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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Gehülfenzahl in verschiedenen Gegenden.

Die niedrigste Gehülfenzahl haben die armen vor-
wiegend landwirthschaftlichen Gegenden, wie Nassau und
Oberhessen. Wo der Wohlstand steigt, der rein land-
wirthschaftliche Charakter zurücktritt, ist die Gehülfenzahl
etwas größer. Aber dieses Steigen der Gehülfenzahl
geht nun nicht weiter diesen beiden Ursachen entsprechend.
Wohlhabende gewerbliche Gegenden wie Württemberg,
Baden, die Regierungsbezirke Koblenz, Trier, Aachen
behalten ihre mittlere Gehülfenzahl; der Regierungsbezirk
Erfurt hat eine niedrigere Gehülfenzahl als die Regie-
rungsbezirke Merseburg und Magdeburg und ist so wohl-
habend als sie, hat auch wohl so ziemlich gleichen gewerb-
lichen Charakter. Die größte Gehülfenzahl außer den
letztgenannten haben die Regierungsbezirke Königsberg,
Danzig, Potsdam, Breslau, Liegnitz, also der Osten,
der weder am reichsten ist, noch überall durch spezifisch
gewerblichen Charakter sich auszeichnet. Da zeigt es sich
wieder, daß die ganze Vermögens- und Einkommen-
vertheilung, das Wohnen in großen oder kleinen Städten,
die Grundbesitzvertheilung es bestimmt, ob sich heute die
kleinern Handwerksgeschäfte noch halten.

Bei einzelnen Staaten, wie Baiern und Sachsen,
hängt die größere Gehülfenzahl vielleicht etwas mit der
früheren Erschwerung des Meisterwerdens zusammen.
Viel wohl nicht. Auf die Dauer wirkt die freie Kon-
kurrenz -- allerdings an anderer Stelle und mit andern
sonstigen Wirkungen -- noch mehr auf größere Geschäfte
als die Zunftverfassung.

In den Gegenden und Bezirken, in welchen die
Gehülfenzahl am niedrigsten ist, in welchen gegen 60

Die Gehülfenzahl in verſchiedenen Gegenden.

Die niedrigſte Gehülfenzahl haben die armen vor-
wiegend landwirthſchaftlichen Gegenden, wie Naſſau und
Oberheſſen. Wo der Wohlſtand ſteigt, der rein land-
wirthſchaftliche Charakter zurücktritt, iſt die Gehülfenzahl
etwas größer. Aber dieſes Steigen der Gehülfenzahl
geht nun nicht weiter dieſen beiden Urſachen entſprechend.
Wohlhabende gewerbliche Gegenden wie Württemberg,
Baden, die Regierungsbezirke Koblenz, Trier, Aachen
behalten ihre mittlere Gehülfenzahl; der Regierungsbezirk
Erfurt hat eine niedrigere Gehülfenzahl als die Regie-
rungsbezirke Merſeburg und Magdeburg und iſt ſo wohl-
habend als ſie, hat auch wohl ſo ziemlich gleichen gewerb-
lichen Charakter. Die größte Gehülfenzahl außer den
letztgenannten haben die Regierungsbezirke Königsberg,
Danzig, Potsdam, Breslau, Liegnitz, alſo der Oſten,
der weder am reichſten iſt, noch überall durch ſpezifiſch
gewerblichen Charakter ſich auszeichnet. Da zeigt es ſich
wieder, daß die ganze Vermögens- und Einkommen-
vertheilung, das Wohnen in großen oder kleinen Städten,
die Grundbeſitzvertheilung es beſtimmt, ob ſich heute die
kleinern Handwerksgeſchäfte noch halten.

Bei einzelnen Staaten, wie Baiern und Sachſen,
hängt die größere Gehülfenzahl vielleicht etwas mit der
früheren Erſchwerung des Meiſterwerdens zuſammen.
Viel wohl nicht. Auf die Dauer wirkt die freie Kon-
kurrenz — allerdings an anderer Stelle und mit andern
ſonſtigen Wirkungen — noch mehr auf größere Geſchäfte
als die Zunftverfaſſung.

In den Gegenden und Bezirken, in welchen die
Gehülfenzahl am niedrigſten iſt, in welchen gegen 60

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[361/0383] Die Gehülfenzahl in verſchiedenen Gegenden. Die niedrigſte Gehülfenzahl haben die armen vor- wiegend landwirthſchaftlichen Gegenden, wie Naſſau und Oberheſſen. Wo der Wohlſtand ſteigt, der rein land- wirthſchaftliche Charakter zurücktritt, iſt die Gehülfenzahl etwas größer. Aber dieſes Steigen der Gehülfenzahl geht nun nicht weiter dieſen beiden Urſachen entſprechend. Wohlhabende gewerbliche Gegenden wie Württemberg, Baden, die Regierungsbezirke Koblenz, Trier, Aachen behalten ihre mittlere Gehülfenzahl; der Regierungsbezirk Erfurt hat eine niedrigere Gehülfenzahl als die Regie- rungsbezirke Merſeburg und Magdeburg und iſt ſo wohl- habend als ſie, hat auch wohl ſo ziemlich gleichen gewerb- lichen Charakter. Die größte Gehülfenzahl außer den letztgenannten haben die Regierungsbezirke Königsberg, Danzig, Potsdam, Breslau, Liegnitz, alſo der Oſten, der weder am reichſten iſt, noch überall durch ſpezifiſch gewerblichen Charakter ſich auszeichnet. Da zeigt es ſich wieder, daß die ganze Vermögens- und Einkommen- vertheilung, das Wohnen in großen oder kleinen Städten, die Grundbeſitzvertheilung es beſtimmt, ob ſich heute die kleinern Handwerksgeſchäfte noch halten. Bei einzelnen Staaten, wie Baiern und Sachſen, hängt die größere Gehülfenzahl vielleicht etwas mit der früheren Erſchwerung des Meiſterwerdens zuſammen. Viel wohl nicht. Auf die Dauer wirkt die freie Kon- kurrenz — allerdings an anderer Stelle und mit andern ſonſtigen Wirkungen — noch mehr auf größere Geſchäfte als die Zunftverfaſſung. In den Gegenden und Bezirken, in welchen die Gehülfenzahl am niedrigſten iſt, in welchen gegen 60

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/383>, abgerufen am 24.11.2024.