde?“</p> <p>„Entschuldige die Störung“, sagte Fridolin. „Du bist gerade mitten in der Arbeit.“</p> <p>„Allerdings“, erwiderte Adler in dem scharfen Ton, der ihm noch von seiner Burschenzeit eigen war. Und leichter fügte er hinzu: „Was sollte man in diesen heiligen Hallen sonst um Mitternacht zu schaffen haben? Aber du störst mich natürlich nicht im geringsten. Womit kann ich dienen?“</p> <p>Und da Fridolin nicht gleich antwortete: „Der Addison, den ihr uns heute heruntergeliefert habt, liegt noch in holder Unberührtheit da drüben. Sektion morgen früh acht Uhr dreißig.“</p> <p>Und auf eine verneinende Bewegung Fridolins: „Ah so – der Pleuratumor! Nun – die histologische Untersuchung hat unwiderleglich Sarkom ergeben. Darüber braucht ihr euch also auch keine grauen Haare wachsen zu lassen.“</p> <p>Fridolin schüttelte wieder den Kopf. „Es handelt sich um keine – dienstliche Angelegenheit.“</p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0126]
eben vom Mikroskop entfernend, wie Fridolin beinahe erwartet, sein alter Studienkollege, der Assistent des Institutes, Doktor Adler, sich von seinem Stuhl erhob.
„Oh, lieber Kollege,“ begrüßte ihn Doktor Adler immer noch etwas unwillig, aber zugleich verwundert, „was verschafft mir die Ehre zu so ungewohnter Stunde?“
„Entschuldige die Störung“, sagte Fridolin. „Du bist gerade mitten in der Arbeit.“
„Allerdings“, erwiderte Adler in dem scharfen Ton, der ihm noch von seiner Burschenzeit eigen war. Und leichter fügte er hinzu: „Was sollte man in diesen heiligen Hallen sonst um Mitternacht zu schaffen haben? Aber du störst mich natürlich nicht im geringsten. Womit kann ich dienen?“
Und da Fridolin nicht gleich antwortete: „Der Addison, den ihr uns heute heruntergeliefert habt, liegt noch in holder Unberührtheit da drüben. Sektion morgen früh acht Uhr dreißig.“
Und auf eine verneinende Bewegung Fridolins: „Ah so – der Pleuratumor! Nun – die histologische Untersuchung hat unwiderleglich Sarkom ergeben. Darüber braucht ihr euch also auch keine grauen Haare wachsen zu lassen.“
Fridolin schüttelte wieder den Kopf. „Es handelt sich um keine – dienstliche Angelegenheit.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |