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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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und ungenügende und falsche Antworten machen einen erheblichen
Teil des Materials wertlos. Erst langsam hat sich die Kunst der Zäh-
lung und Erhebung vervollkommnet; die Volkszählungen, die Zäh-
lungen des Gewichts und des Wertes der aus- und eingeführten Waren
und andere Teile der Statistik haben aber jetzt einen hohen Grad der
Zuverlässigkeit erreicht, während andere Teile des statistischen Mate-
rials noch sehr unvollkommen sind.

Die Bedeutung der statistischen Methode für den Fortschritt aller Er-
kenntnis auf dem Gebiete von Staat, Gesellschaft und Volkswirtschaft
war trotzdem eine ungeheuere. Die Ausbildung derselben war jeden-
falls einer der erheblichsten Fortschritte auf dem Gebiete der Sozial-
wissenschaften seit 150 Jahren. Die Statistik hat nach vielen Seiten das
hier fehlende Experiment ersetzt; sie hat vielfach erst den Sinn für
Genauigkeit und Präzision auf diesem Wissensgebiete geschaffen; sie
hat feste Größenvorstellungen an die Stelle lauter verschwommener
Anschauungen gesetzt; sie hat zuerst gestattet, die Massenerscheinungen,
die bisher nur einer vagen schätzenden Charakterisierung zugänglich
waren, einer festen Beobachtung zu unterwerfen, die zählbaren Merk-
male zu einer absolut sicheren Charakteristik zu verwerten; sie hat
durch ihre Tabellen, graphischen Darstellungen und andere Hilfsmittel
der Vergleichung die Veränderungen in der Entwickelung festgestellt,
auf die Erkenntnis der Ursachen hingelenkt, den Einfluß bestimmter
Haupt- und Nebenursachen zu messen gestattet. Indem man die sta-
tistischen Ergebnisse nach Raum und Zeit tabellarisch gliederte, die
Massenerscheinungen gleichsam als Funktionen von Raum und Zeit
auftreten ließ, erhielt man einen Einblick in die Abstufung der wir-
kenden Ursachen. Die Statistik hat die Bevölkerungslehre geschaffen,
der Völkerkunde und Finanz ihr festes Fundament gegeben; sie hat
die Geld- und Preislehre von groben Irrtümern gereinigt, die Schief-
heit so vieler voreiliger Generalisationen auf verschiedenen Gebieten
aufgedeckt; sie ist das Hauptinstrument der deskriptiven Volkswirt-
schaftslehre geworden. Ihre heutigen Fortschritte in der Lohnstatistik,
Berufsstatistik, Haushaltungsstatistik zeigen, wie sehr sie fähig ist,
auch fernerhin wichtige Teile der Wissenschaft zu verbessern und
gänzlich umzugestalten.

Über die Grenzen ihrer Wirksamkeit kann daneben doch kein Zweifel
sein. Fast ihr gesamtes Material gehört einer kurzen Spanne der neu-
eren Zeit und wenigen Kulturstaaten an. Sie liefert Wahrheiten immer
nur im Zusammenhange mit anderen Spezialwissenschaften, niemals
allein: nur der Nationalökonom, der Anthropolog, der Kriminalist,
der Mediziner, der ganz in seinem Fache zu Hause ist, kann mit die-
sem Meßinstrument richtig die Gegenstände seiner Untersuchung be-
handeln. Sie kann immer nur Quantitätsverhältnisse ergeben; die Qua-

und ungenügende und falsche Antworten machen einen erheblichen
Teil des Materials wertlos. Erst langsam hat sich die Kunst der Zäh-
lung und Erhebung vervollkommnet; die Volkszählungen, die Zäh-
lungen des Gewichts und des Wertes der aus- und eingeführten Waren
und andere Teile der Statistik haben aber jetzt einen hohen Grad der
Zuverlässigkeit erreicht, während andere Teile des statistischen Mate-
rials noch sehr unvollkommen sind.

Die Bedeutung der statistischen Methode für den Fortschritt aller Er-
kenntnis auf dem Gebiete von Staat, Gesellschaft und Volkswirtschaft
war trotzdem eine ungeheuere. Die Ausbildung derselben war jeden-
falls einer der erheblichsten Fortschritte auf dem Gebiete der Sozial-
wissenschaften seit 150 Jahren. Die Statistik hat nach vielen Seiten das
hier fehlende Experiment ersetzt; sie hat vielfach erst den Sinn für
Genauigkeit und Präzision auf diesem Wissensgebiete geschaffen; sie
hat feste Größenvorstellungen an die Stelle lauter verschwommener
Anschauungen gesetzt; sie hat zuerst gestattet, die Massenerscheinungen,
die bisher nur einer vagen schätzenden Charakterisierung zugänglich
waren, einer festen Beobachtung zu unterwerfen, die zählbaren Merk-
male zu einer absolut sicheren Charakteristik zu verwerten; sie hat
durch ihre Tabellen, graphischen Darstellungen und andere Hilfsmittel
der Vergleichung die Veränderungen in der Entwickelung festgestellt,
auf die Erkenntnis der Ursachen hingelenkt, den Einfluß bestimmter
Haupt- und Nebenursachen zu messen gestattet. Indem man die sta-
tistischen Ergebnisse nach Raum und Zeit tabellarisch gliederte, die
Massenerscheinungen gleichsam als Funktionen von Raum und Zeit
auftreten ließ, erhielt man einen Einblick in die Abstufung der wir-
kenden Ursachen. Die Statistik hat die Bevölkerungslehre geschaffen,
der Völkerkunde und Finanz ihr festes Fundament gegeben; sie hat
die Geld- und Preislehre von groben Irrtümern gereinigt, die Schief-
heit so vieler voreiliger Generalisationen auf verschiedenen Gebieten
aufgedeckt; sie ist das Hauptinstrument der deskriptiven Volkswirt-
schaftslehre geworden. Ihre heutigen Fortschritte in der Lohnstatistik,
Berufsstatistik, Haushaltungsstatistik zeigen, wie sehr sie fähig ist,
auch fernerhin wichtige Teile der Wissenschaft zu verbessern und
gänzlich umzugestalten.

