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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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kameralistischen Vorlesungen in drei Teile geteilt. Rau schied die Fi-
nanz als besonderen Teil aus, weil sie die größte und selbständigste
Einzelwirtschaft behandelt, eine Reihe ihr allein angehöriger Fragen
einschließt und er seinen Kameralisten nicht bloß einiges über Steuern
und Staatsschulden erzählen, sondern den ganzen Finanzhaushalt eines
deutschen Staates schildern wollte. Den übrigen Stoff zerlegte er dann
in eine rein abstrakte Theorie und in eine praktische Anwendung.
Diese letztere Scheidung entsprach einerseits der damaligen Mode-
vorstellung, die man den Engländern entnommen, daß es eine von
Staat und Verwaltung gänzlich unabhängige natürliche Volkswirtschaft
gebe, und sie gestattete die saubere logische, überwiegend abstrakte
Formulierung der Lehrsätze über Wert, Preis und Einkommensvertei-
lung; sie kam andererseits dem Bedürfnis entgegen, aus der alten ver-
waltungsrechtlichen und technologischen Kameralistik dem Studieren-
den das Nötige über Landwirtschaft und Gewerbe und ihre staatliche
Pflege gesondert und im Zusammenhange zu sagen. Die Loslösung der
Finanz- von der Volkswirtschaftslehre wurde bald auch in der Lite-
ratur der anderen Staaten anerkannt, die Scheidung in theoretische
und praktische Nationalökonomie, Volkswirtschaftstheorie und Volks-
wirtschaftspolitik blieb mehr eine deutsche Eigentümlichkeit. Sie hat
sich auch bis heute erhalten, nur sind nach und nach andere prinzi-
pielle Gesichtspunkte bei der Scheidung in den Vordergrund getreten.
Wir setzen heute eine allgemeine einer speziellen Volkswirtschaftslehre
entgegen, ziehen in beiden Teilen das Verhältnis von Staat, Recht,
Sitte und Moral zur Volkswirtschaft in Betracht; aber wir suchen das
eine Mal eine abstrakte Durchschnittsvolkswirtschaft vorzuführen oder
in theoretischer Begründung unser volkswirtschaftliches Wissen zusam-
menzufassen, und das andere Mal schildern wir eine bestimmte Zeit
oder vielmehr ein bestimmtes Volk, eine Völkergruppe nach ihrer wirt-
schaftlichen Seite in konkreter Einzelausführung.

Die allgemeine heutige Nationalökonomie ist philosophisch-soziolo-
gischen Charakters. Sie geht vom Wesen der Gesellschaft und den all-
gemeinen Ursachen des wirtschaftlichen Lebens und Handelns aus,
schildert die typischen Organe und Bewegungen, die wichtigsten Ein-
richtungen statisch und dynamisch. Sie sucht systematisch und prin-
zipiell aus den unvollkommenen Bruchstücken unserer Erkenntnis ein
Ganzes zu machen: sie schreitet vom Allgemeinen zum Speziellen vor-
an, zieht das Besondere mehr nur zur Illustration der Wahrheiten her-
an, die sie glaubt lehren zu können. Sie gibt dem Anfänger einen
Umriß; für den Gelehrten bildet sie den Versuch, das Spezielle zum
Range allgemeiner Wahrheiten zu erheben. Sie kann eine um so ge-
schlossenere Form annehmen, je mehr sie nur in abstrakt-theoretischer
Weise auf die Wert- und Einkommensfragen sich beschränkt; sie nähert

kameralistischen Vorlesungen in drei Teile geteilt. Rau schied die Fi-
nanz als besonderen Teil aus, weil sie die größte und selbständigste
Einzelwirtschaft behandelt, eine Reihe ihr allein angehöriger Fragen
einschließt und er seinen Kameralisten nicht bloß einiges über Steuern
und Staatsschulden erzählen, sondern den ganzen Finanzhaushalt eines
deutschen Staates schildern wollte. Den übrigen Stoff zerlegte er dann
in eine rein abstrakte Theorie und in eine praktische Anwendung.
Diese letztere Scheidung entsprach einerseits der damaligen Mode-
vorstellung, die man den Engländern entnommen, daß es eine von
Staat und Verwaltung gänzlich unabhängige natürliche Volkswirtschaft
gebe, und sie gestattete die saubere logische, überwiegend abstrakte
Formulierung der Lehrsätze über Wert, Preis und Einkommensvertei-
lung; sie kam andererseits dem Bedürfnis entgegen, aus der alten ver-
waltungsrechtlichen und technologischen Kameralistik dem Studieren-
den das Nötige über Landwirtschaft und Gewerbe und ihre staatliche
Pflege gesondert und im Zusammenhange zu sagen. Die Loslösung der
Finanz- von der Volkswirtschaftslehre wurde bald auch in der Lite-
ratur der anderen Staaten anerkannt, die Scheidung in theoretische
und praktische Nationalökonomie, Volkswirtschaftstheorie und Volks-
wirtschaftspolitik blieb mehr eine deutsche Eigentümlichkeit. Sie hat
sich auch bis heute erhalten, nur sind nach und nach andere prinzi-
pielle Gesichtspunkte bei der Scheidung in den Vordergrund getreten.
Wir setzen heute eine allgemeine einer speziellen Volkswirtschaftslehre
entgegen, ziehen in beiden Teilen das Verhältnis von Staat, Recht,
Sitte und Moral zur Volkswirtschaft in Betracht; aber wir suchen das
eine Mal eine abstrakte Durchschnittsvolkswirtschaft vorzuführen oder
in theoretischer Begründung unser volkswirtschaftliches Wissen zusam-
menzufassen, und das andere Mal schildern wir eine bestimmte Zeit
oder vielmehr ein bestimmtes Volk, eine Völkergruppe nach ihrer wirt-
schaftlichen Seite in konkreter Einzelausführung.

