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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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vasseur, Pigeonneau, der Belgier Laveleye ebenso beigetragen wie die
Deutschen Brentano, Bücher, Gothein, Held, Inama, Knapp, Lamp-
recht, Lexis, Meitzen, Miakowski, Schanz, Schönberg, Schmoller,
Schnapper-Arndt, Thun etc.

Neben dieser Wirkung der wirtschaftsgeschichtlichen Studien steht nun
aber eine viel allgemeinere, welche die zunehmende historische Bil-
dung überhaupt ausgeübt hat, je mehr sie in alle Gebiete der Geistes-
wissenschaften eindrang. Sie war es in erster Linie, welche die natur-
rechtliche Theorie der Aufklärung von einer egoistischen Tauschgesell-
schaft zerstörte; sie zeigte, daß die Menschen nicht immer gleich seien,
nicht in immer gleichen typischen wirtschaftlichen Formen und Gesell-
schaftseinrichtungen sich bewegen; sie schuf die Vorstellung einer hi-
storischen Entwickelung der Völker und der Menschheit, sowie der
volkswirtschaftlichen Institutionen; sie brachte die volkswirtschaftliche
Forschung wieder in den rechten Zusammenhang mit Sitte, Recht und
Staat, mit den allgemeinen Ursachen der Kulturentwickelung über-
haupt; sie lehrte die Untersuchung der Kollektiverscheinungen neben
die Schlüsse zu stellen, die vom Individuum und seinen egoistischen
Interesse ausgehen; sie lehrte neben die Analyse die rechte Synthese zu
stellen; sie gab der isolierenden Abstraktion vielfach erst die rechte
Ergänzung, indem sie deren Ergebnisse wieder als Teilinhalte eines
zusammenhängenden Ganzen zu behandeln lehrte; so bekam, was vor-
her hohle Abstraktion und totes Schema war, wieder Blut und Leben.
Die Einwirkung der historischen Studien hat so die allgemeinen
Grundlagen der volkswirtschaftlichen Theorie umgestaltet, wie sie in
der Wirtschaftspolitik vielfach zu brauchbareren Schlüssen anleitete.
Vor allem aber hat sie denjenigen praktischen realistischen Sinn be-
fördert, ohne welchen alles Schließen auf sozialem und politischem
Gebiete so leicht ins Irre führt, jenen Sinn für das Wirkliche und
Mögliche, der ebenso weit davon entfernt ist, jeden kühnen Fortschritt
für unmöglich zu halten, weil die Menschen sich nicht änderten, wie
davon, törichte Zukunftspläne zu acceptieren, in der Hoffnung, irgend
eine sozialistische Einrichtung schaffe plötzlich lauter tugendhafte un-
interessierte Menschen. --

Die vergleichende Methode ist an sich nichts der historischen For-
schung Eigentümliches. Alle psychologische, alle volkswirtschaftliche
Untersuchung beruht auf einem Vergleichen, wie schon alle tiefer-
gehende Beobachtung zur Vergleichung derselben und der ähnlichen
Erscheinungen, zur Feststellung der Identität, des Unterschiedes, der
Ähnlichkeit hinführt, wie alles Experimentieren auf Vergleichen be-
ruht. Aber allerdings hat die Anhäufung des historischen Beobachtungs-
materials ganz besonders Anlaß gegeben, die Sitten, die Rechts- und
Wirtschaftsinstitutionen, den Verlauf analoger sozialer und wirtschaft-

vasseur, Pigeonneau, der Belgier Laveleye ebenso beigetragen wie dié
Deutschen Brentano, Bücher, Gothein, Held, Inama, Knapp, Lamp-
recht, Lexis, Meitzen, Miakowski, Schanz, Schönberg, Schmoller,
Schnapper-Arndt, Thun etc.

Neben dieser Wirkung der wirtschaftsgeschichtlichen Studien steht nun
aber eine viel allgemeinere, welche die zunehmende historische Bil-
dung überhaupt ausgeübt hat, je mehr sie in alle Gebiete der Geistes-
wissenschaften eindrang. Sie war es in erster Linie, welche die natur-
rechtliche Theorie der Aufklärung von einer egoistischen Tauschgesell-
schaft zerstörte; sie zeigte, daß die Menschen nicht immer gleich seien,
nicht in immer gleichen typischen wirtschaftlichen Formen und Gesell-
schaftseinrichtungen sich bewegen; sie schuf die Vorstellung einer hi-
storischen Entwickelung der Völker und der Menschheit, sowie der
volkswirtschaftlichen Institutionen; sie brachte die volkswirtschaftliche
Forschung wieder in den rechten Zusammenhang mit Sitte, Recht und
Staat, mit den allgemeinen Ursachen der Kulturentwickelung über-
haupt; sie lehrte die Untersuchung der Kollektiverscheinungen neben
die Schlüsse zu stellen, die vom Individuum und seinen egoistischen
Interesse ausgehen; sie lehrte neben die Analyse die rechte Synthese zu
stellen; sie gab der isolierenden Abstraktion vielfach erst die rechte
Ergänzung, indem sie deren Ergebnisse wieder als Teilinhalte eines
zusammenhängenden Ganzen zu behandeln lehrte; so bekam, was vor-
her hohle Abstraktion und totes Schema war, wieder Blut und Leben.
Die Einwirkung der historischen Studien hat so die allgemeinen
Grundlagen der volkswirtschaftlichen Theorie umgestaltet, wie sie in
der Wirtschaftspolitik vielfach zu brauchbareren Schlüssen anleitete.
Vor allem aber hat sie denjenigen praktischen realistischen Sinn be-
fördert, ohne welchen alles Schließen auf sozialem und politischem
Gebiete so leicht ins Irre führt, jenen Sinn für das Wirkliche und
Mögliche, der ebenso weit davon entfernt ist, jeden kühnen Fortschritt
für unmöglich zu halten, weil die Menschen sich nicht änderten, wie
davon, törichte Zukunftspläne zu acceptieren, in der Hoffnung, irgend
eine sozialistische Einrichtung schaffe plötzlich lauter tugendhafte un-
interessierte Menschen. —

