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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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lichen Handeln und den sie regulierenden sozialen Satzungen entnom-
men wurde, daß man dann unter Vermittelung religiöser Vorstellungen
von göttlichen Gesetzen sprach, und daß endlich, indem man die Na-
tur als ein lebendiges Ganzes auffaßte, der Begriff des Gesetzes auf
ihre Regelmäßigkeiten übertragen wurde. Und als man in der neueren
Zeit nun alles Geschehen, das natürliche wie das geistige, als einen gro-
ßen einheitlichen Zusammenhang zu begreifen begann, der in strenger
allgemeingültiger Form von Ursachen beherrscht wurde, gelangte man
zu der heute vorherrschenden Fassung und Vorstellung des Gesetz-
begriffes: wir benennen nicht mehr empirisch ermittelte Regelmäßig-
keiten so, sondern nur diejenigen, deren Ursachen wir genau festge-
stellt; und diese Genauigkeit gilt uns vor allem gesichert, wenn wir
die Wirkungsweise der kausalen Kräfte zahlenmäßig gemessen haben.
Und allgemein nennen wir im Gegensatze zu wirklichen Gesetzen die
Regelmäßigkeiten der Folge, deren Erklärung wir noch nicht oder nur
vermutungs- und teilweise geben können, empirische Gesetze, wobei
freilich die Grenze zwischen beiden zweifelhaft ist, da die Erkenntnis
des Kausalzusammenhanges verschiedene Stadien durchlaufen kann.
Als exakte Gesetze haben die Naturforscher begonnen die zu bezeich-
nen, deren Wirksamkeit auf einen genauen numerischen Ausdruck
gebracht werden kann. Das Ziel aller Auffindung von Gesetzen ist die
Zurückführung alles Komplizierteren auf ein Einfacheres; aus je
weniger obersten Gesetzen er alles ableitet, desto stolzer darf sich der
menschliche Intellekt fühlen. Der praktische Zweck ist die Voraussa-
gung und die damit erreichte praktische Herrschaft über die Dinge.

Aber auch wo wir vollendete und exakte Gesetze besitzen, wie in der
Astronomie und der Physik, ist die Voraussagung keine absolute, da wir
häufig nicht in der Lage sind, alle Daten uns zu verschaffen, die
Reihen der Kausalität rückwärts nicht sehr weit zu verfolgen imstande
sind, die ursprüngliche Anordnung der Elemente nicht kennen. Auch
die vorherzusehende Regelmäßigkeit der Erscheinungen ist nie eine ab-
solute, wenigstens wo es sich um kompliziertere, vor allem um biologi-
sche Gegenstände handelt. Kein Tier, kein Baum wiederholt sich in
absolut gleicher Form; wie sollten sich da menschliche Ereignisse und
Zustände in vollendeter Genauigkeit wiederholen? Aber das schließt
die Regelmäßigkeiten in der typischen Form, in den entscheidenden
Grundzügen nicht aus, und eben die suchen wir zu erkennen und
durch Gesetze zu erklären. Und noch weniger schließt das aus, daß
dieselben Ursachen dieselben Folgen haben. Wenn Knies daher sagt,
so oft man volkswirtschaftliche Verhältnisse verschiedener Zeiten und
Länder vergleiche, so handle es sich nicht um Gesetze eines absolut
gleichen Kausalnexus, sondern um Gesetze der Analogie, so ist das
ein etwas schiefer Ausdruck für die einfache Wahrheit, daß die psychi-

lichen Handeln und den sie regulierenden sozialen Satzungen entnom-
men wurde, daß man dann unter Vermittelung religiöser Vorstellungen
von göttlichen Gesetzen sprach, und daß endlich, indem man die Na-
tur als ein lebendiges Ganzes auffaßte, der Begriff des Gesetzes auf
ihre Regelmäßigkeiten übertragen wurde. Und als man in der neueren
Zeit nun alles Geschehen, das natürliche wie das geistige, als einen gro-
ßen einheitlichen Zusammenhang zu begreifen begann, der in strenger
allgemeingültiger Form von Ursachen beherrscht wurde, gelangte man
zu der heute vorherrschenden Fassung und Vorstellung des Gesetz-
begriffes: wir benennen nicht mehr empirisch ermittelte Regelmäßig-
keiten so, sondern nur diejenigen, deren Ursachen wir genau festge-
stellt; und diese Genauigkeit gilt uns vor allem gesichert, wenn wir
die Wirkungsweise der kausalen Kräfte zahlenmäßig gemessen haben.
Und allgemein nennen wir im Gegensatze zu wirklichen Gesetzen die
Regelmäßigkeiten der Folge, deren Erklärung wir noch nicht oder nur
vermutungs- und teilweise geben können, empirische Gesetze, wobei
freilich die Grenze zwischen beiden zweifelhaft ist, da die Erkenntnis
des Kausalzusammenhanges verschiedene Stadien durchlaufen kann.
Als exakte Gesetze haben die Naturforscher begonnen die zu bezeich-
nen, deren Wirksamkeit auf einen genauen numerischen Ausdruck
gebracht werden kann. Das Ziel aller Auffindung von Gesetzen ist die
Zurückführung alles Komplizierteren auf ein Einfacheres; aus je
weniger obersten Gesetzen er alles ableitet, desto stolzer darf sich der
menschliche Intellekt fühlen. Der praktische Zweck ist die Voraussa-
gung und die damit erreichte praktische Herrschaft über die Dinge.

