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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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sche Geheimniß zu erfinden suchte, iedoch auf eine
weit vernünfftigere Art, als alle diejenigen, so ich bis-
hero gesehen. Jch war so glücklich, binnen weniger
Zeit, mich in seine völlige Gunst zu setzen, denn weil
er in allen seinem Wesen vollkommen redlich, so
merckte er auch gar bald, daß bey mir der Verstand
zwar ziemlich verdorben, im übrigen keine Schalck-
heit und Betrügerey anzutreffen wäre. Demnach
wendete dieser vortreffliche Mann allen Fleiß an,
mich so wohl in der christlichen Lehre, als auch in an-
dern Wissenschafften aufs allertreulichste zu unter-
richten, und solchergestalt geschahe es, daß ich in-
nerhalb 2. Jahren gantz ein anderer und klügerer
Mensch wurde.

Mittlerweile aber waren alle diejenigen Processe,
welche mein Principal, und so zu sagen, anderer Va-
ter, den Stein der Weisen auszufinden, angestellet
hatte, fruchtlos abgelauffen, weßwegen er einen klei-
nen Tractat in die Welt fliegen ließ, unter dem Ti-
tul:
Schwer aufzulösende Zweifels-Kno-
ten über die Frage: Ob der berufene Stein
der Weisen, iemahls von einem sterblichen
Menschen erfunden sey?
Etwa ein halb Jahr
hernach, kam eines Montags früh, ein ehrbarer et-
liche 50. Jahr alt scheinender Mann, der das Anse-
hen eines Reichs-städtischen reputirlichen Pfahl-
Bürgers hatte, vor unsere Thür, und verlangete mit
den berühmten Chymico, nemlich mit meinem
Principal zu sprechen. Jch wolte denselben unter
dem Vorwande, daß mein Herr noch nicht aufge-
standen sey, mit einem halben Frantz-Gulden abwei-
sen, weil er mir nicht anders, als ein Almosen-Su-

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ſche Geheimniß zu erfinden ſuchte, iedoch auf eine
weit vernuͤnfftigere Art, als alle diejenigen, ſo ich bis-
hero geſehen. Jch war ſo gluͤcklich, binnen weniger
Zeit, mich in ſeine voͤllige Gunſt zu ſetzen, denn weil
er in allen ſeinem Weſen vollkommen redlich, ſo
merckte er auch gar bald, daß bey mir der Verſtand
zwar ziemlich verdorben, im uͤbrigen keine Schalck-
heit und Betruͤgerey anzutreffen waͤre. Demnach
wendete dieſer vortreffliche Mann allen Fleiß an,
mich ſo wohl in der chriſtlichen Lehre, als auch in an-
dern Wiſſenſchafften aufs allertreulichſte zu unter-
richten, und ſolchergeſtalt geſchahe es, daß ich in-
nerhalb 2. Jahren gantz ein anderer und kluͤgerer
Menſch wurde.

Mittlerweile aber waren alle diejenigen Proceſſe,
welche mein Principal, und ſo zu ſagen, anderer Va-
ter, den Stein der Weiſen auszufinden, angeſtellet
hatte, fruchtlos abgelauffen, weßwegen er einen klei-
nen Tractat in die Welt fliegen ließ, unter dem Ti-
tul:
Schwer aufzuloͤſende Zweifels-Kno-
ten uͤber die Frage: Ob der berufene Stein
der Weiſen, iemahls von einem ſterblichen
Menſchen erfunden ſey?
Etwa ein halb Jahr
hernach, kam eines Montags fruͤh, ein ehrbarer et-
liche 50. Jahr alt ſcheinender Mann, der das Anſe-
hen eines Reichs-ſtaͤdtiſchen reputirlichen Pfahl-
Buͤrgers hatte, vor unſere Thuͤr, und verlangete mit
den beruͤhmten Chymico, nemlich mit meinem
Principal zu ſprechen. Jch wolte denſelben unter
dem Vorwande, daß mein Herr noch nicht aufge-
ſtanden ſey, mit einem halben Frantz-Gulden abwei-
ſen, weil er mir nicht anders, als ein Almoſen-Su-

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[291/0305] ſche Geheimniß zu erfinden ſuchte, iedoch auf eine weit vernuͤnfftigere Art, als alle diejenigen, ſo ich bis- hero geſehen. Jch war ſo gluͤcklich, binnen weniger Zeit, mich in ſeine voͤllige Gunſt zu ſetzen, denn weil er in allen ſeinem Weſen vollkommen redlich, ſo merckte er auch gar bald, daß bey mir der Verſtand zwar ziemlich verdorben, im uͤbrigen keine Schalck- heit und Betruͤgerey anzutreffen waͤre. Demnach wendete dieſer vortreffliche Mann allen Fleiß an, mich ſo wohl in der chriſtlichen Lehre, als auch in an- dern Wiſſenſchafften aufs allertreulichſte zu unter- richten, und ſolchergeſtalt geſchahe es, daß ich in- nerhalb 2. Jahren gantz ein anderer und kluͤgerer Menſch wurde. Mittlerweile aber waren alle diejenigen Proceſſe, welche mein Principal, und ſo zu ſagen, anderer Va- ter, den Stein der Weiſen auszufinden, angeſtellet hatte, fruchtlos abgelauffen, weßwegen er einen klei- nen Tractat in die Welt fliegen ließ, unter dem Ti- tul: Schwer aufzuloͤſende Zweifels-Kno- ten uͤber die Frage: Ob der berufene Stein der Weiſen, iemahls von einem ſterblichen Menſchen erfunden ſey? Etwa ein halb Jahr hernach, kam eines Montags fruͤh, ein ehrbarer et- liche 50. Jahr alt ſcheinender Mann, der das Anſe- hen eines Reichs-ſtaͤdtiſchen reputirlichen Pfahl- Buͤrgers hatte, vor unſere Thuͤr, und verlangete mit den beruͤhmten Chymico, nemlich mit meinem Principal zu ſprechen. Jch wolte denſelben unter dem Vorwande, daß mein Herr noch nicht aufge- ſtanden ſey, mit einem halben Frantz-Gulden abwei- ſen, weil er mir nicht anders, als ein Almoſen-Su- cher t 2

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/305>, abgerufen am 09.05.2024.