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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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VORWORT DES HERAUSGEBERS

Als im Jahr 1864 der ehemalige württembergische Finanz-Referendär
Schmoller seine erste Professur in Halle antrat, war er 26 Jahre alt.
Eigentlich hatte er wie sein Vater und seine Vorväter württembergischer
Verwaltungsbeamter werden wollen. Doch hatte er sich diese Karriere
verdorben, als es ruchbar wurde, daß aus seiner Feder eine Broschüre
stammte, die in dem Zollvereinskonflikt zwischen Preußen und den
süddeutschen Königreichen in einem für Württemberg höchst abträg-
lichen Sinne Stellung genommen hatte.

Auch in Halle geriet der junge Schmoller sofort in eine Kampf-
stellung, freilich diesmal nicht zum Staat, wohl aber -- und das wurde
für ihn von nachhaltigerer Wirkung -- gegen die Lehre und Lehr-
weise, die er vorfand und die er in jeder Hinsicht für so unzulänglich
hielt, daß er eine völlige Abkehr von ihr zu seiner mit Leidenschaft
vertretenen Forderung machte.

Wie sah die Lehre aus, die damals auf den deutschen Kathedern fast
allerorts vertreten wurde? Soweit sie nicht in der Polizeiwissenschaft
der alten Kameralistik stecken geblieben war, hatte sie sich gerade in
Deutschland unter dem Einfluß der Epigonen der englischen Klassiker,
der sogenannten Manchesterschule, einem auf die Spitze getriebenen
Rationalismus ergeben. "Die Zunahme teils an Scharfsinn, teils an
spekulierendem Gedankenreichtum", so wurde diese Lehre von dem
jungen Schmoller gekennzeichnet, "konnte diese Epigonen nicht davor
bewahren, immer mehr den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen
zu verlieren, immer mehr zu gänzlich anschauungs- und farblosen,
spintisierenden, abstrakten, einteilenden, definie enden Stubengelehrten,
zu phantastischen Sozialisten, zu kalkulierenden Mathematikern, zu
doktrinären, breitspurigen Theoretikern naturrechtlicher Robinsonaden
zu werden. Es trat die geistige Schwindsucht eines von der Empirie
gänzlich losgelösten Rationalismus ein."

Demgegenüber konnte nur eines helfen, die energische Rückwendung
zur empirischen Wirklichkeit. Nur so konnte "in die Adern des schwind-
süchtigen Körpers der Nationalökonomie wieder Blut und Leben ge-
bracht werden". Das war geboten, erstens damit die Nationalökonomie
ihrer Zweckbestimmung als Universitätswissenschaft, ihrer Aufgabe,
einen volkswirtschaftlich gut vorbereiteten Beamtennachwuchs aus-
zubilden, gerecht werden konnte, und zweitens weil nur so sie den
großen volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Aufgaben gewachsen
war, die die damalige Zeit eindringlich stellte. In zu krassem Wider-
spruch mit der von der herrschenden Schule gepriesenen "Harmonie
der Interessen" standen die tatsächlichen sozialen Gegensätze, die sich

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VORWORT DES HERAUSGEBERS

Als im Jahr 1864 der ehemalige württembergische Finanz-Referendär
Schmoller seine erste Professur in Halle antrat, war er 26 Jahre alt.
Eigentlich hatte er wie sein Vater und seine Vorväter württembergischer
Verwaltungsbeamter werden wollen. Doch hatte er sich diese Karriere
verdorben, als es ruchbar wurde, daß aus seiner Feder eine Broschüre
stammte, die in dem Zollvereinskonflikt zwischen Preußen und den
süddeutschen Königreichen in einem für Württemberg höchst abträg-
lichen Sinne Stellung genommen hatte.

Auch in Halle geriet der junge Schmoller sofort in eine Kampf-
stellung, freilich diesmal nicht zum Staat, wohl aber — und das wurde
für ihn von nachhaltigerer Wirkung — gegen die Lehre und Lehr-
weise, die er vorfand und die er in jeder Hinsicht für so unzulänglich
hielt, daß er eine völlige Abkehr von ihr zu seiner mit Leidenschaft
vertretenen Forderung machte.

