bewiesen haben, daß unser modernes Staatsschuldenwesen die Besitzvertheilung wesentlich zu Gunsten der Besitzen- den und zu Ungunsten der Nichtbesitzenden beeinflußt.
Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird sich streiten lassen, aber über den Gesammterfolg, über die steigende Ungleichheit der Besitz- und Einkommens- verhältnisse nicht. Und mag der faktische Zusammenhang zwischen wirthschaftlichen Tugenden und persönlichen Fähigkeiten einerseits und der Vermögensvertheilung andererseits heutzutage sein, welcher er will, der weitere Erfolg ist jedenfalls ein schlimmer: das Verschwinden des Mittelstandes untergräbt unsere politische wie unsere soziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den Besitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen Ehrendienstes für den Staat und die Gemeinde auferlegt, wird eine steigende Vermögensungleichheit die Folgen haben, die sie immer gehabt hat, und es wäre thörichte Selbsttäuschung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An- fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der einen Seite den Untergang der Besitzenden in Genuß- sucht und Materialismus, Maitressenwirthschaft und Geldheirathen, kinderlose Ehen, welche die großen Ver- mögen noch mehr zusammenhäufen, Mißbrauch des Regiments für die Zwecke der Besitzenden, hartherzige Frivolität gegenüber den nothleidenden Klassen; -- auf der anderen Seite die Masse der Besitzlosen ohne anderes Vorbild als diese Vermögensaristokratie, ohne Bildungselemente und geistige Anregung in sich, ver- zehrt von dumpfem gehässigem Neid, die Arbeit ver- fluchend, ergeben einem leichtsinnigen Leben in den Tag,
Die Gefahren der zu großen Vermögensungleichheit.
bewieſen haben, daß unſer modernes Staatsſchuldenweſen die Beſitzvertheilung weſentlich zu Gunſten der Beſitzen- den und zu Ungunſten der Nichtbeſitzenden beeinflußt.
Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird ſich ſtreiten laſſen, aber über den Geſammterfolg, über die ſteigende Ungleichheit der Beſitz- und Einkommens- verhältniſſe nicht. Und mag der faktiſche Zuſammenhang zwiſchen wirthſchaftlichen Tugenden und perſönlichen Fähigkeiten einerſeits und der Vermögensvertheilung andererſeits heutzutage ſein, welcher er will, der weitere Erfolg iſt jedenfalls ein ſchlimmer: das Verſchwinden des Mittelſtandes untergräbt unſere politiſche wie unſere ſoziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den Beſitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen Ehrendienſtes für den Staat und die Gemeinde auferlegt, wird eine ſteigende Vermögensungleichheit die Folgen haben, die ſie immer gehabt hat, und es wäre thörichte Selbſttäuſchung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An- fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der einen Seite den Untergang der Beſitzenden in Genuß- ſucht und Materialismus, Maitreſſenwirthſchaft und Geldheirathen, kinderloſe Ehen, welche die großen Ver- mögen noch mehr zuſammenhäufen, Mißbrauch des Regiments für die Zwecke der Beſitzenden, hartherzige Frivolität gegenüber den nothleidenden Klaſſen; — auf der anderen Seite die Maſſe der Beſitzloſen ohne anderes Vorbild als dieſe Vermögensariſtokratie, ohne Bildungselemente und geiſtige Anregung in ſich, ver- zehrt von dumpfem gehäſſigem Neid, die Arbeit ver- fluchend, ergeben einem leichtſinnigen Leben in den Tag,
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Die Gefahren der zu großen Vermögensungleichheit.
bewieſen haben, daß unſer modernes Staatsſchuldenweſen
die Beſitzvertheilung weſentlich zu Gunſten der Beſitzen-
den und zu Ungunſten der Nichtbeſitzenden beeinflußt.
Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird
ſich ſtreiten laſſen, aber über den Geſammterfolg, über
die ſteigende Ungleichheit der Beſitz- und Einkommens-
verhältniſſe nicht. Und mag der faktiſche Zuſammenhang
zwiſchen wirthſchaftlichen Tugenden und perſönlichen
Fähigkeiten einerſeits und der Vermögensvertheilung
andererſeits heutzutage ſein, welcher er will, der weitere
Erfolg iſt jedenfalls ein ſchlimmer: das Verſchwinden
des Mittelſtandes untergräbt unſere politiſche wie unſere
ſoziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den
Beſitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen
Ehrendienſtes für den Staat und die Gemeinde auferlegt,
wird eine ſteigende Vermögensungleichheit die Folgen
haben, die ſie immer gehabt hat, und es wäre thörichte
Selbſttäuſchung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An-
fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der
einen Seite den Untergang der Beſitzenden in Genuß-
ſucht und Materialismus, Maitreſſenwirthſchaft und
Geldheirathen, kinderloſe Ehen, welche die großen Ver-
mögen noch mehr zuſammenhäufen, Mißbrauch des
Regiments für die Zwecke der Beſitzenden, hartherzige
Frivolität gegenüber den nothleidenden Klaſſen; —
auf der anderen Seite die Maſſe der Beſitzloſen ohne
anderes Vorbild als dieſe Vermögensariſtokratie, ohne
Bildungselemente und geiſtige Anregung in ſich, ver-
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/699>, abgerufen am 23.11.2024.
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