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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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folgung erhoben, desto mehr wurden alle diese Regeln schon um der
leichteren Unterweisung willen in Spruch und Lied fixiert, in gereim-
ter und ungereimter Form überliefert, endlich mit der Ausbildung
des Schriftwesens verzeichnet. So entstanden erst in Priesterhänden,
später auch in Laienhänden jene Regelsammlungen verschiedenster
Art: Sammlungen von medizinischen Rezepten, von technischen Vor-
schriften, von Ritual-, Rechts- und Sittenregeln, wie sie der Dekalog
und andere antike Sammlungen, im Mittelalter die leges barbarorum,
die Bußbücher, die Weistümer, die technischen Regelsammlungen der
Klöster und der Zünfte, später die Kräuter- und Gartenbücher, und in
gewissem Sinne der größere Teil der ganzen älteren kameralistischen
Literatur darstellen. Die Erhaltung und Überlieferung von Regeln des
praktisch-technischen, wie des sozialen, sittlichen, gesellschaftlichen
Handelns ist der Zweck dieser Tätigkeit: es gehen religiöse, sitten-
ordnende, rechtliche und moralische wie praktisch-technische Sammel-
werke und Gesetzesbücher daraus hervor; sie werden immer wieder
abgeschrieben, modifiziert, auch nach und nach erklärt, interpretiert,
Sie stellen noch keine Wissenschaft dar, aber sie sind der Keim einer
solchen; ihr ausschließlicher Zweck ist, den Menschen ein Sollen nach
überlieferter Ordnung vorzuschreiben. Sie ruhen auf praktischer Er-
fahrung, freilich nicht auf ihr allein. Alles menschliche Handeln emp-
fängt seinen Anstoß durch Lust- und Schmerzgefühle und die daran
sich knüpfenden Triebe; unter der Einwirkung aber der Überlegung,
der Besonnenheit, der Selbstbeherrschung, der höheren Gefühle einer-
seits, der gesellschaftlichen Umgebung und ihrer Zwecke andererseits
entsteht die zeremoniöse Ordnung und Formung des Trieblebens, die
Sitte, der Begriff des Sollens, die Macht des Gewissens, die Vorstel-
lung von zu billigenden und zu mißbilligenden Handlungen; es ist ein
innerlicher Prozeß, dessen Resultate durch die Furcht vor den Gei-
stern und den Göttern, die Furcht vor gesellschaftlichem Tadel und
Ausschluß, vor Rache und Strafe äußerlich befestigt und so gleich-
sam unter einen gesellschaftlichen Druckapparat gestellt werden. Und
so enthalten schon diese ältesten Regeln, die ebenso das dem Indi-
viduum als das der Gesellschaft Heilsame bezwecken, empirische so-
wohl als rationale Elemente; sie beruhen auf den rohen Kausalitäts-
vorstellungen vom Eingreifen der Geister und Götter, von der Natur
und vom Himmel, von Leben und Sterben, von Tod und Schlaf, die
sie nach ihrer Art sich zusammenreimen, sowie auf den Werturteilen,
die sich an diese Vorstellungen knüpfen. Wahres und Falsches mischt
sich in ihnen, aber jedenfalls streben sie stets nach einer theoretischen
und praktischen Einheitlichkeit und Übereinstimmung.

Diese ist das Ergebnis des menschlichen Selbstbewußtseins. In dem
ewigen Wechsel von Gefühlen, Vorstellungen, Gedanken und Trieben

folgung erhoben, desto mehr wurden alle diese Regeln schon um der
leichteren Unterweisung willen in Spruch und Lied fixiert, in gereim-
ter und ungereimter Form überliefert, endlich mit der Ausbildung
des Schriftwesens verzeichnet. So entstanden erst in Priesterhänden,
später auch in Laienhänden jene Regelsammlungen verschiedenster
Art: Sammlungen von medizinischen Rezepten, von technischen Vor-
schriften, von Ritual-, Rechts- und Sittenregeln, wie sie der Dekalog
und andere antike Sammlungen, im Mittelalter die leges barbarorum,
die Bußbücher, die Weistümer, die technischen Regelsammlungen der
Klöster und der Zünfte, später die Kräuter- und Gartenbücher, und in
gewissem Sinne der größere Teil der ganzen älteren kameralistischen
Literatur darstellen. Die Erhaltung und Überlieferung von Regeln des
praktisch-technischen, wie des sozialen, sittlichen, gesellschaftlichen
Handelns ist der Zweck dieser Tätigkeit: es gehen religiöse, sitten-
ordnende, rechtliche und moralische wie praktisch-technische Sammel-
werke und Gesetzesbücher daraus hervor; sie werden immer wieder
abgeschrieben, modifiziert, auch nach und nach erklärt, interpretiert,
Sie stellen noch keine Wissenschaft dar, aber sie sind der Keim einer
solchen; ihr ausschließlicher Zweck ist, den Menschen ein Sollen nach
überlieferter Ordnung vorzuschreiben. Sie ruhen auf praktischer Er-
fahrung, freilich nicht auf ihr allein. Alles menschliche Handeln emp-
fängt seinen Anstoß durch Lust- und Schmerzgefühle und die daran
sich knüpfenden Triebe; unter der Einwirkung aber der Überlegung,
der Besonnenheit, der Selbstbeherrschung, der höheren Gefühle einer-
seits, der gesellschaftlichen Umgebung und ihrer Zwecke andererseits
entsteht die zeremoniöse Ordnung und Formung des Trieblebens, die
Sitte, der Begriff des Sollens, die Macht des Gewissens, die Vorstel-
lung von zu billigenden und zu mißbilligenden Handlungen; es ist ein
innerlicher Prozeß, dessen Resultate durch die Furcht vor den Gei-
stern und den Göttern, die Furcht vor gesellschaftlichem Tadel und
Ausschluß, vor Rache und Strafe äußerlich befestigt und so gleich-
sam unter einen gesellschaftlichen Druckapparat gestellt werden. Und
so enthalten schon diese ältesten Regeln, die ebenso das dem Indi-
viduum als das der Gesellschaft Heilsame bezwecken, empirische so-
wohl als rationale Elemente; sie beruhen auf den rohen Kausalitäts-
vorstellungen vom Eingreifen der Geister und Götter, von der Natur
und vom Himmel, von Leben und Sterben, von Tod und Schlaf, die
sie nach ihrer Art sich zusammenreimen, sowie auf den Werturteilen,
die sich an diese Vorstellungen knüpfen. Wahres und Falsches mischt
sich in ihnen, aber jedenfalls streben sie stets nach einer theoretischen
und praktischen Einheitlichkeit und Übereinstimmung.

