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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
Pirmasenz als Schuhmacherort bekannt. Die Entstehung
des Gewerbes an diesem Ort ist komisch genug. Land-
graf Ludwig IX von Hessen hatte seine Residenz dahin
verlegt und wollte daselbst möglichst viel Soldaten,
zugleich aber eine zunehmende Bevölkerung haben; er
machte seinen Soldaten das Heirathen zur Pflicht,
erlaubte ihnen aber nebenher ein Gewerbe zu treiben;
sie warfen sich hauptsächlich auf die Schuhmacherei, die
Pirmasenzer Schuhmädchen gingen damit hausiren; jetzt
zählt der Ort von 8000 Einwohnern 13 größere und
63 kleinere Geschäfte mit 17 Buchhaltern, 54 Zuschnei-
dern, 1154 Arbeitern und 466 Arbeiterinnen mit 60
bis 90 Näh-, Sohlschneide- und andern Maschinen. 1
Sie liefern jährlich 130000 Dutzend Paar Stiefeln
oder Schuhe im Werthe von etwa 2 Mill. fl.; der
Export geht nach Ost- und Westindien, Australien und
Südamerika.

Die erste wichtigere Aenderung der Technik, war
die in den vierziger Jahren aus Amerika importirte
Methode, die Sohlen mit Holzstiften aufzunageln statt
zu nähen; die Arbeit geht rascher und ist besser; auch
ist die Arbeitsart freier, der Konstitution des Körpers
angemessener. Später kam die Nähmaschine, welche
besonders mit der zunehmenden Verwendung von Ge-
weben für das Schuhwerk von Damen die Anfertigung
der oberen Theile der Schuhe sehr erleichterte. Be-

1 Deutsche Ausstellungszeitung v. 20. Mai 1867, Nr. 20
verglichen mit Viebahn III, 682.

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
Pirmaſenz als Schuhmacherort bekannt. Die Entſtehung
des Gewerbes an dieſem Ort iſt komiſch genug. Land-
graf Ludwig IX von Heſſen hatte ſeine Reſidenz dahin
verlegt und wollte daſelbſt möglichſt viel Soldaten,
zugleich aber eine zunehmende Bevölkerung haben; er
machte ſeinen Soldaten das Heirathen zur Pflicht,
erlaubte ihnen aber nebenher ein Gewerbe zu treiben;
ſie warfen ſich hauptſächlich auf die Schuhmacherei, die
Pirmaſenzer Schuhmädchen gingen damit hauſiren; jetzt
zählt der Ort von 8000 Einwohnern 13 größere und
63 kleinere Geſchäfte mit 17 Buchhaltern, 54 Zuſchnei-
dern, 1154 Arbeitern und 466 Arbeiterinnen mit 60
bis 90 Näh-, Sohlſchneide- und andern Maſchinen. 1
Sie liefern jährlich 130000 Dutzend Paar Stiefeln
oder Schuhe im Werthe von etwa 2 Mill. fl.; der
Export geht nach Oſt- und Weſtindien, Auſtralien und
Südamerika.

Die erſte wichtigere Aenderung der Technik, war
die in den vierziger Jahren aus Amerika importirte
Methode, die Sohlen mit Holzſtiften aufzunageln ſtatt
zu nähen; die Arbeit geht raſcher und iſt beſſer; auch
iſt die Arbeitsart freier, der Konſtitution des Körpers
angemeſſener. Später kam die Nähmaſchine, welche
beſonders mit der zunehmenden Verwendung von Ge-
weben für das Schuhwerk von Damen die Anfertigung
der oberen Theile der Schuhe ſehr erleichterte. Be-

1 Deutſche Ausſtellungszeitung v. 20. Mai 1867, Nr. 20
verglichen mit Viebahn III, 682.
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[626/0648] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. Pirmaſenz als Schuhmacherort bekannt. Die Entſtehung des Gewerbes an dieſem Ort iſt komiſch genug. Land- graf Ludwig IX von Heſſen hatte ſeine Reſidenz dahin verlegt und wollte daſelbſt möglichſt viel Soldaten, zugleich aber eine zunehmende Bevölkerung haben; er machte ſeinen Soldaten das Heirathen zur Pflicht, erlaubte ihnen aber nebenher ein Gewerbe zu treiben; ſie warfen ſich hauptſächlich auf die Schuhmacherei, die Pirmaſenzer Schuhmädchen gingen damit hauſiren; jetzt zählt der Ort von 8000 Einwohnern 13 größere und 63 kleinere Geſchäfte mit 17 Buchhaltern, 54 Zuſchnei- dern, 1154 Arbeitern und 466 Arbeiterinnen mit 60 bis 90 Näh-, Sohlſchneide- und andern Maſchinen. 1 Sie liefern jährlich 130000 Dutzend Paar Stiefeln oder Schuhe im Werthe von etwa 2 Mill. fl.; der Export geht nach Oſt- und Weſtindien, Auſtralien und Südamerika. Die erſte wichtigere Aenderung der Technik, war die in den vierziger Jahren aus Amerika importirte Methode, die Sohlen mit Holzſtiften aufzunageln ſtatt zu nähen; die Arbeit geht raſcher und iſt beſſer; auch iſt die Arbeitsart freier, der Konſtitution des Körpers angemeſſener. Später kam die Nähmaſchine, welche beſonders mit der zunehmenden Verwendung von Ge- weben für das Schuhwerk von Damen die Anfertigung der oberen Theile der Schuhe ſehr erleichterte. Be- 1 Deutſche Ausſtellungszeitung v. 20. Mai 1867, Nr. 20 verglichen mit Viebahn III, 682.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/648>, abgerufen am 22.11.2024.