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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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schaftlich allein, sie ist nur psychologisch und im Zusammenhange mit
allen gesellschaftlichen Phänomenen zu erklären. Und so ist es auch
begreiflich, daß die psychologische und ethische Behandlung dieser
Fragen, je mehr sie sich auf empirische Beobachtung stützt, in das
mündet, was man heute Soziologie oder Sozialwissenschaft im all-
gemeinen nennt. Es ist daher, wenn man neuerdings die National-
ökonomie für einen Teil der allgemeinen Sozialwissenschaft erklärte,
im Grunde nichts anderes gemeint, als die Forderung einer Basierung
derselben auf psychologische, ethische, rechtsphilosophische Studien.
Praktisch wurde diese Forderung auch vielfach anerkannt.

Wie Aug. Comte und Herbert Spencer das volkswirtschaftliche Leben
nur ais einen Teil des sozialen behandelten, so haben die meisten neu-
eren Nationalökonomen -- es sei nur an A. Marshall erinnert -- sozio-
logische Elemente und Gedanken in ihre Darlegungen eingeflochten
oder sie haben, wie L. v. Stein, Schäffle, Wagner ethische, rechts-
philosophische und soziologische "Grundlegungen" versucht. Und wenn
ich einmal sagte, die politische Ökonomie, als Sammelbegriff für eine
Reihe von Wissenschaften, werde sich umzuwandeln haben in die
Sozialwissenschaft, so konnte ich nichts anderes meinen, als daß alle
Staats- und Sozialwissenschaften gewisse gemeinsame Grundlagen und
einheitliche Ursachen soziologischer und psychisch-ethischer Art haben.
Nur unbegreiflicher Mißverstand konnte auf Grund hiervon oder ähn-
licher Aussprüche gerade denjenigen, die in Vorlesungen und Schrif-
ten stets eher für größere Spezialisierung eingetreten sind, den Vor-
wurf machen, sie wollten eine Universalwissenschaft aller volkswirt-
schaftlichen oder sozialen Disziplinen, einen Mischmasch aller Sozial-
wissenschaften unter Aufhebung der Spezialwissenschaften begründen.
Sie wollten das so wenig, als etwa Mill Psychologie und Ethik mit der
Nationalökonomie zusammenwerfen wollte, indem er letztere eine psy-
chologische und ethische Wissenschaft nannte. Meine Losung war stets:
Teilung der Wissenschaft in Spezialgebiete nach Stoff und Methode,
genaue Untersuchung einzelner Probleme, Isolierung einzelner Gegen-
stände, aber Herantreten an jeden mit einer universalen, historisch-
philosophischen und soziologischen Geistesbildung, die fähig ist, das
einzelne als integrierenden Teil des Ganzen zu begreifen Dies muß um
so mehr auf unserem Gebiete festgehalten werden, weil, wie H. Spen-
cer so überzeugend nachweist, die sämtlichen psychischen Ursachen
untrennbar in einander verwachsen sind und weil alle gesellschaft-
lichen Erscheinungen von den sozialen Trieben an bis zu den wirt-
schaftlichen und politischen Institutionen hinauf in untrennbarem Zu-
sammenhange stehen, einheitliche Ursachen haben, während die Er-
scheinungen der Natur leicht in Klassen zu scheiden sind, die getrennt
für sich untersucht werden können. --

schaftlich allein, sie ist nur psychologisch und im Zusammenhange mit
allen gesellschaftlichen Phänomenen zu erklären. Und so ist es auch
begreiflich, daß die psychologische und ethische Behandlung dieser
Fragen, je mehr sie sich auf empirische Beobachtung stützt, in das
mündet, was man heute Soziologie oder Sozialwissenschaft im all-
gemeinen nennt. Es ist daher, wenn man neuerdings die National-
ökonomie für einen Teil der allgemeinen Sozialwissenschaft erklärte,
im Grunde nichts anderes gemeint, als die Forderung einer Basierung
derselben auf psychologische, ethische, rechtsphilosophische Studien.
Praktisch wurde diese Forderung auch vielfach anerkannt.