Aber auch wo wir vollendete und exakte Gesetze besitzen, wie in der
Astronomie und der Physik, ist die Voraussagung keine absolute, da wir
häufig nicht in der Lage sind, alle Daten uns zu verschaffen, die
Reihen der Kausalität rückwärts nicht sehr weit zu verfolgen imstande
sind, die ursprüngliche Anordnung der Elemente nicht kennen. Auch
die vorherzusehende Regelmäßigkeit der Erscheinungen ist nie eine ab-
solute, wenigstens wo es sich um kompliziertere, vor allem um biologi-
sche Gegenstände handelt. Kein Tier, kein Baum wiederholt sich in
absolut gleicher Form; wie sollten sich da menschliche Ereignisse und
Zustände in vollendeter Genauigkeit wiederholen? Aber das schließt
die Regelmäßigkeiten in der typischen Form, in den entscheidenden
Grundzügen nicht aus, und eben die suchen wir zu erkennen und
durch Gesetze zu erklären. Und noch weniger schließt das aus, daß
dieselben Ursachen dieselben Folgen haben. Wenn Knies daher sagt,
so oft man volkswirtschaftliche Verhältnisse verschiedener Zeiten und
Länder vergleiche, so handle es sich nicht um Gesetze eines absolut
gleichen Kausalnexus, sondern um Gesetze der Analogie, so ist das
ein etwas schiefer Ausdruck für die einfache Wahrheit, daß die psychi-

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[68/0072] lichen Handeln und den sie regulierenden sozialen Satzungen entnom- men wurde, daß man dann unter Vermittelung religiöser Vorstellungen von göttlichen Gesetzen sprach, und daß endlich, indem man die Na- tur als ein lebendiges Ganzes auffaßte, der Begriff des Gesetzes auf ihre Regelmäßigkeiten übertragen wurde. Und als man in der neueren Zeit nun alles Geschehen, das natürliche wie das geistige, als einen gro- ßen einheitlichen Zusammenhang zu begreifen begann, der in strenger allgemeingültiger Form von Ursachen beherrscht wurde, gelangte man zu der heute vorherrschenden Fassung und Vorstellung des Gesetz- begriffes: wir benennen nicht mehr empirisch ermittelte Regelmäßig- keiten so, sondern nur diejenigen, deren Ursachen wir genau festge- stellt; und diese Genauigkeit gilt uns vor allem gesichert, wenn wir die Wirkungsweise der kausalen Kräfte zahlenmäßig gemessen haben. Und allgemein nennen wir im Gegensatze zu wirklichen Gesetzen die Regelmäßigkeiten der Folge, deren Erklärung wir noch nicht oder nur vermutungs- und teilweise geben können, empirische Gesetze, wobei freilich die Grenze zwischen beiden zweifelhaft ist, da die Erkenntnis des Kausalzusammenhanges verschiedene Stadien durchlaufen kann. Als exakte Gesetze haben die Naturforscher begonnen die zu bezeich- nen, deren Wirksamkeit auf einen genauen numerischen Ausdruck gebracht werden kann. Das Ziel aller Auffindung von Gesetzen ist die Zurückführung alles Komplizierteren auf ein Einfacheres; aus je weniger obersten Gesetzen er alles ableitet, desto stolzer darf sich der menschliche Intellekt fühlen. Der praktische Zweck ist die Voraussa- gung und die damit erreichte praktische Herrschaft über die Dinge. Aber auch wo wir vollendete und exakte Gesetze besitzen, wie in der Astronomie und der Physik, ist die Voraussagung keine absolute, da wir häufig nicht in der Lage sind, alle Daten uns zu verschaffen, die Reihen der Kausalität rückwärts nicht sehr weit zu verfolgen imstande sind, die ursprüngliche Anordnung der Elemente nicht kennen. Auch die vorherzusehende Regelmäßigkeit der Erscheinungen ist nie eine ab- solute, wenigstens wo es sich um kompliziertere, vor allem um biologi- sche Gegenstände handelt. Kein Tier, kein Baum wiederholt sich in absolut gleicher Form; wie sollten sich da menschliche Ereignisse und Zustände in vollendeter Genauigkeit wiederholen? Aber das schließt die Regelmäßigkeiten in der typischen Form, in den entscheidenden Grundzügen nicht aus, und eben die suchen wir zu erkennen und durch Gesetze zu erklären. Und noch weniger schließt das aus, daß dieselben Ursachen dieselben Folgen haben. Wenn Knies daher sagt, so oft man volkswirtschaftliche Verhältnisse verschiedener Zeiten und Länder vergleiche, so handle es sich nicht um Gesetze eines absolut gleichen Kausalnexus, sondern um Gesetze der Analogie, so ist das ein etwas schiefer Ausdruck für die einfache Wahrheit, daß die psychi-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/72>, abgerufen am 28.04.2024.