Das preußische Regulativ vom 28. April 1824, das bis jetzt gegolten hat, war übrigens in relativ liberalem Geiste gehalten. Hoffmann findet, daß es viel zu sehr die Dinge sich selbst überlasse, wenn es auch auf der andern Seite durch die hohe Gewerbesteuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen an einzelnen Punkten wieder einschränkend wirke. Für Denjenigen, dem die Verwaltungspraxis in den verschiedenen Landes- theilen nicht genau bekannt ist, ist es schwer, ein selb- ständiges Urtheil darüber zu fällen, in wie weit die Gesetzgebung, in wie weit die andern Ursachen, die realen wirthschaftlichen Bedürfnisse auf Zunahme oder Abnahme des Hausirhandels gewirkt haben. Jedenfalls ist anzunehmen, daß die Verwaltungspraxis in Preußen von 1824 bis zur Gegenwart ungefähr dieselbe blieb, daß also die Stabilität des Hausirhandels früher und die Zunahme, die neuerdings eingetreten ist, auf andere Ursachen zurückzuführen sind.
Im Ganzen wird man behaupten dürfen, daß die wirthschaftlichen Verhältnisse, die steigende Oeffentlichkeit und Moralität bis in die neuere Zeit in ähnlichem Sinne wirkten, wie die Hausirgesetze. Der Hausirhan- del, der nur dem Vagabundenleben zum Schilde dient, hat entschieden abgenommen. Und nicht bloß der unsolide, auch der solide Hausirhandel ist theilweise nicht mehr so nothwendig wie früher. Seit der neuern Zunahme des Verkehrs hängen nicht mehr, wie früher, ganze Industriezweige vom Absatz der Hausirer ab. Die Nürnberger und Fürther Industrie, die schwarzwälder Uhrenindustrie, die rheinbairische Bürsten- und Besen-
Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
Das preußiſche Regulativ vom 28. April 1824, das bis jetzt gegolten hat, war übrigens in relativ liberalem Geiſte gehalten. Hoffmann findet, daß es viel zu ſehr die Dinge ſich ſelbſt überlaſſe, wenn es auch auf der andern Seite durch die hohe Gewerbeſteuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen an einzelnen Punkten wieder einſchränkend wirke. Für Denjenigen, dem die Verwaltungspraxis in den verſchiedenen Landes- theilen nicht genau bekannt iſt, iſt es ſchwer, ein ſelb- ſtändiges Urtheil darüber zu fällen, in wie weit die Geſetzgebung, in wie weit die andern Urſachen, die realen wirthſchaftlichen Bedürfniſſe auf Zunahme oder Abnahme des Hauſirhandels gewirkt haben. Jedenfalls iſt anzunehmen, daß die Verwaltungspraxis in Preußen von 1824 bis zur Gegenwart ungefähr dieſelbe blieb, daß alſo die Stabilität des Hauſirhandels früher und die Zunahme, die neuerdings eingetreten iſt, auf andere Urſachen zurückzuführen ſind.
Im Ganzen wird man behaupten dürfen, daß die wirthſchaftlichen Verhältniſſe, die ſteigende Oeffentlichkeit und Moralität bis in die neuere Zeit in ähnlichem Sinne wirkten, wie die Hauſirgeſetze. Der Hauſirhan- del, der nur dem Vagabundenleben zum Schilde dient, hat entſchieden abgenommen. Und nicht bloß der unſolide, auch der ſolide Hauſirhandel iſt theilweiſe nicht mehr ſo nothwendig wie früher. Seit der neuern Zunahme des Verkehrs hängen nicht mehr, wie früher, ganze Induſtriezweige vom Abſatz der Hauſirer ab. Die Nürnberger und Fürther Induſtrie, die ſchwarzwälder Uhreninduſtrie, die rheinbairiſche Bürſten- und Beſen-
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Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
Das preußiſche Regulativ vom 28. April 1824,
das bis jetzt gegolten hat, war übrigens in relativ
liberalem Geiſte gehalten. Hoffmann findet, daß es viel
zu ſehr die Dinge ſich ſelbſt überlaſſe, wenn es auch
auf der andern Seite durch die hohe Gewerbeſteuer
für den Gewerbebetrieb im Umherziehen an einzelnen
Punkten wieder einſchränkend wirke. Für Denjenigen,
dem die Verwaltungspraxis in den verſchiedenen Landes-
theilen nicht genau bekannt iſt, iſt es ſchwer, ein ſelb-
ſtändiges Urtheil darüber zu fällen, in wie weit die
Geſetzgebung, in wie weit die andern Urſachen, die
realen wirthſchaftlichen Bedürfniſſe auf Zunahme oder
Abnahme des Hauſirhandels gewirkt haben. Jedenfalls
iſt anzunehmen, daß die Verwaltungspraxis in Preußen
von 1824 bis zur Gegenwart ungefähr dieſelbe blieb,
daß alſo die Stabilität des Hauſirhandels früher und
die Zunahme, die neuerdings eingetreten iſt, auf andere
Urſachen zurückzuführen ſind.
Im Ganzen wird man behaupten dürfen, daß die
wirthſchaftlichen Verhältniſſe, die ſteigende Oeffentlichkeit
und Moralität bis in die neuere Zeit in ähnlichem
Sinne wirkten, wie die Hauſirgeſetze. Der Hauſirhan-
del, der nur dem Vagabundenleben zum Schilde dient,
hat entſchieden abgenommen. Und nicht bloß der unſolide,
auch der ſolide Hauſirhandel iſt theilweiſe nicht mehr
ſo nothwendig wie früher. Seit der neuern Zunahme
des Verkehrs hängen nicht mehr, wie früher, ganze
Induſtriezweige vom Abſatz der Hauſirer ab. Die
Nürnberger und Fürther Induſtrie, die ſchwarzwälder
Uhreninduſtrie, die rheinbairiſche Bürſten- und Beſen-
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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