Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
Gesellschaft. Aus ihnen vor Allem rekrutirt sich die
sozialdemokratische Partei.

Theilweise liegt die gegenseitige Unzufriedenheit an
der Neuheit des ganzen Verhältnisses. Soweit in der
neuen Art des Lebens der Gehülfen wirkliche Gefahren
liegen, besonders für jüngere Leute, so weit müssen
eben alle die übrigen Mittel geistiger und moralischer
Hebung stärker herangezogen werden. Volksschule und
Kirche, Vereinsleben und genossenschaftliche Ehre, vor
Allem ein richtiges geordnetes gewerbliches Bildungs-
wesen müssen ersetzen, was an moralischer Wirkung
neben allen Mißbräuchen mit dem alten Lehrlings- und
Gesellenverhältniß gegeben war. Dann werden die
Klagen über Zunahme wilder Ehen, über Sittenlosigkeit,
über Zunahme des Luxus ohne Zunahme der Sparsam-
keit, die Klagen über leichtsinnige und zu frühe Ehen
in diesen Kreisen -- Klagen, mit denen man gegen-
über den untern Klassen ohnedieß zu leicht bei der
Hand ist -- nicht mehr zunehmen; dann werden sich
bei den verheiratheten Gesellen die möglichen segensvollen
Wirkungen der Ehe, Sparsamkeit, Fleiß und An-
strengung, mehr und mehr einstellen. Sie stehen dann
den kleinen Meistern, die für Magazine oder andere
Meister arbeiten, gleich; sie stehen immer noch wesentlich
über dem Fabrikarbeiter, können bei Geschicklichkeit und
Sparsamkeit immer selbst in die Reihe der Unternehmer
eintreten, sei es allein, sei es im Wege der Assoziation.

Die alte Rangordnung im Handwerk, der feste
Stufengang ist allerdings damit unwiederbringlich ver-
nichtet, wie sie zugleich durch die neuere Technik, durch die

Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
Geſellſchaft. Aus ihnen vor Allem rekrutirt ſich die
ſozialdemokratiſche Partei.

Theilweiſe liegt die gegenſeitige Unzufriedenheit an
der Neuheit des ganzen Verhältniſſes. Soweit in der
neuen Art des Lebens der Gehülfen wirkliche Gefahren
liegen, beſonders für jüngere Leute, ſo weit müſſen
eben alle die übrigen Mittel geiſtiger und moraliſcher
Hebung ſtärker herangezogen werden. Volksſchule und
Kirche, Vereinsleben und genoſſenſchaftliche Ehre, vor
Allem ein richtiges geordnetes gewerbliches Bildungs-
weſen müſſen erſetzen, was an moraliſcher Wirkung
neben allen Mißbräuchen mit dem alten Lehrlings- und
Geſellenverhältniß gegeben war. Dann werden die
Klagen über Zunahme wilder Ehen, über Sittenloſigkeit,
über Zunahme des Luxus ohne Zunahme der Sparſam-
keit, die Klagen über leichtſinnige und zu frühe Ehen
in dieſen Kreiſen — Klagen, mit denen man gegen-
über den untern Klaſſen ohnedieß zu leicht bei der
Hand iſt — nicht mehr zunehmen; dann werden ſich
bei den verheiratheten Geſellen die möglichen ſegensvollen
Wirkungen der Ehe, Sparſamkeit, Fleiß und An-
ſtrengung, mehr und mehr einſtellen. Sie ſtehen dann
den kleinen Meiſtern, die für Magazine oder andere
Meiſter arbeiten, gleich; ſie ſtehen immer noch weſentlich
über dem Fabrikarbeiter, können bei Geſchicklichkeit und
Sparſamkeit immer ſelbſt in die Reihe der Unternehmer
eintreten, ſei es allein, ſei es im Wege der Aſſoziation.

