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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Einzelne dieser Verkaufsgeschäfte haben wohl auch
einen großen Umfang, die Mehrzahl aber ist klein,
basirt auf dem allernächsten lokalen Bedürfniß. Es
kommt das in sozialer Beziehung in Betracht. Viele
kleine Leute, welche hier wie allerwärts früher als
Produzenten, als Handwerksmeister ihr Geschäft trieben,
leben jetzt als Händler; und häufig sind es dieselben
Personen, wie z. B. ein Bericht aus Bunzlau schreibt:1
"Tuchmacher und Weber kaufen von größern Fabriken
die Waare und leben fast nur noch vom Handel." Von
den sächsischen kleinen Tuchmachern sagt ein kompetenter
Berichterstatter: 2 "Das Handwerk hat auch hier im
reinen Handelsgewerbe geendet. Gleiches haben wir bei
den Posamentieren gesehen, es findet auch bei den
Strumpfwirkern statt und wird für die Weber bald
nachgewiesen werden."

Es ist das, wie gesagt, für den Sozialpolitiker,
den nur die Erhaltung eines gesunden Mittelstandes
interessirt, von Bedeutung. Er wird auf der einen
Seite sich freuen, wenn wenigstens ein Theil der kleinen
Geschäfte sich so hält, aber er wird auf der andern
Seite zugleich betonen, daß der sich so erhaltende Mittel-
stand jedenfalls ein anderer ist, andere Menschen, andere
soziale Kräfte, andere Anschauungen und Sitten in sich
schließt. Der kleine Händler ist etwas Anderes, als
der kleine Meister. Dieser lebt von seiner Arbeit, jener

1 Zeitschrift des preuß. stat. Büreaus 1864. Bd. IV,
S. 127; vergl. auch oben S. 211 ff.
2 Zeitschrift des sächs. statist. Büreaus 1860, S. 135.
Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Einzelne dieſer Verkaufsgeſchäfte haben wohl auch
einen großen Umfang, die Mehrzahl aber iſt klein,
baſirt auf dem allernächſten lokalen Bedürfniß. Es
kommt das in ſozialer Beziehung in Betracht. Viele
kleine Leute, welche hier wie allerwärts früher als
Produzenten, als Handwerksmeiſter ihr Geſchäft trieben,
leben jetzt als Händler; und häufig ſind es dieſelben
Perſonen, wie z. B. ein Bericht aus Bunzlau ſchreibt:1
„Tuchmacher und Weber kaufen von größern Fabriken
die Waare und leben faſt nur noch vom Handel.“ Von
den ſächſiſchen kleinen Tuchmachern ſagt ein kompetenter
Berichterſtatter: 2 „Das Handwerk hat auch hier im
reinen Handelsgewerbe geendet. Gleiches haben wir bei
den Poſamentieren geſehen, es findet auch bei den
Strumpfwirkern ſtatt und wird für die Weber bald
nachgewieſen werden.“

Es iſt das, wie geſagt, für den Sozialpolitiker,
den nur die Erhaltung eines geſunden Mittelſtandes
intereſſirt, von Bedeutung. Er wird auf der einen
Seite ſich freuen, wenn wenigſtens ein Theil der kleinen
Geſchäfte ſich ſo hält, aber er wird auf der andern
Seite zugleich betonen, daß der ſich ſo erhaltende Mittel-
ſtand jedenfalls ein anderer iſt, andere Menſchen, andere
ſoziale Kräfte, andere Anſchauungen und Sitten in ſich
ſchließt. Der kleine Händler iſt etwas Anderes, als
der kleine Meiſter. Dieſer lebt von ſeiner Arbeit, jener

1 Zeitſchrift des preuß. ſtat. Büreaus 1864. Bd. IV,
S. 127; vergl. auch oben S. 211 ff.
2 Zeitſchrift des ſächſ. ſtatiſt. Büreaus 1860, S. 135.
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[532/0554] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. Einzelne dieſer Verkaufsgeſchäfte haben wohl auch einen großen Umfang, die Mehrzahl aber iſt klein, baſirt auf dem allernächſten lokalen Bedürfniß. Es kommt das in ſozialer Beziehung in Betracht. Viele kleine Leute, welche hier wie allerwärts früher als Produzenten, als Handwerksmeiſter ihr Geſchäft trieben, leben jetzt als Händler; und häufig ſind es dieſelben Perſonen, wie z. B. ein Bericht aus Bunzlau ſchreibt: 1 „Tuchmacher und Weber kaufen von größern Fabriken die Waare und leben faſt nur noch vom Handel.“ Von den ſächſiſchen kleinen Tuchmachern ſagt ein kompetenter Berichterſtatter: 2 „Das Handwerk hat auch hier im reinen Handelsgewerbe geendet. Gleiches haben wir bei den Poſamentieren geſehen, es findet auch bei den Strumpfwirkern ſtatt und wird für die Weber bald nachgewieſen werden.“ Es iſt das, wie geſagt, für den Sozialpolitiker, den nur die Erhaltung eines geſunden Mittelſtandes intereſſirt, von Bedeutung. Er wird auf der einen Seite ſich freuen, wenn wenigſtens ein Theil der kleinen Geſchäfte ſich ſo hält, aber er wird auf der andern Seite zugleich betonen, daß der ſich ſo erhaltende Mittel- ſtand jedenfalls ein anderer iſt, andere Menſchen, andere ſoziale Kräfte, andere Anſchauungen und Sitten in ſich ſchließt. Der kleine Händler iſt etwas Anderes, als der kleine Meiſter. Dieſer lebt von ſeiner Arbeit, jener 1 Zeitſchrift des preuß. ſtat. Büreaus 1864. Bd. IV, S. 127; vergl. auch oben S. 211 ff. 2 Zeitſchrift des ſächſ. ſtatiſt. Büreaus 1860, S. 135.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/554>, abgerufen am 22.11.2024.