Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.I. DIE VOLKSWIRTSCHAFT Fragen wir zuerst, was wir unter Wirtschaft und Volkswirtschaft ver- Die ganz auf sich ruhende, nicht für den Markt, sondern nur für den I. DIE VOLKSWIRTSCHAFT Fragen wir zuerst, was wir unter Wirtschaft und Volkswirtschaft ver- Die ganz auf sich ruhende, nicht für den Markt, sondern nur für den <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0013" n="9"/> <div n="1"> <head>I.<lb/> DIE VOLKSWIRTSCHAFT</head><lb/> <p>Fragen wir zuerst, was wir unter Wirtschaft und Volkswirtschaft ver-<lb/> stehen? Der erstere Begriff ist sehr viel älter als der letztere. Seit<lb/> den griechischen Philosophen die Hauswirtschaft der Familie, der<lb/> daran sich knüpfenden Tausch- und Geldverkehr und die Wirtschaft<lb/> der Gemeinden als eigentümliche und einer besonderen Betrachtung<lb/> würdige Gegenstände erschienen, haben die von ihnen beeinflußten<lb/> Kulturvölker die einschlägigen Fragen unter dem Namen der wirt-<lb/> schaftlichen oder ökonomischen zusammengefaßt und von anderen<lb/> unterschieden. Der Haushalt und der Erwerb der Familie und der<lb/> Stadtgemeinde stand im Mittelpunkte der Vorstellungen, die man als<lb/> wirtschaftliche aussonderte. Das technische Handeln der Menschen für<lb/> ihre Ernährung, Bekleidung, Behausung wurde dabei mit gedacht, aber<lb/> trat doch in den Hintergrund gegenüber der sozialen Ordnung dieser<lb/> Handlungen durch Haus und Gemeinde, Markt und Verkehr. Soweit<lb/> uns aus älteren Zeiten eine Überlieferung wirtschaftlicher Erörte-<lb/> rungen erhalten ist, beziehen sie sich auf moralische und politische<lb/> Betrachtungen des wirtschaftlichen Handelns. Auch das deutsche Wort<lb/> Wirt, Wirtschaft bedeutet in erster Linie den Haushalt, wie die Öko-<lb/> nomie von <hi rendition="#i">οἶϰος,</hi> Haus, herstammt; der Wirt ist der Hauswirt, der<lb/> Landwirt, der Gastwirt. Die Wirtschaft können wir definieren als den<lb/> Inbegriff oder geschlossenen Kreis von Veranstaltungen und Beziehun-<lb/> gen, den eine oder mehrere zusammenlebende Personen durch ihre Ar-<lb/> beit, ihre Einwirkung auf die materielle Außenwelt, ihren Tausch-<lb/> verkehr zum Zwecke ihres Unterhaltes, erstens und hauptsächlich unter<lb/> sich selbst und dann gegenüber dritten Außenstehenden, hergestellt<lb/> haben. Jede einzelne Wirtschaft setzt andere neben ihr bestehende,<lb/> durch Rechtsschranken von ihr getrennte, durch Stamm, Gemeinde,<lb/> Staat und Völkerrecht mit ihr verbundene voraus, von welchen einzelne<lb/> in nähere, andere in entferntere Beziehung durch gemeinsame Arbeiten<lb/> oder Austausch von Gütern und Leistungen mit ihr kommen.</p><lb/> <p>Die ganz auf sich ruhende, nicht für den Markt, sondern nur für den<lb/> eigenen Gebrauch arbeitende Hauswirtschaft der älteren Zeiten hatte<lb/> mit den Nachbarwirtschaften nur insofern Beziehungen, als meist die<lb/> Dorf- und Stammesgenossen in der Feldgemeinschaft, bei der Vertei-<lb/> digung, bei gemeinsamen Bauten, bei Nomaden- und Beutezügen zu-<lb/> sammenwirkten. Die spätere bäuerliche Wirtschaft, wie die des älteren<lb/> städtischen Händlers und Handwerkers hatte darüber hinaus schon die<lb/> Beziehungen eines lokalen Tausch- und Marktverkehrs. Aber man<lb/> sprach doch nicht von einer Volkswirtschaft. Der Tauschverkehr blieb<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0013]
I.
DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Fragen wir zuerst, was wir unter Wirtschaft und Volkswirtschaft ver-
stehen? Der erstere Begriff ist sehr viel älter als der letztere. Seit
den griechischen Philosophen die Hauswirtschaft der Familie, der
daran sich knüpfenden Tausch- und Geldverkehr und die Wirtschaft
der Gemeinden als eigentümliche und einer besonderen Betrachtung
würdige Gegenstände erschienen, haben die von ihnen beeinflußten
Kulturvölker die einschlägigen Fragen unter dem Namen der wirt-
schaftlichen oder ökonomischen zusammengefaßt und von anderen
unterschieden. Der Haushalt und der Erwerb der Familie und der
Stadtgemeinde stand im Mittelpunkte der Vorstellungen, die man als
wirtschaftliche aussonderte. Das technische Handeln der Menschen für
ihre Ernährung, Bekleidung, Behausung wurde dabei mit gedacht, aber
trat doch in den Hintergrund gegenüber der sozialen Ordnung dieser
Handlungen durch Haus und Gemeinde, Markt und Verkehr. Soweit
uns aus älteren Zeiten eine Überlieferung wirtschaftlicher Erörte-
rungen erhalten ist, beziehen sie sich auf moralische und politische
Betrachtungen des wirtschaftlichen Handelns. Auch das deutsche Wort
Wirt, Wirtschaft bedeutet in erster Linie den Haushalt, wie die Öko-
nomie von οἶϰος, Haus, herstammt; der Wirt ist der Hauswirt, der
Landwirt, der Gastwirt. Die Wirtschaft können wir definieren als den
Inbegriff oder geschlossenen Kreis von Veranstaltungen und Beziehun-
gen, den eine oder mehrere zusammenlebende Personen durch ihre Ar-
beit, ihre Einwirkung auf die materielle Außenwelt, ihren Tausch-
verkehr zum Zwecke ihres Unterhaltes, erstens und hauptsächlich unter
sich selbst und dann gegenüber dritten Außenstehenden, hergestellt
haben. Jede einzelne Wirtschaft setzt andere neben ihr bestehende,
durch Rechtsschranken von ihr getrennte, durch Stamm, Gemeinde,
Staat und Völkerrecht mit ihr verbundene voraus, von welchen einzelne
in nähere, andere in entferntere Beziehung durch gemeinsame Arbeiten
oder Austausch von Gütern und Leistungen mit ihr kommen.
Die ganz auf sich ruhende, nicht für den Markt, sondern nur für den
eigenen Gebrauch arbeitende Hauswirtschaft der älteren Zeiten hatte
mit den Nachbarwirtschaften nur insofern Beziehungen, als meist die
Dorf- und Stammesgenossen in der Feldgemeinschaft, bei der Vertei-
digung, bei gemeinsamen Bauten, bei Nomaden- und Beutezügen zu-
sammenwirkten. Die spätere bäuerliche Wirtschaft, wie die des älteren
städtischen Händlers und Handwerkers hatte darüber hinaus schon die
Beziehungen eines lokalen Tausch- und Marktverkehrs. Aber man
sprach doch nicht von einer Volkswirtschaft. Der Tauschverkehr blieb
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