Die allgemeine heutige Nationalökonomie ist philosophisch-soziolo-
gischen Charakters. Sie geht vom Wesen der Gesellschaft und den all-
gemeinen Ursachen des wirtschaftlichen Lebens und Handelns aus,
schildert die typischen Organe und Bewegungen, die wichtigsten Ein-
richtungen statisch und dynamisch. Sie sucht systematisch und prin-
zipiell aus den unvollkommenen Bruchstücken unserer Erkenntnis ein
Ganzes zu machen: sie schreitet vom Allgemeinen zum Speziellen vor-
an, zieht das Besondere mehr nur zur Illustration der Wahrheiten her-
an, die sie glaubt lehren zu können. Sie gibt dem Anfänger einen
Umriß; für den Gelehrten bildet sie den Versuch, das Spezielle zum
Range allgemeiner Wahrheiten zu erheben. Sie kann eine um so ge-
schlossenere Form annehmen, je mehr sie nur in abstrakt-theoretischer
Weise auf die Wert- und Einkommensfragen sich beschränkt; sie nähert

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[16/0020] kameralistischen Vorlesungen in drei Teile geteilt. Rau schied die Fi- nanz als besonderen Teil aus, weil sie die größte und selbständigste Einzelwirtschaft behandelt, eine Reihe ihr allein angehöriger Fragen einschließt und er seinen Kameralisten nicht bloß einiges über Steuern und Staatsschulden erzählen, sondern den ganzen Finanzhaushalt eines deutschen Staates schildern wollte. Den übrigen Stoff zerlegte er dann in eine rein abstrakte Theorie und in eine praktische Anwendung. Diese letztere Scheidung entsprach einerseits der damaligen Mode- vorstellung, die man den Engländern entnommen, daß es eine von Staat und Verwaltung gänzlich unabhängige natürliche Volkswirtschaft gebe, und sie gestattete die saubere logische, überwiegend abstrakte Formulierung der Lehrsätze über Wert, Preis und Einkommensvertei- lung; sie kam andererseits dem Bedürfnis entgegen, aus der alten ver- waltungsrechtlichen und technologischen Kameralistik dem Studieren- den das Nötige über Landwirtschaft und Gewerbe und ihre staatliche Pflege gesondert und im Zusammenhange zu sagen. Die Loslösung der Finanz- von der Volkswirtschaftslehre wurde bald auch in der Lite- ratur der anderen Staaten anerkannt, die Scheidung in theoretische und praktische Nationalökonomie, Volkswirtschaftstheorie und Volks- wirtschaftspolitik blieb mehr eine deutsche Eigentümlichkeit. Sie hat sich auch bis heute erhalten, nur sind nach und nach andere prinzi- pielle Gesichtspunkte bei der Scheidung in den Vordergrund getreten. Wir setzen heute eine allgemeine einer speziellen Volkswirtschaftslehre entgegen, ziehen in beiden Teilen das Verhältnis von Staat, Recht, Sitte und Moral zur Volkswirtschaft in Betracht; aber wir suchen das eine Mal eine abstrakte Durchschnittsvolkswirtschaft vorzuführen oder in theoretischer Begründung unser volkswirtschaftliches Wissen zusam- menzufassen, und das andere Mal schildern wir eine bestimmte Zeit oder vielmehr ein bestimmtes Volk, eine Völkergruppe nach ihrer wirt- schaftlichen Seite in konkreter Einzelausführung. Die allgemeine heutige Nationalökonomie ist philosophisch-soziolo- gischen Charakters. Sie geht vom Wesen der Gesellschaft und den all- gemeinen Ursachen des wirtschaftlichen Lebens und Handelns aus, schildert die typischen Organe und Bewegungen, die wichtigsten Ein- richtungen statisch und dynamisch. Sie sucht systematisch und prin- zipiell aus den unvollkommenen Bruchstücken unserer Erkenntnis ein Ganzes zu machen: sie schreitet vom Allgemeinen zum Speziellen vor- an, zieht das Besondere mehr nur zur Illustration der Wahrheiten her- an, die sie glaubt lehren zu können. Sie gibt dem Anfänger einen Umriß; für den Gelehrten bildet sie den Versuch, das Spezielle zum Range allgemeiner Wahrheiten zu erheben. Sie kann eine um so ge- schlossenere Form annehmen, je mehr sie nur in abstrakt-theoretischer Weise auf die Wert- und Einkommensfragen sich beschränkt; sie nähert

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/20>, abgerufen am 21.11.2024.