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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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mir einzugeben, daß ich mich lieber selbst ermorden,
als dergleichen Marter ausstehen solte, weil ich doch
so wohl davon crepiren müßte als ein anderer, der
nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er-
litten. Jedoch dieser desperate Entschluß wurde
noch bey Zeiten von christlichen Gedancken erstickt,
hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch
zum wenigsten nicht so gar verzweifelt und sträflich
zu achten war. Diesemnach, da ich wußte, daß bey
dem heimlichen Gemache, welches zu der Corps de
Garde,
da ich gefangen saß, gehörete, eine schmale
Schlufft den Wall hinab, nach dem Wasser-Gra-
ben zuging, observirte ich Sonntags, nemlich
des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen
solte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenseit
der Vestung sehr genau, simulirte Nachts ein heff-
tiges Reissen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus
bringen, so lange, bis meine Begleiter darüber ver-
drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge-
hen erlaubten, wo man seinen Vortrag mit gebo-
genen Knien zu thun obligirt ist, in Meynung, daß
ich doch unmöglich entwischen könte, weiln ohnedem
4. Schild-Wachen um diese Gegend stünden, die
man nicht so leicht vorbey passiren könte. Allein
ich ersahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr,
rutschte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin-
ab, sprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in
den Graben, so, daß mir das Wasser über dem Kopfe
zusammen schlug, rief den Höchsten, um Erhaltung
meines Lebens an, begab mich aufs schwimmen,
kam glücklich hindurch, und erreichte endlich nach U-
bersteigung vieler Abschnitte und Pallisaden die freye
Landstrasse.

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mir einzugeben, daß ich mich lieber ſelbſt ermorden,
als dergleichen Marter ausſtehen ſolte, weil ich doch
ſo wohl davon crepiren muͤßte als ein anderer, der
nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er-
litten. Jedoch dieſer deſperate Entſchluß wurde
noch bey Zeiten von chriſtlichen Gedancken erſtickt,
hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch
zum wenigſten nicht ſo gar verzweifelt und ſtraͤflich
zu achten war. Dieſemnach, da ich wußte, daß bey
dem heimlichen Gemache, welches zu der Corps de
Garde,
da ich gefangen ſaß, gehoͤrete, eine ſchmale
Schlufft den Wall hinab, nach dem Waſſer-Gra-
ben zuging, obſervirte ich Sonntags, nemlich
des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen
ſolte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenſeit
der Veſtung ſehr genau, ſimulirte Nachts ein heff-
tiges Reiſſen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus
bringen, ſo lange, bis meine Begleiter daruͤber ver-
drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge-
hen erlaubten, wo man ſeinen Vortrag mit gebo-
genen Knien zu thun obligirt iſt, in Meynung, daß
ich doch unmoͤglich entwiſchen koͤnte, weiln ohnedem
4. Schild-Wachen um dieſe Gegend ſtuͤnden, die
man nicht ſo leicht vorbey paſſiren koͤnte. Allein
ich erſahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr,
rutſchte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin-
ab, ſprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in
den Graben, ſo, daß mir das Waſſer uͤber dem Kopfe
zuſammen ſchlug, rief den Hoͤchſten, um Erhaltung
meines Lebens an, begab mich aufs ſchwimmen,
kam gluͤcklich hindurch, und erreichte endlich nach U-
berſteigung vieler Abſchnitte und Palliſaden die freye
Landſtraſſe.

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[217/0231] mir einzugeben, daß ich mich lieber ſelbſt ermorden, als dergleichen Marter ausſtehen ſolte, weil ich doch ſo wohl davon crepiren muͤßte als ein anderer, der nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er- litten. Jedoch dieſer deſperate Entſchluß wurde noch bey Zeiten von chriſtlichen Gedancken erſtickt, hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch zum wenigſten nicht ſo gar verzweifelt und ſtraͤflich zu achten war. Dieſemnach, da ich wußte, daß bey dem heimlichen Gemache, welches zu der Corps de Garde, da ich gefangen ſaß, gehoͤrete, eine ſchmale Schlufft den Wall hinab, nach dem Waſſer-Gra- ben zuging, obſervirte ich Sonntags, nemlich des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen ſolte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenſeit der Veſtung ſehr genau, ſimulirte Nachts ein heff- tiges Reiſſen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus bringen, ſo lange, bis meine Begleiter daruͤber ver- drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge- hen erlaubten, wo man ſeinen Vortrag mit gebo- genen Knien zu thun obligirt iſt, in Meynung, daß ich doch unmoͤglich entwiſchen koͤnte, weiln ohnedem 4. Schild-Wachen um dieſe Gegend ſtuͤnden, die man nicht ſo leicht vorbey paſſiren koͤnte. Allein ich erſahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr, rutſchte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin- ab, ſprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in den Graben, ſo, daß mir das Waſſer uͤber dem Kopfe zuſammen ſchlug, rief den Hoͤchſten, um Erhaltung meines Lebens an, begab mich aufs ſchwimmen, kam gluͤcklich hindurch, und erreichte endlich nach U- berſteigung vieler Abſchnitte und Palliſaden die freye Landſtraſſe. Vor o 5

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/231>, abgerufen am 21.11.2024.