mir einzugeben, daß ich mich lieber selbst ermorden, als dergleichen Marter ausstehen solte, weil ich doch so wohl davon crepiren müßte als ein anderer, der nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er- litten. Jedoch dieser desperate Entschluß wurde noch bey Zeiten von christlichen Gedancken erstickt, hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch zum wenigsten nicht so gar verzweifelt und sträflich zu achten war. Diesemnach, da ich wußte, daß bey dem heimlichen Gemache, welches zu der Corps de Garde, da ich gefangen saß, gehörete, eine schmale Schlufft den Wall hinab, nach dem Wasser-Gra- ben zuging, observirte ich Sonntags, nemlich des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen solte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenseit der Vestung sehr genau, simulirte Nachts ein heff- tiges Reissen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus bringen, so lange, bis meine Begleiter darüber ver- drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge- hen erlaubten, wo man seinen Vortrag mit gebo- genen Knien zu thun obligirt ist, in Meynung, daß ich doch unmöglich entwischen könte, weiln ohnedem 4. Schild-Wachen um diese Gegend stünden, die man nicht so leicht vorbey passiren könte. Allein ich ersahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr, rutschte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin- ab, sprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in den Graben, so, daß mir das Wasser über dem Kopfe zusammen schlug, rief den Höchsten, um Erhaltung meines Lebens an, begab mich aufs schwimmen, kam glücklich hindurch, und erreichte endlich nach U- bersteigung vieler Abschnitte und Pallisaden die freye Landstrasse.
Vor
o 5
mir einzugeben, daß ich mich lieber ſelbſt ermorden, als dergleichen Marter ausſtehen ſolte, weil ich doch ſo wohl davon crepiren muͤßte als ein anderer, der nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er- litten. Jedoch dieſer deſperate Entſchluß wurde noch bey Zeiten von chriſtlichen Gedancken erſtickt, hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch zum wenigſten nicht ſo gar verzweifelt und ſtraͤflich zu achten war. Dieſemnach, da ich wußte, daß bey dem heimlichen Gemache, welches zu der Corps de Garde, da ich gefangen ſaß, gehoͤrete, eine ſchmale Schlufft den Wall hinab, nach dem Waſſer-Gra- ben zuging, obſervirte ich Sonntags, nemlich des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen ſolte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenſeit der Veſtung ſehr genau, ſimulirte Nachts ein heff- tiges Reiſſen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus bringen, ſo lange, bis meine Begleiter daruͤber ver- drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge- hen erlaubten, wo man ſeinen Vortrag mit gebo- genen Knien zu thun obligirt iſt, in Meynung, daß ich doch unmoͤglich entwiſchen koͤnte, weiln ohnedem 4. Schild-Wachen um dieſe Gegend ſtuͤnden, die man nicht ſo leicht vorbey paſſiren koͤnte. Allein ich erſahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr, rutſchte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin- ab, ſprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in den Graben, ſo, daß mir das Waſſer uͤber dem Kopfe zuſammen ſchlug, rief den Hoͤchſten, um Erhaltung meines Lebens an, begab mich aufs ſchwimmen, kam gluͤcklich hindurch, und erreichte endlich nach U- berſteigung vieler Abſchnitte und Palliſaden die freye Landſtraſſe.
