Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Weib und zweyen Kindern nach Moscau zu
folgen. Nun hatte sich zwar mein Vater nicht al-
lein wegen der höhern Charge, sondern auch wegen
der Gage, um ein wichtiges verbessert, allein es wä-
re vielleicht besser vor ihn und uns gewesen, wenn er
die Käyserlichen Dienste nicht quittiret hätte. Denn
als wir uns mit ihm in der Belagerung Narva be-
fanden, und der König in Schweden diese Vestung
im Novembr. An. 1700. mit 8000. Mann entsetz-
te, und das gantze Rußische Lager, nebst aller Ar-
tollerie
eroberte, wurde mein guter Vater, von den
Schweden, in der ersten Hitze so wohl als andere
darnieder gehauen. Wo meine Mutter nebst der klei-
nen 4. jährigen Schwester hingekommen, habe nach
der Zeit niemahls erfahren können, wie groß auch
dißfalls meine Bemühung gewesen. Jch vor mei-
ne Person aber, der ich unter währenden grausamen
Blutvergiessen aus dem Lager gelauffen, und meine
Sicherheit in einem holen Graben gesucht hatte,
wurde, nachdem ich die gantze Nacht darinnen ge-
legen, Hunger und Durst gelitten, auch fast gäntz-
lich erfroren war, von zweyen Schwedischen Mus-
quetie
rn aufgehoben, zum Feuer geführet, und mit
genugsamer Speise und Geträncke erquickt. Hier-
auf wurde ich ihrem Obristen vorgestellet, welcher
einem Marquetender Befehl gab, mich |zu sich zu
nehmen, und so gut, ja noch besser als seine eigenen
Kinder zu halten, weilen er, der Obrister, davor
bezahlen wolte. Jch konte, ohngeacht meiner Ju-
gend, diesem Obristen dennoch hinlängliche Nach-
richt von meinen Eltern, und von meines Vaters
Charge, geben, derowegen ließ er unter allen ge-

fange-
f 2

mit Weib und zweyen Kindern nach Moſcau zu
folgen. Nun hatte ſich zwar mein Vater nicht al-
lein wegen der hoͤhern Charge, ſondern auch wegen
der Gage, um ein wichtiges verbeſſert, allein es waͤ-
re vielleicht beſſer vor ihn und uns geweſen, wenn er
die Kaͤyſerlichen Dienſte nicht quittiret haͤtte. Denn
als wir uns mit ihm in der Belagerung Narva be-
fanden, und der Koͤnig in Schweden dieſe Veſtung
im Novembr. An. 1700. mit 8000. Mann entſetz-
te, und das gantze Rußiſche Lager, nebſt aller Ar-
tollerie
eroberte, wurde mein guter Vater, von den
Schweden, in der erſten Hitze ſo wohl als andere
darnieder gehauen. Wo meine Mutter nebſt der klei-
nen 4. jaͤhrigen Schweſter hingekommen, habe nach
der Zeit niemahls erfahren koͤnnen, wie groß auch
dißfalls meine Bemuͤhung geweſen. Jch vor mei-
ne Perſon aber, der ich unter waͤhrenden grauſamen
Blutvergieſſen aus dem Lager gelauffen, und meine
Sicherheit in einem holen Graben geſucht hatte,
wurde, nachdem ich die gantze Nacht darinnen ge-
legen, Hunger und Durſt gelitten, auch faſt gaͤntz-
lich erfroren war, von zweyen Schwediſchen Muſ-
quetie
rn aufgehoben, zum Feuer gefuͤhret, und mit
genugſamer Speiſe und Getraͤncke erquickt. Hier-
auf wurde ich ihrem Obriſten vorgeſtellet, welcher
einem Marquetender Befehl gab, mich |zu ſich zu
nehmen, und ſo gut, ja noch beſſer als ſeine eigenen
Kinder zu halten, weilen er, der Obriſter, davor
bezahlen wolte. Jch konte, ohngeacht meiner Ju-
gend, dieſem Obriſten dennoch hinlaͤngliche Nach-
richt von meinen Eltern, und von meines Vaters
Charge, geben, derowegen ließ er unter allen ge-