Die vergleichende Methode ist an sich nichts der historischen For-
schung Eigentümliches. Alle psychologische, alle volkswirtschaftliche
Untersuchung beruht auf einem Vergleichen, wie schon alle tiefer-
gehende Beobachtung zur Vergleichung derselben und der ähnlichen
Erscheinungen, zur Feststellung der Identität, des Unterschiedes, der
Ähnlichkeit hinführt, wie alles Experimentieren auf Vergleichen be-
ruht. Aber allerdings hat die Anhäufung des historischen Beobachtungs-
materials ganz besonders Anlaß gegeben, die Sitten, die Rechts- und
Wirtschaftsinstitutionen, den Verlauf analoger sozialer und wirtschaft-

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[44/0048] vasseur, Pigeonneau, der Belgier Laveleye ebenso beigetragen wie dié Deutschen Brentano, Bücher, Gothein, Held, Inama, Knapp, Lamp- recht, Lexis, Meitzen, Miakowski, Schanz, Schönberg, Schmoller, Schnapper-Arndt, Thun etc. Neben dieser Wirkung der wirtschaftsgeschichtlichen Studien steht nun aber eine viel allgemeinere, welche die zunehmende historische Bil- dung überhaupt ausgeübt hat, je mehr sie in alle Gebiete der Geistes- wissenschaften eindrang. Sie war es in erster Linie, welche die natur- rechtliche Theorie der Aufklärung von einer egoistischen Tauschgesell- schaft zerstörte; sie zeigte, daß die Menschen nicht immer gleich seien, nicht in immer gleichen typischen wirtschaftlichen Formen und Gesell- schaftseinrichtungen sich bewegen; sie schuf die Vorstellung einer hi- storischen Entwickelung der Völker und der Menschheit, sowie der volkswirtschaftlichen Institutionen; sie brachte die volkswirtschaftliche Forschung wieder in den rechten Zusammenhang mit Sitte, Recht und Staat, mit den allgemeinen Ursachen der Kulturentwickelung über- haupt; sie lehrte die Untersuchung der Kollektiverscheinungen neben die Schlüsse zu stellen, die vom Individuum und seinen egoistischen Interesse ausgehen; sie lehrte neben die Analyse die rechte Synthese zu stellen; sie gab der isolierenden Abstraktion vielfach erst die rechte Ergänzung, indem sie deren Ergebnisse wieder als Teilinhalte eines zusammenhängenden Ganzen zu behandeln lehrte; so bekam, was vor- her hohle Abstraktion und totes Schema war, wieder Blut und Leben. Die Einwirkung der historischen Studien hat so die allgemeinen Grundlagen der volkswirtschaftlichen Theorie umgestaltet, wie sie in der Wirtschaftspolitik vielfach zu brauchbareren Schlüssen anleitete. Vor allem aber hat sie denjenigen praktischen realistischen Sinn be- fördert, ohne welchen alles Schließen auf sozialem und politischem Gebiete so leicht ins Irre führt, jenen Sinn für das Wirkliche und Mögliche, der ebenso weit davon entfernt ist, jeden kühnen Fortschritt für unmöglich zu halten, weil die Menschen sich nicht änderten, wie davon, törichte Zukunftspläne zu acceptieren, in der Hoffnung, irgend eine sozialistische Einrichtung schaffe plötzlich lauter tugendhafte un- interessierte Menschen. — Die vergleichende Methode ist an sich nichts der historischen For- schung Eigentümliches. Alle psychologische, alle volkswirtschaftliche Untersuchung beruht auf einem Vergleichen, wie schon alle tiefer- gehende Beobachtung zur Vergleichung derselben und der ähnlichen Erscheinungen, zur Feststellung der Identität, des Unterschiedes, der Ähnlichkeit hinführt, wie alles Experimentieren auf Vergleichen be- ruht. Aber allerdings hat die Anhäufung des historischen Beobachtungs- materials ganz besonders Anlaß gegeben, die Sitten, die Rechts- und Wirtschaftsinstitutionen, den Verlauf analoger sozialer und wirtschaft-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/48>, abgerufen am 19.04.2024.