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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die theilweise Berechtigung staatlicher Eingriffe.
etwaigen Organe der untern Klassen durch einzelne Roh-
heiten und Pöbelhaftigkeiten unehrlicher und ehrgeiziger
Führer entstellt werden, übers Ziel hinausschießen, eine
sonst gute Sache zu oft diskreditiren. Deßwegen können
die Zustände leicht so liegen, daß der Staat im Inter-
esse der Allgemeinheit, als Träger der sittlichen Zukunft
der ganzen Nation irgendwie eingreifen muß.

Die Gegner jeder solchen Maßregel suchen sie
dadurch lächerlich zu machen, daß sie es darstellen, als
ob ein solcher Eingriff nur stattfinden könne in der
Form plumber Lohnregulirung, die in Widerspruch mit
Angebot und Nachfrage stehe, oder in der Form roher
sozialistischer Eigenthumsverletzungen, daß sie jede derartige
Thätigkeit zusammenwerfen mit jenem "furor bureau-
kraticus,"
der ohne Verständniß für bürgerliche Freiheit
und Selbständigkeit alles durch Beamte regeln läßt.

Gewiß haben wir in Deutschland bisher an einem
Uebermaß von Beamtenmaßregelung gelitten; gewiß gilt
es vor Allem, die Bureaukratie zu beschränken, ihr
durch entsprechende Reformen Gegengewichte zu schaffen;
aber einer komplizirten Gesetzgebung können wir damit
für unsere komplizirten Kulturverhältnisse nicht entbehren.
Wir haben nur dafür zu sorgen, daß ein möglichst großer
Theil dieser Gesetze durch die Organe der Selbstver-
waltung, durch Ehrenämter, durch Bürger selbst und
nicht durch Beamte ausgeführt werden. Für andere
Dinge, besonders für solche, in welchen die Klassen-
interessen der Besitzenden engagirt sind, können wir
dagegen der staatlichen Organe nicht entbehren. Haben
wir aber erst eine richtige Selbstverwaltung in der

Die theilweiſe Berechtigung ſtaatlicher Eingriffe.
etwaigen Organe der untern Klaſſen durch einzelne Roh-
heiten und Pöbelhaftigkeiten unehrlicher und ehrgeiziger
Führer entſtellt werden, übers Ziel hinausſchießen, eine
ſonſt gute Sache zu oft diskreditiren. Deßwegen können
die Zuſtände leicht ſo liegen, daß der Staat im Inter-
eſſe der Allgemeinheit, als Träger der ſittlichen Zukunft
der ganzen Nation irgendwie eingreifen muß.

Die Gegner jeder ſolchen Maßregel ſuchen ſie
dadurch lächerlich zu machen, daß ſie es darſtellen, als
ob ein ſolcher Eingriff nur ſtattfinden könne in der
Form plumber Lohnregulirung, die in Widerſpruch mit
Angebot und Nachfrage ſtehe, oder in der Form roher
ſozialiſtiſcher Eigenthumsverletzungen, daß ſie jede derartige
Thätigkeit zuſammenwerfen mit jenem „furor bureau-
kraticus,“
der ohne Verſtändniß für bürgerliche Freiheit
und Selbſtändigkeit alles durch Beamte regeln läßt.

Gewiß haben wir in Deutſchland bisher an einem
Uebermaß von Beamtenmaßregelung gelitten; gewiß gilt
es vor Allem, die Bureaukratie zu beſchränken, ihr
durch entſprechende Reformen Gegengewichte zu ſchaffen;
aber einer komplizirten Geſetzgebung können wir damit
für unſere komplizirten Kulturverhältniſſe nicht entbehren.
Wir haben nur dafür zu ſorgen, daß ein möglichſt großer
Theil dieſer Geſetze durch die Organe der Selbſtver-
waltung, durch Ehrenämter, durch Bürger ſelbſt und
nicht durch Beamte ausgeführt werden. Für andere
Dinge, beſonders für ſolche, in welchen die Klaſſen-
intereſſen der Beſitzenden engagirt ſind, können wir
dagegen der ſtaatlichen Organe nicht entbehren. Haben
wir aber erſt eine richtige Selbſtverwaltung in der

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[683/0705] Die theilweiſe Berechtigung ſtaatlicher Eingriffe. etwaigen Organe der untern Klaſſen durch einzelne Roh- heiten und Pöbelhaftigkeiten unehrlicher und ehrgeiziger Führer entſtellt werden, übers Ziel hinausſchießen, eine ſonſt gute Sache zu oft diskreditiren. Deßwegen können die Zuſtände leicht ſo liegen, daß der Staat im Inter- eſſe der Allgemeinheit, als Träger der ſittlichen Zukunft der ganzen Nation irgendwie eingreifen muß. Die Gegner jeder ſolchen Maßregel ſuchen ſie dadurch lächerlich zu machen, daß ſie es darſtellen, als ob ein ſolcher Eingriff nur ſtattfinden könne in der Form plumber Lohnregulirung, die in Widerſpruch mit Angebot und Nachfrage ſtehe, oder in der Form roher ſozialiſtiſcher Eigenthumsverletzungen, daß ſie jede derartige Thätigkeit zuſammenwerfen mit jenem „furor bureau- kraticus,“ der ohne Verſtändniß für bürgerliche Freiheit und Selbſtändigkeit alles durch Beamte regeln läßt. Gewiß haben wir in Deutſchland bisher an einem Uebermaß von Beamtenmaßregelung gelitten; gewiß gilt es vor Allem, die Bureaukratie zu beſchränken, ihr durch entſprechende Reformen Gegengewichte zu ſchaffen; aber einer komplizirten Geſetzgebung können wir damit für unſere komplizirten Kulturverhältniſſe nicht entbehren. Wir haben nur dafür zu ſorgen, daß ein möglichſt großer Theil dieſer Geſetze durch die Organe der Selbſtver- waltung, durch Ehrenämter, durch Bürger ſelbſt und nicht durch Beamte ausgeführt werden. Für andere Dinge, beſonders für ſolche, in welchen die Klaſſen- intereſſen der Beſitzenden engagirt ſind, können wir dagegen der ſtaatlichen Organe nicht entbehren. Haben wir aber erſt eine richtige Selbſtverwaltung in der

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/705>, abgerufen am 23.11.2024.