Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Gefahren der zu großen Vermögensungleichheit.
bewiesen haben, daß unser modernes Staatsschuldenwesen
die Besitzvertheilung wesentlich zu Gunsten der Besitzen-
den und zu Ungunsten der Nichtbesitzenden beeinflußt.

Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird
sich streiten lassen, aber über den Gesammterfolg, über
die steigende Ungleichheit der Besitz- und Einkommens-
verhältnisse nicht. Und mag der faktische Zusammenhang
zwischen wirthschaftlichen Tugenden und persönlichen
Fähigkeiten einerseits und der Vermögensvertheilung
andererseits heutzutage sein, welcher er will, der weitere
Erfolg ist jedenfalls ein schlimmer: das Verschwinden
des Mittelstandes untergräbt unsere politische wie unsere
soziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den
Besitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen
Ehrendienstes für den Staat und die Gemeinde auferlegt,
wird eine steigende Vermögensungleichheit die Folgen
haben, die sie immer gehabt hat, und es wäre thörichte
Selbsttäuschung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An-
fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der
einen Seite den Untergang der Besitzenden in Genuß-
sucht und Materialismus, Maitressenwirthschaft und
Geldheirathen, kinderlose Ehen, welche die großen Ver-
mögen noch mehr zusammenhäufen, Mißbrauch des
Regiments für die Zwecke der Besitzenden, hartherzige
Frivolität gegenüber den nothleidenden Klassen; --
auf der anderen Seite die Masse der Besitzlosen ohne
anderes Vorbild als diese Vermögensaristokratie, ohne
Bildungselemente und geistige Anregung in sich, ver-
zehrt von dumpfem gehässigem Neid, die Arbeit ver-
fluchend, ergeben einem leichtsinnigen Leben in den Tag,

Die Gefahren der zu großen Vermögensungleichheit.
bewieſen haben, daß unſer modernes Staatsſchuldenweſen
die Beſitzvertheilung weſentlich zu Gunſten der Beſitzen-
den und zu Ungunſten der Nichtbeſitzenden beeinflußt.

Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird
ſich ſtreiten laſſen, aber über den Geſammterfolg, über
die ſteigende Ungleichheit der Beſitz- und Einkommens-
verhältniſſe nicht. Und mag der faktiſche Zuſammenhang
zwiſchen wirthſchaftlichen Tugenden und perſönlichen
Fähigkeiten einerſeits und der Vermögensvertheilung
andererſeits heutzutage ſein, welcher er will, der weitere
Erfolg iſt jedenfalls ein ſchlimmer: das Verſchwinden
des Mittelſtandes untergräbt unſere politiſche wie unſere
ſoziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den
Beſitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen
Ehrendienſtes für den Staat und die Gemeinde auferlegt,
wird eine ſteigende Vermögensungleichheit die Folgen
haben, die ſie immer gehabt hat, und es wäre thörichte
Selbſttäuſchung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An-
fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der
einen Seite den Untergang der Beſitzenden in Genuß-
ſucht und Materialismus, Maitreſſenwirthſchaft und
Geldheirathen, kinderloſe Ehen, welche die großen Ver-
mögen noch mehr zuſammenhäufen, Mißbrauch des
Regiments für die Zwecke der Beſitzenden, hartherzige
Frivolität gegenüber den nothleidenden Klaſſen; —
auf der anderen Seite die Maſſe der Beſitzloſen ohne
anderes Vorbild als dieſe Vermögensariſtokratie, ohne
Bildungselemente und geiſtige Anregung in ſich, ver-
zehrt von dumpfem gehäſſigem Neid, die Arbeit ver-
fluchend, ergeben einem leichtſinnigen Leben in den Tag,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0699" n="677"/><fw place="top" type="header">Die Gefahren der zu großen Vermögensungleichheit.</fw><lb/>
bewie&#x017F;en haben, daß un&#x017F;er modernes Staats&#x017F;chuldenwe&#x017F;en<lb/>
die Be&#x017F;itzvertheilung we&#x017F;entlich zu Gun&#x017F;ten der Be&#x017F;itzen-<lb/>
den und zu Ungun&#x017F;ten der Nichtbe&#x017F;itzenden beeinflußt.</p><lb/>
        <p>Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;treiten la&#x017F;&#x017F;en, aber über den Ge&#x017F;ammterfolg, über<lb/>
die &#x017F;teigende Ungleichheit der Be&#x017F;itz- und Einkommens-<lb/>
verhältni&#x017F;&#x017F;e nicht. Und mag der fakti&#x017F;che Zu&#x017F;ammenhang<lb/>
zwi&#x017F;chen wirth&#x017F;chaftlichen Tugenden und per&#x017F;önlichen<lb/>
Fähigkeiten einer&#x017F;eits und der Vermögensvertheilung<lb/>
anderer&#x017F;eits heutzutage &#x017F;ein, welcher er will, der weitere<lb/>
Erfolg i&#x017F;t jedenfalls ein &#x017F;chlimmer: das Ver&#x017F;chwinden<lb/>
des Mittel&#x017F;tandes untergräbt un&#x017F;ere politi&#x017F;che wie un&#x017F;ere<lb/>
&#x017F;oziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den<lb/>
Be&#x017F;itzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen<lb/>
Ehrendien&#x017F;tes für den Staat und die Gemeinde auferlegt,<lb/>
wird eine &#x017F;teigende Vermögensungleichheit die Folgen<lb/>
haben, die &#x017F;ie immer gehabt hat, und es wäre thörichte<lb/>
Selb&#x017F;ttäu&#x017F;chung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An-<lb/>
fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der<lb/>
einen Seite den Untergang der Be&#x017F;itzenden in Genuß-<lb/>
&#x017F;ucht und Materialismus, Maitre&#x017F;&#x017F;enwirth&#x017F;chaft und<lb/>
Geldheirathen, kinderlo&#x017F;e Ehen, welche die großen Ver-<lb/>
mögen noch mehr zu&#x017F;ammenhäufen, Mißbrauch des<lb/>
Regiments für die Zwecke der Be&#x017F;itzenden, hartherzige<lb/>
Frivolität gegenüber den nothleidenden Kla&#x017F;&#x017F;en; &#x2014;<lb/>
auf der anderen Seite die Ma&#x017F;&#x017F;e der Be&#x017F;itzlo&#x017F;en ohne<lb/>
anderes Vorbild als die&#x017F;e Vermögensari&#x017F;tokratie, ohne<lb/>
Bildungselemente und gei&#x017F;tige Anregung in &#x017F;ich, ver-<lb/>
zehrt von dumpfem gehä&#x017F;&#x017F;igem Neid, die Arbeit ver-<lb/>
fluchend, ergeben einem leicht&#x017F;innigen Leben in den Tag,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[677/0699] Die Gefahren der zu großen Vermögensungleichheit. bewieſen haben, daß unſer modernes Staatsſchuldenweſen die Beſitzvertheilung weſentlich zu Gunſten der Beſitzen- den und zu Ungunſten der Nichtbeſitzenden beeinflußt. Ueber jeden einzelnen der angeführten Punkte wird ſich ſtreiten laſſen, aber über den Geſammterfolg, über die ſteigende Ungleichheit der Beſitz- und Einkommens- verhältniſſe nicht. Und mag der faktiſche Zuſammenhang zwiſchen wirthſchaftlichen Tugenden und perſönlichen Fähigkeiten einerſeits und der Vermögensvertheilung andererſeits heutzutage ſein, welcher er will, der weitere Erfolg iſt jedenfalls ein ſchlimmer: das Verſchwinden des Mittelſtandes untergräbt unſere politiſche wie unſere ſoziale Zukunft. Vollends in einem Lande, das den Beſitzenden bis jetzt noch kaum die Pflicht freiwilligen Ehrendienſtes für den Staat und die Gemeinde auferlegt, wird eine ſteigende Vermögensungleichheit die Folgen haben, die ſie immer gehabt hat, und es wäre thörichte Selbſttäuſchung, wenn wir leugnen wollten, daß wir An- fänge hierzu bei uns nur allzu zahlreich finden: auf der einen Seite den Untergang der Beſitzenden in Genuß- ſucht und Materialismus, Maitreſſenwirthſchaft und Geldheirathen, kinderloſe Ehen, welche die großen Ver- mögen noch mehr zuſammenhäufen, Mißbrauch des Regiments für die Zwecke der Beſitzenden, hartherzige Frivolität gegenüber den nothleidenden Klaſſen; — auf der anderen Seite die Maſſe der Beſitzloſen ohne anderes Vorbild als dieſe Vermögensariſtokratie, ohne Bildungselemente und geiſtige Anregung in ſich, ver- zehrt von dumpfem gehäſſigem Neid, die Arbeit ver- fluchend, ergeben einem leichtſinnigen Leben in den Tag,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/699
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/699>, abgerufen am 24.05.2024.