Wie Aug. Comte und Herbert Spencer das volkswirtschaftliche Leben
nur ais einen Teil des sozialen behandelten, so haben die meisten neu-
eren Nationalökonomen — es sei nur an A. Marshall erinnert — sozio-
logische Elemente und Gedanken in ihre Darlegungen eingeflochten
oder sie haben, wie L. v. Stein, Schäffle, Wagner ethische, rechts-
philosophische und soziologische „Grundlegungen“ versucht. Und wenn
ich einmal sagte, die politische Ökonomie, als Sammelbegriff für eine
Reihe von Wissenschaften, werde sich umzuwandeln haben in die
Sozialwissenschaft, so konnte ich nichts anderes meinen, als daß alle
Staats- und Sozialwissenschaften gewisse gemeinsame Grundlagen und
einheitliche Ursachen soziologischer und psychisch-ethischer Art haben.
Nur unbegreiflicher Mißverstand konnte auf Grund hiervon oder ähn-
licher Aussprüche gerade denjenigen, die in Vorlesungen und Schrif-
ten stets eher für größere Spezialisierung eingetreten sind, den Vor-
wurf machen, sie wollten eine Universalwissenschaft aller volkswirt-
schaftlichen oder sozialen Disziplinen, einen Mischmasch aller Sozial-
wissenschaften unter Aufhebung der Spezialwissenschaften begründen.
Sie wollten das so wenig, als etwa Mill Psychologie und Ethik mit der
Nationalökonomie zusammenwerfen wollte, indem er letztere eine psy-
chologische und ethische Wissenschaft nannte. Meine Losung war stets:
Teilung der Wissenschaft in Spezialgebiete nach Stoff und Methode,
genaue Untersuchung einzelner Probleme, Isolierung einzelner Gegen-
stände, aber Herantreten an jeden mit einer universalen, historisch-
philosophischen und soziologischen Geistesbildung, die fähig ist, das
einzelne als integrierenden Teil des Ganzen zu begreifen Dies muß um
so mehr auf unserem Gebiete festgehalten werden, weil, wie H. Spen-
cer so überzeugend nachweist, die sämtlichen psychischen Ursachen
untrennbar in einander verwachsen sind und weil alle gesellschaft-
lichen Erscheinungen von den sozialen Trieben an bis zu den wirt-
schaftlichen und politischen Institutionen hinauf in untrennbarem Zu-
sammenhange stehen, einheitliche Ursachen haben, während die Er-
scheinungen der Natur leicht in Klassen zu scheiden sind, die getrennt
für sich untersucht werden können. —

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[54/0058] schaftlich allein, sie ist nur psychologisch und im Zusammenhange mit allen gesellschaftlichen Phänomenen zu erklären. Und so ist es auch begreiflich, daß die psychologische und ethische Behandlung dieser Fragen, je mehr sie sich auf empirische Beobachtung stützt, in das mündet, was man heute Soziologie oder Sozialwissenschaft im all- gemeinen nennt. Es ist daher, wenn man neuerdings die National- ökonomie für einen Teil der allgemeinen Sozialwissenschaft erklärte, im Grunde nichts anderes gemeint, als die Forderung einer Basierung derselben auf psychologische, ethische, rechtsphilosophische Studien. Praktisch wurde diese Forderung auch vielfach anerkannt. Wie Aug. Comte und Herbert Spencer das volkswirtschaftliche Leben nur ais einen Teil des sozialen behandelten, so haben die meisten neu- eren Nationalökonomen — es sei nur an A. Marshall erinnert — sozio- logische Elemente und Gedanken in ihre Darlegungen eingeflochten oder sie haben, wie L. v. Stein, Schäffle, Wagner ethische, rechts- philosophische und soziologische „Grundlegungen“ versucht. Und wenn ich einmal sagte, die politische Ökonomie, als Sammelbegriff für eine Reihe von Wissenschaften, werde sich umzuwandeln haben in die Sozialwissenschaft, so konnte ich nichts anderes meinen, als daß alle Staats- und Sozialwissenschaften gewisse gemeinsame Grundlagen und einheitliche Ursachen soziologischer und psychisch-ethischer Art haben. Nur unbegreiflicher Mißverstand konnte auf Grund hiervon oder ähn- licher Aussprüche gerade denjenigen, die in Vorlesungen und Schrif- ten stets eher für größere Spezialisierung eingetreten sind, den Vor- wurf machen, sie wollten eine Universalwissenschaft aller volkswirt- schaftlichen oder sozialen Disziplinen, einen Mischmasch aller Sozial- wissenschaften unter Aufhebung der Spezialwissenschaften begründen. Sie wollten das so wenig, als etwa Mill Psychologie und Ethik mit der Nationalökonomie zusammenwerfen wollte, indem er letztere eine psy- chologische und ethische Wissenschaft nannte. Meine Losung war stets: Teilung der Wissenschaft in Spezialgebiete nach Stoff und Methode, genaue Untersuchung einzelner Probleme, Isolierung einzelner Gegen- stände, aber Herantreten an jeden mit einer universalen, historisch- philosophischen und soziologischen Geistesbildung, die fähig ist, das einzelne als integrierenden Teil des Ganzen zu begreifen Dies muß um so mehr auf unserem Gebiete festgehalten werden, weil, wie H. Spen- cer so überzeugend nachweist, die sämtlichen psychischen Ursachen untrennbar in einander verwachsen sind und weil alle gesellschaft- lichen Erscheinungen von den sozialen Trieben an bis zu den wirt- schaftlichen und politischen Institutionen hinauf in untrennbarem Zu- sammenhange stehen, einheitliche Ursachen haben, während die Er- scheinungen der Natur leicht in Klassen zu scheiden sind, die getrennt für sich untersucht werden können. —

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/58>, abgerufen am 28.04.2024.