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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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als der eigentliche Spiegel, in keine Consi-
deration
gezogen.

Könte es denn aber auch wohl möglich
seyn, daß sich manche Leute in eingebildeter
vollkommener Weißheit und Erkänntniß,
von ihren schwermenden Affecten regieren
liessen? Solte denn bey einem oder dem an-
dern etwa der Pfahl gerüttelt seyn, der
ihm im Fleische steckt? Man sagt zwar
sonst: Wer gern tantzt, dem ist leicht ge-
pfiffen. Wer ausserordentlich verliebt ist,
findet leicht, was in seinen Krahm dienet.
Wer gern stiehlt, macht sich die Gelegenheit
auch auf den schlechtesten Wochen-Märck-
ten zu Nutze. Aber was kan denn ein Ge-
schichtschreiber davor, wenn lasterhaffte
Leute sein vorgestecktes Ziel mit Fleiß ver-
fehlen, andere hingegen alles zu Poltzen
drehen wollen.

Es würde zwar eben keine Herculeische
Arbeit kosten, diese Materie etwas deutli-
cher, gründlicher und weitläufftiger auszu-
führen, jedoch, weil ich eben itzo bald Mit-
tags-Ruhe zu halten gesonnen bin, auch
ausserdem den geneigten Leser nicht mit ei-
ner solchen Vorrede aufhalten mag, wel-

che

als der eigentliche Spiegel, in keine Conſi-
deration
gezogen.

Koͤnte es denn aber auch wohl moͤglich
ſeyn, daß ſich manche Leute in eingebildeter
vollkommener Weißheit und Erkaͤnntniß,
von ihren ſchwermenden Affecten regieren
lieſſen? Solte denn bey einem oder dem an-
dern etwa der Pfahl geruͤttelt ſeyn, der
ihm im Fleiſche ſteckt? Man ſagt zwar
ſonſt: Wer gern tantzt, dem iſt leicht ge-
pfiffen. Wer auſſerordentlich verliebt iſt,
findet leicht, was in ſeinen Krahm dienet.
Wer gern ſtiehlt, macht ſich die Gelegenheit
auch auf den ſchlechteſten Wochen-Maͤrck-
ten zu Nutze. Aber was kan denn ein Ge-
ſchichtſchreiber davor, wenn laſterhaffte
Leute ſein vorgeſtecktes Ziel mit Fleiß ver-
fehlen, andere hingegen alles zu Poltzen
drehen wollen.

Es wuͤrde zwar eben keine Herculeiſche
Arbeit koſten, dieſe Materie etwas deutli-
cher, gruͤndlicher und weitlaͤufftiger auszu-
fuͤhren, jedoch, weil ich eben itzo bald Mit-
tags-Ruhe zu halten geſonnen bin, auch
auſſerdem den geneigten Leſer nicht mit ei-
ner ſolchen Vorrede aufhalten mag, wel-

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[0008] als der eigentliche Spiegel, in keine Conſi- deration gezogen. Koͤnte es denn aber auch wohl moͤglich ſeyn, daß ſich manche Leute in eingebildeter vollkommener Weißheit und Erkaͤnntniß, von ihren ſchwermenden Affecten regieren lieſſen? Solte denn bey einem oder dem an- dern etwa der Pfahl geruͤttelt ſeyn, der ihm im Fleiſche ſteckt? Man ſagt zwar ſonſt: Wer gern tantzt, dem iſt leicht ge- pfiffen. Wer auſſerordentlich verliebt iſt, findet leicht, was in ſeinen Krahm dienet. Wer gern ſtiehlt, macht ſich die Gelegenheit auch auf den ſchlechteſten Wochen-Maͤrck- ten zu Nutze. Aber was kan denn ein Ge- ſchichtſchreiber davor, wenn laſterhaffte Leute ſein vorgeſtecktes Ziel mit Fleiß ver- fehlen, andere hingegen alles zu Poltzen drehen wollen. Es wuͤrde zwar eben keine Herculeiſche Arbeit koſten, dieſe Materie etwas deutli- cher, gruͤndlicher und weitlaͤufftiger auszu- fuͤhren, jedoch, weil ich eben itzo bald Mit- tags-Ruhe zu halten geſonnen bin, auch auſſerdem den geneigten Leſer nicht mit ei- ner ſolchen Vorrede aufhalten mag, wel- che

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/8>, abgerufen am 29.03.2024.