Vor
o 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0231"n="217"/>
mir einzugeben, daß ich mich lieber ſelbſt ermorden,<lb/>
als dergleichen Marter ausſtehen ſolte, weil ich doch<lb/>ſo wohl davon <hirendition="#aq">crepi</hi>ren muͤßte als ein anderer, der<lb/>
nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er-<lb/>
litten. Jedoch dieſer <hirendition="#aq">deſperat</hi>e Entſchluß wurde<lb/>
noch bey Zeiten von chriſtlichen Gedancken erſtickt,<lb/>
hergegen fiel mir ein anderer <hirendition="#aq">Hazard</hi> ein, der doch<lb/>
zum wenigſten nicht ſo gar verzweifelt und ſtraͤflich<lb/>
zu achten war. Dieſemnach, da ich wußte, daß bey<lb/>
dem heimlichen Gemache, welches zu der <hirendition="#aq">Corps de<lb/>
Garde,</hi> da ich gefangen ſaß, gehoͤrete, eine ſchmale<lb/>
Schlufft den Wall hinab, nach dem Waſſer-Gra-<lb/>
ben zuging, <hirendition="#aq">obſervi</hi>rte ich Sonntags, nemlich<lb/>
des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen<lb/>ſolte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenſeit<lb/>
der Veſtung ſehr genau, <hirendition="#aq">ſimuli</hi>rte Nachts ein heff-<lb/>
tiges Reiſſen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus<lb/>
bringen, ſo lange, bis meine Begleiter daruͤber ver-<lb/>
drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge-<lb/>
hen erlaubten, wo man ſeinen Vortrag mit gebo-<lb/>
genen Knien zu thun <hirendition="#aq">obligi</hi>rt iſt, in Meynung, daß<lb/>
ich doch unmoͤglich entwiſchen koͤnte, weiln ohnedem<lb/>
4. Schild-Wachen um dieſe Gegend ſtuͤnden, die<lb/>
man nicht ſo leicht vorbey <hirendition="#aq">paſſi</hi>ren koͤnte. Allein<lb/>
ich erſahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr,<lb/>
rutſchte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin-<lb/>
ab, ſprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in<lb/>
den Graben, ſo, daß mir das Waſſer uͤber dem Kopfe<lb/>
zuſammen ſchlug, rief den Hoͤchſten, um Erhaltung<lb/>
meines Lebens an, begab mich aufs ſchwimmen,<lb/>
kam gluͤcklich hindurch, und erreichte endlich nach U-<lb/>
berſteigung vieler Abſchnitte und <hirendition="#aq">Palliſad</hi>en die freye<lb/>
Landſtraſſe.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">o 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Vor</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[217/0231]
mir einzugeben, daß ich mich lieber ſelbſt ermorden,
als dergleichen Marter ausſtehen ſolte, weil ich doch
ſo wohl davon crepiren muͤßte als ein anderer, der
nur vor wenig Tagen eben dergleichen Strafe er-
litten. Jedoch dieſer deſperate Entſchluß wurde
noch bey Zeiten von chriſtlichen Gedancken erſtickt,
hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch
zum wenigſten nicht ſo gar verzweifelt und ſtraͤflich
zu achten war. Dieſemnach, da ich wußte, daß bey
dem heimlichen Gemache, welches zu der Corps de
Garde, da ich gefangen ſaß, gehoͤrete, eine ſchmale
Schlufft den Wall hinab, nach dem Waſſer-Gra-
ben zuging, obſervirte ich Sonntags, nemlich
des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen
ſolte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenſeit
der Veſtung ſehr genau, ſimulirte Nachts ein heff-
tiges Reiſſen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus
bringen, ſo lange, bis meine Begleiter daruͤber ver-
drießlich wurden, und mir alleine an den Ort zu ge-
hen erlaubten, wo man ſeinen Vortrag mit gebo-
genen Knien zu thun obligirt iſt, in Meynung, daß
ich doch unmoͤglich entwiſchen koͤnte, weiln ohnedem
4. Schild-Wachen um dieſe Gegend ſtuͤnden, die
man nicht ſo leicht vorbey paſſiren koͤnte. Allein
ich erſahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr,
rutſchte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hin-
ab, ſprung eine 8. bis 9. Ellen hohe Mauer hinunter in
den Graben, ſo, daß mir das Waſſer uͤber dem Kopfe
zuſammen ſchlug, rief den Hoͤchſten, um Erhaltung
meines Lebens an, begab mich aufs ſchwimmen,
kam gluͤcklich hindurch, und erreichte endlich nach U-
berſteigung vieler Abſchnitte und Palliſaden die freye
Landſtraſſe.
Vor
o 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/231>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.