Über die Grenzen ihrer Wirksamkeit kann daneben doch kein Zweifel
sein. Fast ihr gesamtes Material gehört einer kurzen Spanne der neu-
eren Zeit und wenigen Kulturstaaten an. Sie liefert Wahrheiten immer
nur im Zusammenhange mit anderen Spezialwissenschaften, niemals
allein: nur der Nationalökonom, der Anthropolog, der Kriminalist,
der Mediziner, der ganz in seinem Fache zu Hause ist, kann mit die-
sem Meßinstrument richtig die Gegenstände seiner Untersuchung be-
handeln. Sie kann immer nur Quantitätsverhältnisse ergeben; die Qua-

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[37/0041] und ungenügende und falsche Antworten machen einen erheblichen Teil des Materials wertlos. Erst langsam hat sich die Kunst der Zäh- lung und Erhebung vervollkommnet; die Volkszählungen, die Zäh- lungen des Gewichts und des Wertes der aus- und eingeführten Waren und andere Teile der Statistik haben aber jetzt einen hohen Grad der Zuverlässigkeit erreicht, während andere Teile des statistischen Mate- rials noch sehr unvollkommen sind. Die Bedeutung der statistischen Methode für den Fortschritt aller Er- kenntnis auf dem Gebiete von Staat, Gesellschaft und Volkswirtschaft war trotzdem eine ungeheuere. Die Ausbildung derselben war jeden- falls einer der erheblichsten Fortschritte auf dem Gebiete der Sozial- wissenschaften seit 150 Jahren. Die Statistik hat nach vielen Seiten das hier fehlende Experiment ersetzt; sie hat vielfach erst den Sinn für Genauigkeit und Präzision auf diesem Wissensgebiete geschaffen; sie hat feste Größenvorstellungen an die Stelle lauter verschwommener Anschauungen gesetzt; sie hat zuerst gestattet, die Massenerscheinungen, die bisher nur einer vagen schätzenden Charakterisierung zugänglich waren, einer festen Beobachtung zu unterwerfen, die zählbaren Merk- male zu einer absolut sicheren Charakteristik zu verwerten; sie hat durch ihre Tabellen, graphischen Darstellungen und andere Hilfsmittel der Vergleichung die Veränderungen in der Entwickelung festgestellt, auf die Erkenntnis der Ursachen hingelenkt, den Einfluß bestimmter Haupt- und Nebenursachen zu messen gestattet. Indem man die sta- tistischen Ergebnisse nach Raum und Zeit tabellarisch gliederte, die Massenerscheinungen gleichsam als Funktionen von Raum und Zeit auftreten ließ, erhielt man einen Einblick in die Abstufung der wir- kenden Ursachen. Die Statistik hat die Bevölkerungslehre geschaffen, der Völkerkunde und Finanz ihr festes Fundament gegeben; sie hat die Geld- und Preislehre von groben Irrtümern gereinigt, die Schief- heit so vieler voreiliger Generalisationen auf verschiedenen Gebieten aufgedeckt; sie ist das Hauptinstrument der deskriptiven Volkswirt- schaftslehre geworden. Ihre heutigen Fortschritte in der Lohnstatistik, Berufsstatistik, Haushaltungsstatistik zeigen, wie sehr sie fähig ist, auch fernerhin wichtige Teile der Wissenschaft zu verbessern und gänzlich umzugestalten. Über die Grenzen ihrer Wirksamkeit kann daneben doch kein Zweifel sein. Fast ihr gesamtes Material gehört einer kurzen Spanne der neu- eren Zeit und wenigen Kulturstaaten an. Sie liefert Wahrheiten immer nur im Zusammenhange mit anderen Spezialwissenschaften, niemals allein: nur der Nationalökonom, der Anthropolog, der Kriminalist, der Mediziner, der ganz in seinem Fache zu Hause ist, kann mit die- sem Meßinstrument richtig die Gegenstände seiner Untersuchung be- handeln. Sie kann immer nur Quantitätsverhältnisse ergeben; die Qua-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/41>, abgerufen am 28.03.2024.