Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893. Anatol. Ich bitte ... man muß sich nur vorstellen, wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja selbst nicht, daß wir uns einmal so wahnsinnig lieben würden. Die ersten Tage betrachteten wir Beide die ganze Geschichte als etwas Vorübergehendes. Wer weiß ... Max. Wer weiß ...? Anatol. Wer weiß, ob sie nicht mich erst zu lieben an- fing, -- als sie einen Andern zu lieben aufhörte. Was er- lebte dieses Mädchen einen Tag, bevor ich sie traf, bevor wir das erste Wort mit einander sprachen? War es möglich, sich da so ohne Weiteres los zu reißen? Hat sie nicht vielleicht Tage und Wochen lang noch eine alte Kette nachschleppen müssen, müssen sag' ich. Max. Hm. Anatol. Ich will sogar noch weiter gehen ... Die erste Zeit war es ja nur eine Laune von ihr -- wie von mir. Wir haben es Beide nicht anders angesehen, wir haben nichts Anderes von einander verlangt, als ein flüchtiges süßes Glück. Wenn sie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat, was kann ich ihr vorwerfen? Nichts -- gar nichts. Max. Du bist eigenthümlich mild. Anatol. Nein, durchaus nicht, ich finde es nur un- edel, die Vortheile einer augenblicklichen Situation in dieser Weise auszunützen. Max. Nun, das ist sicher vornehm gedacht. Aber ich will Dir aus der Verlegenheit helfen. Anatol. --? Anatol. Ich bitte … man muß ſich nur vorſtellen, wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja ſelbſt nicht, daß wir uns einmal ſo wahnſinnig lieben würden. Die erſten Tage betrachteten wir Beide die ganze Geſchichte als etwas Vorübergehendes. Wer weiß … Max. Wer weiß …? Anatol. Wer weiß, ob ſie nicht mich erſt zu lieben an- fing, — als ſie einen Andern zu lieben aufhörte. Was er- lebte dieſes Mädchen einen Tag, bevor ich ſie traf, bevor wir das erſte Wort mit einander ſprachen? War es möglich, ſich da ſo ohne Weiteres los zu reißen? Hat ſie nicht vielleicht Tage und Wochen lang noch eine alte Kette nachſchleppen müſſen, müſſen ſag’ ich. Max. Hm. Anatol. Ich will ſogar noch weiter gehen … Die erſte Zeit war es ja nur eine Laune von ihr — wie von mir. Wir haben es Beide nicht anders angeſehen, wir haben nichts Anderes von einander verlangt, als ein flüchtiges ſüßes Glück. Wenn ſie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat, was kann ich ihr vorwerfen? Nichts — gar nichts. Max. Du biſt eigenthümlich mild. Anatol. Nein, durchaus nicht, ich finde es nur un- edel, die Vortheile einer augenblicklichen Situation in dieſer Weiſe auszunützen. Max. Nun, das iſt ſicher vornehm gedacht. Aber ich will Dir aus der Verlegenheit helfen. Anatol. —? <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <pb facs="#f0030" n="20"/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Ich bitte … man muß ſich nur vorſtellen,<lb/> wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja ſelbſt nicht, daß<lb/> wir uns einmal ſo wahnſinnig lieben würden. Die erſten<lb/> Tage betrachteten wir Beide die ganze Geſchichte als etwas<lb/> Vorübergehendes. Wer weiß …</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Wer weiß …?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Wer weiß, ob ſie nicht mich erſt zu lieben an-<lb/> fing, — als ſie einen Andern zu lieben aufhörte. Was er-<lb/> lebte dieſes Mädchen einen Tag, bevor ich ſie traf, bevor wir<lb/> das erſte Wort mit einander ſprachen? War es möglich, ſich<lb/> da ſo ohne Weiteres los zu reißen? Hat ſie nicht vielleicht<lb/> Tage und Wochen lang noch eine alte Kette nachſchleppen<lb/> müſſen, <hi rendition="#g">müſſen</hi> ſag’ ich.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Hm.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Ich will ſogar noch weiter gehen … Die<lb/> erſte Zeit war es ja nur eine Laune von ihr — wie von<lb/> mir. Wir haben es Beide nicht anders angeſehen, wir haben<lb/> nichts Anderes von einander verlangt, als ein flüchtiges ſüßes<lb/> Glück. Wenn ſie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat,<lb/> was kann ich ihr vorwerfen? Nichts — gar nichts.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Du biſt eigenthümlich mild.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Nein, durchaus nicht, ich finde es nur un-<lb/> edel, die Vortheile einer augenblicklichen Situation in dieſer<lb/> Weiſe auszunützen.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Nun, das iſt ſicher vornehm gedacht. Aber ich<lb/> will Dir aus der Verlegenheit helfen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>—?</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
Anatol. Ich bitte … man muß ſich nur vorſtellen,
wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja ſelbſt nicht, daß
wir uns einmal ſo wahnſinnig lieben würden. Die erſten
Tage betrachteten wir Beide die ganze Geſchichte als etwas
Vorübergehendes. Wer weiß …
Max. Wer weiß …?
Anatol. Wer weiß, ob ſie nicht mich erſt zu lieben an-
fing, — als ſie einen Andern zu lieben aufhörte. Was er-
lebte dieſes Mädchen einen Tag, bevor ich ſie traf, bevor wir
das erſte Wort mit einander ſprachen? War es möglich, ſich
da ſo ohne Weiteres los zu reißen? Hat ſie nicht vielleicht
Tage und Wochen lang noch eine alte Kette nachſchleppen
müſſen, müſſen ſag’ ich.
Max. Hm.
Anatol. Ich will ſogar noch weiter gehen … Die
erſte Zeit war es ja nur eine Laune von ihr — wie von
mir. Wir haben es Beide nicht anders angeſehen, wir haben
nichts Anderes von einander verlangt, als ein flüchtiges ſüßes
Glück. Wenn ſie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat,
was kann ich ihr vorwerfen? Nichts — gar nichts.
Max. Du biſt eigenthümlich mild.
Anatol. Nein, durchaus nicht, ich finde es nur un-
edel, die Vortheile einer augenblicklichen Situation in dieſer
Weiſe auszunützen.
Max. Nun, das iſt ſicher vornehm gedacht. Aber ich
will Dir aus der Verlegenheit helfen.
Anatol. —?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_anatol_1893 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_anatol_1893/30 |
Zitationshilfe: | Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_anatol_1893/30>, abgerufen am 07.07.2024. |