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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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erwerben, da leisten sie, obwohl meist nur über Einzelheiten schrei-
bend, eben deshalb Vollendetes, weil sie die zwei Arten des Beobach-
tungsmaterials am richtigsten verbinden; ich erinnere an den Abbe
Galiani, an Necker, an J. G. Hoffmann, an Thünen, an G. Rümelin.
Von den eigentlichen Gelehrten zeigen diejenigen, welche es verstanden,
zugleich sich eine reiche praktische Lebenserfahrung zu erwerben, ähn-
liche Vorzüge, wie z. F. B. W. Hermann, G. Hanssen, Hildebrand.
Der Typus eines spekulierenden Büchergelehrten ohne eigene Beob-
achtung, ohne Welt- und Menschenkenntnis ist Karl Marx; mathe-
matische Spielereien waren seine Lieblingsbeschäftigung; sie verbinden
sich bei ihm mit ganz abstrakten Begriffen und mit allgemeinen ge-
schichtsphilosophischen Bildern. Er ist durch diese Eigenschaften trotz
aller Studien in den englischen Blaubüchern von dem Erfordernis
empirischer zuverlässiger Forschung, wie sie heute verlangt wird, viel-
leicht weiter entfernt, als irgend ein anderer bedeutender national-
ökonomischer Denker.

Die Fixierung der Beobachtung, so daß sie für andere verwertbar
wird, ist die Beschreibung. Sie schildert den aus dem übrigen Zu-
sammenhange des Geschehenden ausgesonderten Gegenstand, gibt ihm
den durch die wissenschaftliche Definition festgestellten Namen, ordnet
ihn unter die Arten und Klassen der verwandten Erscheinungen, stellt
Gleichheiten, Ähnlichkeiten, Koexistenzen, Folgen, Zusammenhänge
fest. Die Beschreibung gibt in der Regel schon deshalb viel mehr als
die Beobachtung, weil sie Folgerungen aus dem Beobachteten und aus
anderweiten anerkannten Wahrheiten einflicht; sie verbindet die ein-
zelnen Beobachtungen zu einem summarischen Ausdrucke; auch wo sie
nicht so weit geht, stellt sie zur Erläuterung die nächst vorhergehende
Beobachtung neben die neue, die gestrige Kursnotiz neben die heutige;
jede gute Beschreibung ist so vergleichend, wie in den meisten Hand-
büchern der Volkswirtschaftslehre mindestens englische, französische
und deutsche Dinge nebeneinander angeführt werden. Die Zusammen-
fassung mehrerer Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Versuch,
so ausprobierend, Gesamtvorstellungen über größere Gebiete des volks-
wirtschaftlichen Lebens zu schaffen, ist ein Hauptmittel, in das Chaos
zerstreuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der
Ansatz zu induktiven Schlüssen, wie alle Beschreibung ihren Haupt-
zweck darin hat, die Induktion vorzubereiten; aber sie ist, wie Mill
immer wieder betont, noch nicht Induktion und dient ebenso der De-
duktion und ihrer Verifikation.

Soll die Volkswirtschaft eines ganzen Landes, die Entwickelung einer
ganzen Idustrie, das Bank- oder Geldwesen eines Staates, die Lage der
Arbeiter eines Gewerbes geschildert werden, so handelt es sich um so
komplizierte Gegenstände, daß zu einer genauen, erschöpfenden, nach

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erwerben, da leisten sie, obwohl meist nur über Einzelheiten schrei-
bend, eben deshalb Vollendetes, weil sie die zwei Arten des Beobach-
tungsmaterials am richtigsten verbinden; ich erinnere an den Abbé
Galiani, an Necker, an J. G. Hoffmann, an Thünen, an G. Rümelin.
Von den eigentlichen Gelehrten zeigen diejenigen, welche es verstanden,
zugleich sich eine reiche praktische Lebenserfahrung zu erwerben, ähn-
liche Vorzüge, wie z. F. B. W. Hermann, G. Hanssen, Hildebrand.
Der Typus eines spekulierenden Büchergelehrten ohne eigene Beob-
achtung, ohne Welt- und Menschenkenntnis ist Karl Marx; mathe-
matische Spielereien waren seine Lieblingsbeschäftigung; sie verbinden
sich bei ihm mit ganz abstrakten Begriffen und mit allgemeinen ge-
schichtsphilosophischen Bildern. Er ist durch diese Eigenschaften trotz
aller Studien in den englischen Blaubüchern von dem Erfordernis
empirischer zuverlässiger Forschung, wie sie heute verlangt wird, viel-
leicht weiter entfernt, als irgend ein anderer bedeutender national-
ökonomischer Denker.

