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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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angst und bange wurde, ich möchte mit der Zeit et-
wa gar ein Advocat oder ein Narr werden, als
welchen Leuten sie am allergrämsten war, denn
ein Advocat hatte sie um eine reiche Erbschafft ge-
bracht, und ihr erster Mann war von einer lieder-
lichen Vettel, vermittelst eines Liebes-Truncks, zum
Narren gemacht und angereitzt worden, meine
Mutter zu verlassen, und mit der Hure davon zu-
lauffen. Jndem ich nun ein rechtes, so zu sagen,
Pferde-mäßiges Gedächtniß hatte, konte ich nicht
allein in meinem 13ten Jahre fast alle Evangelia
und Episteln, sondern über dieses, welches zu ver-
wundern, alle Declinationes und Conjugationes
auf dem Nagel herbeten, der lieben Psalmen zu
geschweigen, denn mein Vater ärgerte sich solcher-
gestalt fast über nichts mehr, als daß der König
David nicht zum wenigsten noch ein paar hundert
mehr gemacht hätte. Jn der Schneider-und Lein-
weber-Kunst war ich auch, seinen Gedancken nach,
weit avancirt, daß er mich ohne ferneres Bedencken
hätte können zum Meister machen lassen, derowegen
fehlete nichts weiter, meine erfahrne Person sich sub-
stitui
ren zu lassen, als das eintzige, nemlich daß ich
nicht 8. oder 10. Jahre früher auf die Welt gekom-
men war.

Mittlerweile sahe der Pfarrer und die Gemeine,
ich weiß nicht aus was vor Ursachen, meinen 63.
jährigen Vater vor älter an, als er sich selbst zu
seyn bedünckte, und da sonderlich der Gemeine
nicht anstund, daß ich fast alle Sonntage an seiner
statt cantorirte, meine Mutter aber wöchentlich
mehr als 5. Tage den Schulmeister agirte, weil

der

angſt und bange wurde, ich moͤchte mit der Zeit et-
wa gar ein Advocat oder ein Narr werden, als
welchen Leuten ſie am allergraͤmſten war, denn
ein Advocat hatte ſie um eine reiche Erbſchafft ge-
bracht, und ihr erſter Mann war von einer lieder-
lichen Vettel, vermittelſt eines Liebes-Truncks, zum
Narren gemacht und angereitzt worden, meine
Mutter zu verlaſſen, und mit der Hure davon zu-
lauffen. Jndem ich nun ein rechtes, ſo zu ſagen,
Pferde-maͤßiges Gedaͤchtniß hatte, konte ich nicht
allein in meinem 13ten Jahre faſt alle Evangelia
und Epiſteln, ſondern uͤber dieſes, welches zu ver-
wundern, alle Declinationes und Conjugationes
auf dem Nagel herbeten, der lieben Pſalmen zu
geſchweigen, denn mein Vater aͤrgerte ſich ſolcher-
geſtalt faſt uͤber nichts mehr, als daß der Koͤnig
David nicht zum wenigſten noch ein paar hundert
mehr gemacht haͤtte. Jn der Schneider-und Lein-
weber-Kunſt war ich auch, ſeinen Gedancken nach,
weit avancirt, daß er mich ohne ferneres Bedencken
haͤtte koͤnnen zum Meiſter machen laſſen, derowegen
fehlete nichts weiter, meine erfahrne Perſon ſich ſub-
ſtitui
ren zu laſſen, als das eintzige, nemlich daß ich
nicht 8. oder 10. Jahre fruͤher auf die Welt gekom-
men war.

Mittlerweile ſahe der Pfarrer und die Gemeine,
ich weiß nicht aus was vor Urſachen, meinen 63.
jaͤhrigen Vater vor aͤlter an, als er ſich ſelbſt zu
ſeyn beduͤnckte, und da ſonderlich der Gemeine
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ſtatt cantorirte, meine Mutter aber woͤchentlich
mehr als 5. Tage den Schulmeiſter agirte, weil

der
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[426/0440] angſt und bange wurde, ich moͤchte mit der Zeit et- wa gar ein Advocat oder ein Narr werden, als welchen Leuten ſie am allergraͤmſten war, denn ein Advocat hatte ſie um eine reiche Erbſchafft ge- bracht, und ihr erſter Mann war von einer lieder- lichen Vettel, vermittelſt eines Liebes-Truncks, zum Narren gemacht und angereitzt worden, meine Mutter zu verlaſſen, und mit der Hure davon zu- lauffen. Jndem ich nun ein rechtes, ſo zu ſagen, Pferde-maͤßiges Gedaͤchtniß hatte, konte ich nicht allein in meinem 13ten Jahre faſt alle Evangelia und Epiſteln, ſondern uͤber dieſes, welches zu ver- wundern, alle Declinationes und Conjugationes auf dem Nagel herbeten, der lieben Pſalmen zu geſchweigen, denn mein Vater aͤrgerte ſich ſolcher- geſtalt faſt uͤber nichts mehr, als daß der Koͤnig David nicht zum wenigſten noch ein paar hundert mehr gemacht haͤtte. Jn der Schneider-und Lein- weber-Kunſt war ich auch, ſeinen Gedancken nach, weit avancirt, daß er mich ohne ferneres Bedencken haͤtte koͤnnen zum Meiſter machen laſſen, derowegen fehlete nichts weiter, meine erfahrne Perſon ſich ſub- ſtituiren zu laſſen, als das eintzige, nemlich daß ich nicht 8. oder 10. Jahre fruͤher auf die Welt gekom- men war. Mittlerweile ſahe der Pfarrer und die Gemeine, ich weiß nicht aus was vor Urſachen, meinen 63. jaͤhrigen Vater vor aͤlter an, als er ſich ſelbſt zu ſeyn beduͤnckte, und da ſonderlich der Gemeine nicht anſtund, daß ich faſt alle Sonntage an ſeiner ſtatt cantorirte, meine Mutter aber woͤchentlich mehr als 5. Tage den Schulmeiſter agirte, weil der

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/440>, abgerufen am 25.11.2024.