Wie sah die Lehre aus, die damals auf den deutschen Kathedern fast
allerorts vertreten wurde? Soweit sie nicht in der Polizeiwissenschaft
der alten Kameralistik stecken geblieben war, hatte sie sich gerade in
Deutschland unter dem Einfluß der Epigonen der englischen Klassiker,
der sogenannten Manchesterschule, einem auf die Spitze getriebenen
Rationalismus ergeben. „Die Zunahme teils an Scharfsinn, teils an
spekulierendem Gedankenreichtum“, so wurde diese Lehre von dem
jungen Schmoller gekennzeichnet, „konnte diese Epigonen nicht davor
bewahren, immer mehr den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen
zu verlieren, immer mehr zu gänzlich anschauungs- und farblosen,
spintisierenden, abstrakten, einteilenden, definie enden Stubengelehrten,
zu phantastischen Sozialisten, zu kalkulierenden Mathematikern, zu
doktrinären, breitspurigen Theoretikern naturrechtlicher Robinsonaden
zu werden. Es trat die geistige Schwindsucht eines von der Empirie
gänzlich losgelösten Rationalismus ein.“

Demgegenüber konnte nur eines helfen, die energische Rückwendung
zur empirischen Wirklichkeit. Nur so konnte „in die Adern des schwind-
süchtigen Körpers der Nationalökonomie wieder Blut und Leben ge-
bracht werden“. Das war geboten, erstens damit die Nationalökonomie
ihrer Zweckbestimmung als Universitätswissenschaft, ihrer Aufgabe,
einen volkswirtschaftlich gut vorbereiteten Beamtennachwuchs aus-
zubilden, gerecht werden konnte, und zweitens weil nur so sie den
großen volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Aufgaben gewachsen
war, die die damalige Zeit eindringlich stellte. In zu krassem Wider-
spruch mit der von der herrschenden Schule gepriesenen „Harmonie
der Interessen“ standen die tatsächlichen sozialen Gegensätze, die sich

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[3/0007] VORWORT DES HERAUSGEBERS Als im Jahr 1864 der ehemalige württembergische Finanz-Referendär Schmoller seine erste Professur in Halle antrat, war er 26 Jahre alt. Eigentlich hatte er wie sein Vater und seine Vorväter württembergischer Verwaltungsbeamter werden wollen. Doch hatte er sich diese Karriere verdorben, als es ruchbar wurde, daß aus seiner Feder eine Broschüre stammte, die in dem Zollvereinskonflikt zwischen Preußen und den süddeutschen Königreichen in einem für Württemberg höchst abträg- lichen Sinne Stellung genommen hatte. Auch in Halle geriet der junge Schmoller sofort in eine Kampf- stellung, freilich diesmal nicht zum Staat, wohl aber — und das wurde für ihn von nachhaltigerer Wirkung — gegen die Lehre und Lehr- weise, die er vorfand und die er in jeder Hinsicht für so unzulänglich hielt, daß er eine völlige Abkehr von ihr zu seiner mit Leidenschaft vertretenen Forderung machte. Wie sah die Lehre aus, die damals auf den deutschen Kathedern fast allerorts vertreten wurde? Soweit sie nicht in der Polizeiwissenschaft der alten Kameralistik stecken geblieben war, hatte sie sich gerade in Deutschland unter dem Einfluß der Epigonen der englischen Klassiker, der sogenannten Manchesterschule, einem auf die Spitze getriebenen Rationalismus ergeben. „Die Zunahme teils an Scharfsinn, teils an spekulierendem Gedankenreichtum“, so wurde diese Lehre von dem jungen Schmoller gekennzeichnet, „konnte diese Epigonen nicht davor bewahren, immer mehr den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen zu verlieren, immer mehr zu gänzlich anschauungs- und farblosen, spintisierenden, abstrakten, einteilenden, definie enden Stubengelehrten, zu phantastischen Sozialisten, zu kalkulierenden Mathematikern, zu doktrinären, breitspurigen Theoretikern naturrechtlicher Robinsonaden zu werden. Es trat die geistige Schwindsucht eines von der Empirie gänzlich losgelösten Rationalismus ein.“ Demgegenüber konnte nur eines helfen, die energische Rückwendung zur empirischen Wirklichkeit. Nur so konnte „in die Adern des schwind- süchtigen Körpers der Nationalökonomie wieder Blut und Leben ge- bracht werden“. Das war geboten, erstens damit die Nationalökonomie ihrer Zweckbestimmung als Universitätswissenschaft, ihrer Aufgabe, einen volkswirtschaftlich gut vorbereiteten Beamtennachwuchs aus- zubilden, gerecht werden konnte, und zweitens weil nur so sie den großen volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Aufgaben gewachsen war, die die damalige Zeit eindringlich stellte. In zu krassem Wider- spruch mit der von der herrschenden Schule gepriesenen „Harmonie der Interessen“ standen die tatsächlichen sozialen Gegensätze, die sich 1*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/7>, abgerufen am 21.11.2024.