fange-
f 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="83"/>
mit Weib und zweyen Kindern nach <hi rendition="#aq">Mo&#x017F;cau</hi> zu<lb/>
folgen. Nun hatte &#x017F;ich zwar mein Vater nicht al-<lb/>
lein wegen der ho&#x0364;hern <hi rendition="#aq">Charge,</hi> &#x017F;ondern auch wegen<lb/>
der <hi rendition="#aq">Gage,</hi> um ein wichtiges verbe&#x017F;&#x017F;ert, allein es wa&#x0364;-<lb/>
re vielleicht be&#x017F;&#x017F;er vor ihn und uns gewe&#x017F;en, wenn er<lb/>
die Ka&#x0364;y&#x017F;erlichen Dien&#x017F;te nicht <hi rendition="#aq">quittir</hi>et ha&#x0364;tte. Denn<lb/>
als wir uns mit ihm in der Belagerung <hi rendition="#aq">Narva</hi> be-<lb/>
fanden, und der Ko&#x0364;nig in Schweden die&#x017F;e Ve&#x017F;tung<lb/>
im <hi rendition="#aq">Novembr. An.</hi> 1700. mit 8000. Mann ent&#x017F;etz-<lb/>
te, und das gantze Rußi&#x017F;che Lager, neb&#x017F;t aller <hi rendition="#aq">Ar-<lb/>
tollerie</hi> eroberte, wurde mein guter Vater, von den<lb/>
Schweden, in der er&#x017F;ten Hitze &#x017F;o wohl als andere<lb/>
darnieder gehauen. Wo meine Mutter neb&#x017F;t der klei-<lb/>
nen 4. ja&#x0364;hrigen Schwe&#x017F;ter hingekommen, habe nach<lb/>
der Zeit niemahls erfahren ko&#x0364;nnen, wie groß auch<lb/>
dißfalls meine Bemu&#x0364;hung gewe&#x017F;en. Jch vor mei-<lb/>
ne Per&#x017F;on aber, der ich unter wa&#x0364;hrenden grau&#x017F;amen<lb/>
Blutvergie&#x017F;&#x017F;en aus dem Lager gelauffen, und meine<lb/>
Sicherheit in einem holen Graben ge&#x017F;ucht hatte,<lb/>
wurde, nachdem ich die gantze Nacht darinnen ge-<lb/>
legen, Hunger und Dur&#x017F;t gelitten, auch fa&#x017F;t ga&#x0364;ntz-<lb/>
lich erfroren war, von zweyen Schwedi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">Mu&#x017F;-<lb/>
quetie</hi>rn aufgehoben, zum Feuer gefu&#x0364;hret, und mit<lb/>
genug&#x017F;amer Spei&#x017F;e und Getra&#x0364;ncke erquickt. Hier-<lb/>
auf wurde ich ihrem Obri&#x017F;ten vorge&#x017F;tellet, welcher<lb/>
einem <hi rendition="#aq">Marquetend</hi>er Befehl gab, mich |zu &#x017F;ich zu<lb/>
nehmen, und &#x017F;o gut, ja noch be&#x017F;&#x017F;er als &#x017F;eine eigenen<lb/>
Kinder zu halten, weilen er, der Obri&#x017F;ter, davor<lb/>
bezahlen wolte. Jch konte, ohngeacht meiner Ju-<lb/>
gend, die&#x017F;em Obri&#x017F;ten dennoch hinla&#x0364;ngliche Nach-<lb/>
richt von meinen Eltern, und von meines Vaters<lb/><hi rendition="#aq">Charge,</hi> geben, derowegen ließ er unter allen ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">f 2</fw><fw place="bottom" type="catch">fange-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0097] mit Weib und zweyen Kindern nach Moſcau zu folgen. Nun hatte ſich zwar mein Vater nicht al- lein wegen der hoͤhern Charge, ſondern auch wegen der Gage, um ein wichtiges verbeſſert, allein es waͤ- re vielleicht beſſer vor ihn und uns geweſen, wenn er die Kaͤyſerlichen Dienſte nicht quittiret haͤtte. Denn als wir uns mit ihm in der Belagerung Narva be- fanden, und der Koͤnig in Schweden dieſe Veſtung im Novembr. An. 1700. mit 8000. Mann entſetz- te, und das gantze Rußiſche Lager, nebſt aller Ar- tollerie eroberte, wurde mein guter Vater, von den Schweden, in der erſten Hitze ſo wohl als andere darnieder gehauen. Wo meine Mutter nebſt der klei- nen 4. jaͤhrigen Schweſter hingekommen, habe nach der Zeit niemahls erfahren koͤnnen, wie groß auch dißfalls meine Bemuͤhung geweſen. Jch vor mei- ne Perſon aber, der ich unter waͤhrenden grauſamen Blutvergieſſen aus dem Lager gelauffen, und meine Sicherheit in einem holen Graben geſucht hatte, wurde, nachdem ich die gantze Nacht darinnen ge- legen, Hunger und Durſt gelitten, auch faſt gaͤntz- lich erfroren war, von zweyen Schwediſchen Muſ- quetiern aufgehoben, zum Feuer gefuͤhret, und mit genugſamer Speiſe und Getraͤncke erquickt. Hier- auf wurde ich ihrem Obriſten vorgeſtellet, welcher einem Marquetender Befehl gab, mich |zu ſich zu nehmen, und ſo gut, ja noch beſſer als ſeine eigenen Kinder zu halten, weilen er, der Obriſter, davor bezahlen wolte. Jch konte, ohngeacht meiner Ju- gend, dieſem Obriſten dennoch hinlaͤngliche Nach- richt von meinen Eltern, und von meines Vaters Charge, geben, derowegen ließ er unter allen ge- fange- f 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/97
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/97>, abgerufen am 24.11.2024.