Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

auszusetzen fand, wurde das Verlöbniß in der Ge-
schwindigkeit geschlossen, wir schwuren unsern Ge-
liebten ewig feste Treue zu, und sie im Gegentheil
versprachen zu folgen, wohin wir beliebten. Nach
fernerer genommener Abrede aber kehreten sie zu-
rück, und wir practicirten uns, ohne von jemand
vermerckt zu werden, sehr glücklich zur Orgel und
Kirche heraus, und zwar noch wohl eine gute Stun-
de vor Anfang der hohen Messe.

Wenn ich betrachtete, daß sich binnen so wenig
Stunden meine gantze Natur in einen äusserst ver-
liebten Haasen-Safft verwandelt hatte, mußte ich
mich selbst auslachen. Es fielen mir zwar ein und an-
dere Scrupels, wegen dieser so plötzlichen Verbin-
dung in die Gedancken, allein, das stets vor meinen
Augen schwebende Gesicht der schönen Lucia, und
dann die hefftige Liebe, wären vermögend gewesen,
meinen gantzen Verstand, vielweniger dergleichen
gering scheinende Grillen zu vertreiben. Nach die-
sen lieffen bey nahe vier Monat vorbey, binnen wel-
cher Zeit wir unsere Geliebten zwar öffters sehen
und Briefe mit ihnen wechseln, aber nur zweymahl
auf wenige Minuten sprechen konten. Derowegen
begunnte uns auf allen Seiten die Liebe immer heff-
tiger anzufechten. Die meiste Arbeit an der Or-
gel war gethan, also zu befürchten, daß uns in Zu-
kunfft die allerbeste Gelegenheit abgeschnitten wer-
den möchte, über dieses rückte die rauhe Herbst-Zeit
immer stärcker heran, also schafften wir unsere be-
sten Sachen immer nach und nach fort in eine an-
dere Stadt, zu den Anverwandten meines Came-
radens.
Unsere beyden Liebsten machten sich auch

kein

auszuſetzen fand, wurde das Verloͤbniß in der Ge-
ſchwindigkeit geſchloſſen, wir ſchwuren unſern Ge-
liebten ewig feſte Treue zu, und ſie im Gegentheil
verſprachen zu folgen, wohin wir beliebten. Nach
fernerer genommener Abrede aber kehreten ſie zu-
ruͤck, und wir practicirten uns, ohne von jemand
vermerckt zu werden, ſehr gluͤcklich zur Orgel und
Kirche heraus, und zwar noch wohl eine gute Stun-
de vor Anfang der hohen Meſſe.

Wenn ich betrachtete, daß ſich binnen ſo wenig
Stunden meine gantze Natur in einen aͤuſſerſt ver-
liebten Haaſen-Safft verwandelt hatte, mußte ich
mich ſelbſt auslachen. Es fielen mir zwar ein und an-
dere Scrupels, wegen dieſer ſo ploͤtzlichen Verbin-
dung in die Gedancken, allein, das ſtets vor meinen
Augen ſchwebende Geſicht der ſchoͤnen Lucia, und
dann die hefftige Liebe, waͤren vermoͤgend geweſen,
meinen gantzen Verſtand, vielweniger dergleichen
gering ſcheinende Grillen zu vertreiben. Nach die-
ſen lieffen bey nahe vier Monat vorbey, binnen wel-
cher Zeit wir unſere Geliebten zwar oͤffters ſehen
und Briefe mit ihnen wechſeln, aber nur zweymahl
auf wenige Minuten ſprechen konten. Derowegen
begunnte uns auf allen Seiten die Liebe immer heff-
tiger anzufechten. Die meiſte Arbeit an der Or-
gel war gethan, alſo zu befuͤrchten, daß uns in Zu-
kunfft die allerbeſte Gelegenheit abgeſchnitten wer-
den moͤchte, uͤber dieſes ruͤckte die rauhe Herbſt-Zeit
immer ſtaͤrcker heran, alſo ſchafften wir unſere be-
ſten Sachen immer nach und nach fort in eine an-
dere Stadt, zu den Anverwandten meines Came-
radens.
Unſere beyden Liebſten machten ſich auch