Die Fixierung der Beobachtung, so daß sie für andere verwertbar
wird, ist die Beschreibung. Sie schildert den aus dem übrigen Zu-
sammenhange des Geschehenden ausgesonderten Gegenstand, gibt ihm
den durch die wissenschaftliche Definition festgestellten Namen, ordnet
ihn unter die Arten und Klassen der verwandten Erscheinungen, stellt
Gleichheiten, Ähnlichkeiten, Koexistenzen, Folgen, Zusammenhänge
fest. Die Beschreibung gibt in der Regel schon deshalb viel mehr als
die Beobachtung, weil sie Folgerungen aus dem Beobachteten und aus
anderweiten anerkannten Wahrheiten einflicht; sie verbindet die ein-
zelnen Beobachtungen zu einem summarischen Ausdrucke; auch wo sie
nicht so weit geht, stellt sie zur Erläuterung die nächst vorhergehende
Beobachtung neben die neue, die gestrige Kursnotiz neben die heutige;
jede gute Beschreibung ist so vergleichend, wie in den meisten Hand-
büchern der Volkswirtschaftslehre mindestens englische, französische
und deutsche Dinge nebeneinander angeführt werden. Die Zusammen-
fassung mehrerer Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Versuch,
so ausprobierend, Gesamtvorstellungen über größere Gebiete des volks-
wirtschaftlichen Lebens zu schaffen, ist ein Hauptmittel, in das Chaos
zerstreuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der
Ansatz zu induktiven Schlüssen, wie alle Beschreibung ihren Haupt-
zweck darin hat, die Induktion vorzubereiten; aber sie ist, wie Mill
immer wieder betont, noch nicht Induktion und dient ebenso der De-
duktion und ihrer Verifikation.

Soll die Volkswirtschaft eines ganzen Landes, die Entwickelung einer
ganzen Idustrie, das Bank- oder Geldwesen eines Staates, die Lage der
Arbeiter eines Gewerbes geschildert werden, so handelt es sich um so
komplizierte Gegenstände, daß zu einer genauen, erschöpfenden, nach

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[33/0037] erwerben, da leisten sie, obwohl meist nur über Einzelheiten schrei- bend, eben deshalb Vollendetes, weil sie die zwei Arten des Beobach- tungsmaterials am richtigsten verbinden; ich erinnere an den Abbé Galiani, an Necker, an J. G. Hoffmann, an Thünen, an G. Rümelin. Von den eigentlichen Gelehrten zeigen diejenigen, welche es verstanden, zugleich sich eine reiche praktische Lebenserfahrung zu erwerben, ähn- liche Vorzüge, wie z. F. B. W. Hermann, G. Hanssen, Hildebrand. Der Typus eines spekulierenden Büchergelehrten ohne eigene Beob- achtung, ohne Welt- und Menschenkenntnis ist Karl Marx; mathe- matische Spielereien waren seine Lieblingsbeschäftigung; sie verbinden sich bei ihm mit ganz abstrakten Begriffen und mit allgemeinen ge- schichtsphilosophischen Bildern. Er ist durch diese Eigenschaften trotz aller Studien in den englischen Blaubüchern von dem Erfordernis empirischer zuverlässiger Forschung, wie sie heute verlangt wird, viel- leicht weiter entfernt, als irgend ein anderer bedeutender national- ökonomischer Denker. Die Fixierung der Beobachtung, so daß sie für andere verwertbar wird, ist die Beschreibung. Sie schildert den aus dem übrigen Zu- sammenhange des Geschehenden ausgesonderten Gegenstand, gibt ihm den durch die wissenschaftliche Definition festgestellten Namen, ordnet ihn unter die Arten und Klassen der verwandten Erscheinungen, stellt Gleichheiten, Ähnlichkeiten, Koexistenzen, Folgen, Zusammenhänge fest. Die Beschreibung gibt in der Regel schon deshalb viel mehr als die Beobachtung, weil sie Folgerungen aus dem Beobachteten und aus anderweiten anerkannten Wahrheiten einflicht; sie verbindet die ein- zelnen Beobachtungen zu einem summarischen Ausdrucke; auch wo sie nicht so weit geht, stellt sie zur Erläuterung die nächst vorhergehende Beobachtung neben die neue, die gestrige Kursnotiz neben die heutige; jede gute Beschreibung ist so vergleichend, wie in den meisten Hand- büchern der Volkswirtschaftslehre mindestens englische, französische und deutsche Dinge nebeneinander angeführt werden. Die Zusammen- fassung mehrerer Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Versuch, so ausprobierend, Gesamtvorstellungen über größere Gebiete des volks- wirtschaftlichen Lebens zu schaffen, ist ein Hauptmittel, in das Chaos zerstreuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der Ansatz zu induktiven Schlüssen, wie alle Beschreibung ihren Haupt- zweck darin hat, die Induktion vorzubereiten; aber sie ist, wie Mill immer wieder betont, noch nicht Induktion und dient ebenso der De- duktion und ihrer Verifikation. Soll die Volkswirtschaft eines ganzen Landes, die Entwickelung einer ganzen Idustrie, das Bank- oder Geldwesen eines Staates, die Lage der Arbeiter eines Gewerbes geschildert werden, so handelt es sich um so komplizierte Gegenstände, daß zu einer genauen, erschöpfenden, nach 3

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/37>, abgerufen am 24.11.2024.