Die alte Rangordnung im Handwerk, der feſte
Stufengang iſt allerdings damit unwiederbringlich ver-
nichtet, wie ſie zugleich durch die neuere Technik, durch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0374" n="352"/><fw place="top" type="header">Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.</fw><lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Aus ihnen vor Allem rekrutirt &#x017F;ich die<lb/>
&#x017F;ozialdemokrati&#x017F;che Partei.</p><lb/>
          <p>Theilwei&#x017F;e liegt die gegen&#x017F;eitige Unzufriedenheit an<lb/>
der Neuheit des ganzen Verhältni&#x017F;&#x017F;es. Soweit in der<lb/>
neuen Art des Lebens der Gehülfen wirkliche Gefahren<lb/>
liegen, be&#x017F;onders für jüngere Leute, &#x017F;o weit mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
eben alle die übrigen Mittel gei&#x017F;tiger und morali&#x017F;cher<lb/>
Hebung &#x017F;tärker herangezogen werden. Volks&#x017F;chule und<lb/>
Kirche, Vereinsleben und geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Ehre, vor<lb/>
Allem ein richtiges geordnetes gewerbliches Bildungs-<lb/>
we&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;etzen, was an morali&#x017F;cher Wirkung<lb/>
neben allen Mißbräuchen mit dem alten Lehrlings- und<lb/>
Ge&#x017F;ellenverhältniß gegeben war. Dann werden die<lb/>
Klagen über Zunahme wilder Ehen, über Sittenlo&#x017F;igkeit,<lb/>
über Zunahme des Luxus ohne Zunahme der Spar&#x017F;am-<lb/>
keit, die Klagen über leicht&#x017F;innige und zu frühe Ehen<lb/>
in die&#x017F;en Krei&#x017F;en &#x2014; Klagen, mit denen man gegen-<lb/>
über den untern Kla&#x017F;&#x017F;en ohnedieß zu leicht bei der<lb/>
Hand i&#x017F;t &#x2014; nicht mehr zunehmen; dann werden &#x017F;ich<lb/>
bei den verheiratheten Ge&#x017F;ellen die möglichen &#x017F;egensvollen<lb/>
Wirkungen der Ehe, Spar&#x017F;amkeit, Fleiß und An-<lb/>
&#x017F;trengung, mehr und mehr ein&#x017F;tellen. Sie &#x017F;tehen dann<lb/>
den kleinen Mei&#x017F;tern, die für Magazine oder andere<lb/>
Mei&#x017F;ter arbeiten, gleich; &#x017F;ie &#x017F;tehen immer noch we&#x017F;entlich<lb/>
über dem Fabrikarbeiter, können bei Ge&#x017F;chicklichkeit und<lb/>
Spar&#x017F;amkeit immer &#x017F;elb&#x017F;t in die Reihe der Unternehmer<lb/>
eintreten, &#x017F;ei es allein, &#x017F;ei es im Wege der A&#x017F;&#x017F;oziation.</p><lb/>
          <p>Die alte Rangordnung im Handwerk, der fe&#x017F;te<lb/>
Stufengang i&#x017F;t allerdings damit unwiederbringlich ver-<lb/>
nichtet, wie &#x017F;ie zugleich durch die neuere Technik, durch die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0374] Die Vertheilung der Gewerbetreibenden. Geſellſchaft. Aus ihnen vor Allem rekrutirt ſich die ſozialdemokratiſche Partei. Theilweiſe liegt die gegenſeitige Unzufriedenheit an der Neuheit des ganzen Verhältniſſes. Soweit in der neuen Art des Lebens der Gehülfen wirkliche Gefahren liegen, beſonders für jüngere Leute, ſo weit müſſen eben alle die übrigen Mittel geiſtiger und moraliſcher Hebung ſtärker herangezogen werden. Volksſchule und Kirche, Vereinsleben und genoſſenſchaftliche Ehre, vor Allem ein richtiges geordnetes gewerbliches Bildungs- weſen müſſen erſetzen, was an moraliſcher Wirkung neben allen Mißbräuchen mit dem alten Lehrlings- und Geſellenverhältniß gegeben war. Dann werden die Klagen über Zunahme wilder Ehen, über Sittenloſigkeit, über Zunahme des Luxus ohne Zunahme der Sparſam- keit, die Klagen über leichtſinnige und zu frühe Ehen in dieſen Kreiſen — Klagen, mit denen man gegen- über den untern Klaſſen ohnedieß zu leicht bei der Hand iſt — nicht mehr zunehmen; dann werden ſich bei den verheiratheten Geſellen die möglichen ſegensvollen Wirkungen der Ehe, Sparſamkeit, Fleiß und An- ſtrengung, mehr und mehr einſtellen. Sie ſtehen dann den kleinen Meiſtern, die für Magazine oder andere Meiſter arbeiten, gleich; ſie ſtehen immer noch weſentlich über dem Fabrikarbeiter, können bei Geſchicklichkeit und Sparſamkeit immer ſelbſt in die Reihe der Unternehmer eintreten, ſei es allein, ſei es im Wege der Aſſoziation. Die alte Rangordnung im Handwerk, der feſte Stufengang iſt allerdings damit unwiederbringlich ver- nichtet, wie ſie zugleich durch die neuere Technik, durch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/374
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/374>, abgerufen am 25.11.2024.