kein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="348"/>
auszu&#x017F;etzen fand, wurde das Verlo&#x0364;bniß in der Ge-<lb/>
&#x017F;chwindigkeit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, wir &#x017F;chwuren un&#x017F;ern Ge-<lb/>
liebten ewig fe&#x017F;te Treue zu, und &#x017F;ie im Gegentheil<lb/>
ver&#x017F;prachen zu folgen, wohin wir beliebten. Nach<lb/>
fernerer genommener Abrede aber kehreten &#x017F;ie zu-<lb/>
ru&#x0364;ck, und wir <hi rendition="#aq">practicirt</hi>en uns, ohne von jemand<lb/>
vermerckt zu werden, &#x017F;ehr glu&#x0364;cklich zur Orgel und<lb/>
Kirche heraus, und zwar noch wohl eine gute Stun-<lb/>
de vor Anfang der hohen Me&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Wenn ich betrachtete, daß &#x017F;ich binnen &#x017F;o wenig<lb/>
Stunden meine gantze Natur in einen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t ver-<lb/>
liebten Haa&#x017F;en-Safft verwandelt hatte, mußte ich<lb/>
mich &#x017F;elb&#x017F;t auslachen. Es fielen mir zwar ein und an-<lb/>
dere Scrupels, wegen die&#x017F;er &#x017F;o plo&#x0364;tzlichen Verbin-<lb/>
dung in die Gedancken, allein, das &#x017F;tets vor meinen<lb/>
Augen &#x017F;chwebende Ge&#x017F;icht der &#x017F;cho&#x0364;nen <hi rendition="#aq">Lucia,</hi> und<lb/>
dann die hefftige Liebe, wa&#x0364;ren vermo&#x0364;gend gewe&#x017F;en,<lb/>
meinen gantzen Ver&#x017F;tand, vielweniger dergleichen<lb/>
gering &#x017F;cheinende Grillen zu vertreiben. Nach die-<lb/>
&#x017F;en lieffen bey nahe vier Monat vorbey, binnen wel-<lb/>
cher Zeit wir un&#x017F;ere Geliebten zwar o&#x0364;ffters &#x017F;ehen<lb/>
und Briefe mit ihnen wech&#x017F;eln, aber nur zweymahl<lb/>
auf wenige Minuten &#x017F;prechen konten. Derowegen<lb/>
begunnte uns auf allen Seiten die Liebe immer heff-<lb/>
tiger anzufechten. Die mei&#x017F;te Arbeit an der Or-<lb/>
gel war gethan, al&#x017F;o zu befu&#x0364;rchten, daß uns in Zu-<lb/>
kunfft die allerbe&#x017F;te Gelegenheit abge&#x017F;chnitten wer-<lb/>
den mo&#x0364;chte, u&#x0364;ber die&#x017F;es ru&#x0364;ckte die rauhe Herb&#x017F;t-Zeit<lb/>
immer &#x017F;ta&#x0364;rcker heran, al&#x017F;o &#x017F;chafften wir un&#x017F;ere be-<lb/>
&#x017F;ten Sachen immer nach und nach fort in eine an-<lb/>
dere Stadt, zu den Anverwandten meines <hi rendition="#aq">Came-<lb/>
radens.</hi> Un&#x017F;ere beyden Lieb&#x017F;ten machten &#x017F;ich auch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kein</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0362] auszuſetzen fand, wurde das Verloͤbniß in der Ge- ſchwindigkeit geſchloſſen, wir ſchwuren unſern Ge- liebten ewig feſte Treue zu, und ſie im Gegentheil verſprachen zu folgen, wohin wir beliebten. Nach fernerer genommener Abrede aber kehreten ſie zu- ruͤck, und wir practicirten uns, ohne von jemand vermerckt zu werden, ſehr gluͤcklich zur Orgel und Kirche heraus, und zwar noch wohl eine gute Stun- de vor Anfang der hohen Meſſe. Wenn ich betrachtete, daß ſich binnen ſo wenig Stunden meine gantze Natur in einen aͤuſſerſt ver- liebten Haaſen-Safft verwandelt hatte, mußte ich mich ſelbſt auslachen. Es fielen mir zwar ein und an- dere Scrupels, wegen dieſer ſo ploͤtzlichen Verbin- dung in die Gedancken, allein, das ſtets vor meinen Augen ſchwebende Geſicht der ſchoͤnen Lucia, und dann die hefftige Liebe, waͤren vermoͤgend geweſen, meinen gantzen Verſtand, vielweniger dergleichen gering ſcheinende Grillen zu vertreiben. Nach die- ſen lieffen bey nahe vier Monat vorbey, binnen wel- cher Zeit wir unſere Geliebten zwar oͤffters ſehen und Briefe mit ihnen wechſeln, aber nur zweymahl auf wenige Minuten ſprechen konten. Derowegen begunnte uns auf allen Seiten die Liebe immer heff- tiger anzufechten. Die meiſte Arbeit an der Or- gel war gethan, alſo zu befuͤrchten, daß uns in Zu- kunfft die allerbeſte Gelegenheit abgeſchnitten wer- den moͤchte, uͤber dieſes ruͤckte die rauhe Herbſt-Zeit immer ſtaͤrcker heran, alſo ſchafften wir unſere be- ſten Sachen immer nach und nach fort in eine an- dere Stadt, zu den Anverwandten meines Came- radens. Unſere beyden Liebſten machten ſich auch kein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/362
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/362>, abgerufen am 18.05.2024.