Diese ist das Ergebnis des menschlichen Selbstbewußtseins. In dem
ewigen Wechsel von Gefühlen, Vorstellungen, Gedanken und Trieben

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[20/0024] folgung erhoben, desto mehr wurden alle diese Regeln schon um der leichteren Unterweisung willen in Spruch und Lied fixiert, in gereim- ter und ungereimter Form überliefert, endlich mit der Ausbildung des Schriftwesens verzeichnet. So entstanden erst in Priesterhänden, später auch in Laienhänden jene Regelsammlungen verschiedenster Art: Sammlungen von medizinischen Rezepten, von technischen Vor- schriften, von Ritual-, Rechts- und Sittenregeln, wie sie der Dekalog und andere antike Sammlungen, im Mittelalter die leges barbarorum, die Bußbücher, die Weistümer, die technischen Regelsammlungen der Klöster und der Zünfte, später die Kräuter- und Gartenbücher, und in gewissem Sinne der größere Teil der ganzen älteren kameralistischen Literatur darstellen. Die Erhaltung und Überlieferung von Regeln des praktisch-technischen, wie des sozialen, sittlichen, gesellschaftlichen Handelns ist der Zweck dieser Tätigkeit: es gehen religiöse, sitten- ordnende, rechtliche und moralische wie praktisch-technische Sammel- werke und Gesetzesbücher daraus hervor; sie werden immer wieder abgeschrieben, modifiziert, auch nach und nach erklärt, interpretiert, Sie stellen noch keine Wissenschaft dar, aber sie sind der Keim einer solchen; ihr ausschließlicher Zweck ist, den Menschen ein Sollen nach überlieferter Ordnung vorzuschreiben. Sie ruhen auf praktischer Er- fahrung, freilich nicht auf ihr allein. Alles menschliche Handeln emp- fängt seinen Anstoß durch Lust- und Schmerzgefühle und die daran sich knüpfenden Triebe; unter der Einwirkung aber der Überlegung, der Besonnenheit, der Selbstbeherrschung, der höheren Gefühle einer- seits, der gesellschaftlichen Umgebung und ihrer Zwecke andererseits entsteht die zeremoniöse Ordnung und Formung des Trieblebens, die Sitte, der Begriff des Sollens, die Macht des Gewissens, die Vorstel- lung von zu billigenden und zu mißbilligenden Handlungen; es ist ein innerlicher Prozeß, dessen Resultate durch die Furcht vor den Gei- stern und den Göttern, die Furcht vor gesellschaftlichem Tadel und Ausschluß, vor Rache und Strafe äußerlich befestigt und so gleich- sam unter einen gesellschaftlichen Druckapparat gestellt werden. Und so enthalten schon diese ältesten Regeln, die ebenso das dem Indi- viduum als das der Gesellschaft Heilsame bezwecken, empirische so- wohl als rationale Elemente; sie beruhen auf den rohen Kausalitäts- vorstellungen vom Eingreifen der Geister und Götter, von der Natur und vom Himmel, von Leben und Sterben, von Tod und Schlaf, die sie nach ihrer Art sich zusammenreimen, sowie auf den Werturteilen, die sich an diese Vorstellungen knüpfen. Wahres und Falsches mischt sich in ihnen, aber jedenfalls streben sie stets nach einer theoretischen und praktischen Einheitlichkeit und Übereinstimmung. Diese ist das Ergebnis des menschlichen Selbstbewußtseins. In dem ewigen Wechsel von Gefühlen, Vorstellungen, Gedanken und Trieben

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/24>, abgerufen am 21.11.2024.