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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umgestaltung von Produktion und Verkehr.
zusammen. Aber sollten diese moralischen Eigenschaften so
ausschließlich mit einer einzigen Art äußerlichen Wirth-
schaftens verknüpft sein? Sollten die Menschen nothwen-
dig wichtige Eigenschaften verlieren, wenn einige äußere
Veranlassungen zu Fleiß und Sparsamkeit nicht sowohl
ganz wegfallen, als andere Form gewinnen. Die Aende-
rungen sind Folgen wahrer technischer Fortschritte, und
somit muß man sich ihrer bedienen; immer muß es
möglich bleiben, auch mit der neuen Art des Wirth-
schaftens das Leben so zu gestalten, daß die alten wirth-
schaftlichen Tugenden dieselben bleiben.

Und das wird selbst der eifrigste Freund des Alten
zugestehen, daß in den höhern Kreisen die Tugenden
des Fleißes, der Thätigkeit nicht verschwunden sind, daß
sie nur eine andere Richtung erhalten haben. Es wurde
früher für geringen Effekt viel geistige und körperliche
Arbeitskraft mit viel Geräusch und viel Unruhe ver-
schwendet. Die Arbeitskraft der helfenden kleinen Meister
war nicht ausgenutzt; mit Laufereien, mit Warten und
Herumschlendern wurde viel Zeit versäumt. Die Leistun-
gen nach technischer Seite konnten nur unvollkommen sein.
Eine bessere Zeiteintheilung und Arbeitstheilung gibt jetzt
bessere Leistungen und Produkte mit geringerem Aufwand.
Das Familienleben hat an Ruhe und an Möglichkeit
geistiger und gemüthlicher Vertiefung gewonnen.

Weniger freilich wird man das von den untern
Klassen sagen können. Da hat die Leichtigkeit, Alles
fertig im Laden zu kaufen, statt es durch die Thätigkeit
der Hausfrau entstehen zu lassen, bis jetzt moralisch eher
ungünstig gewirkt. Indolenz, Unlust zu weiblichen Ar-

Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
zuſammen. Aber ſollten dieſe moraliſchen Eigenſchaften ſo
ausſchließlich mit einer einzigen Art äußerlichen Wirth-
ſchaftens verknüpft ſein? Sollten die Menſchen nothwen-
dig wichtige Eigenſchaften verlieren, wenn einige äußere
Veranlaſſungen zu Fleiß und Sparſamkeit nicht ſowohl
ganz wegfallen, als andere Form gewinnen. Die Aende-
rungen ſind Folgen wahrer techniſcher Fortſchritte, und
ſomit muß man ſich ihrer bedienen; immer muß es
möglich bleiben, auch mit der neuen Art des Wirth-
ſchaftens das Leben ſo zu geſtalten, daß die alten wirth-
ſchaftlichen Tugenden dieſelben bleiben.

Und das wird ſelbſt der eifrigſte Freund des Alten
zugeſtehen, daß in den höhern Kreiſen die Tugenden
des Fleißes, der Thätigkeit nicht verſchwunden ſind, daß
ſie nur eine andere Richtung erhalten haben. Es wurde
früher für geringen Effekt viel geiſtige und körperliche
Arbeitskraft mit viel Geräuſch und viel Unruhe ver-
ſchwendet. Die Arbeitskraft der helfenden kleinen Meiſter
war nicht ausgenutzt; mit Laufereien, mit Warten und
Herumſchlendern wurde viel Zeit verſäumt. Die Leiſtun-
gen nach techniſcher Seite konnten nur unvollkommen ſein.
Eine beſſere Zeiteintheilung und Arbeitstheilung gibt jetzt
beſſere Leiſtungen und Produkte mit geringerem Aufwand.
Das Familienleben hat an Ruhe und an Möglichkeit
geiſtiger und gemüthlicher Vertiefung gewonnen.

Weniger freilich wird man das von den untern
Klaſſen ſagen können. Da hat die Leichtigkeit, Alles
fertig im Laden zu kaufen, ſtatt es durch die Thätigkeit
der Hausfrau entſtehen zu laſſen, bis jetzt moraliſch eher
ungünſtig gewirkt. Indolenz, Unluſt zu weiblichen Ar-

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[182/0204] Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr. zuſammen. Aber ſollten dieſe moraliſchen Eigenſchaften ſo ausſchließlich mit einer einzigen Art äußerlichen Wirth- ſchaftens verknüpft ſein? Sollten die Menſchen nothwen- dig wichtige Eigenſchaften verlieren, wenn einige äußere Veranlaſſungen zu Fleiß und Sparſamkeit nicht ſowohl ganz wegfallen, als andere Form gewinnen. Die Aende- rungen ſind Folgen wahrer techniſcher Fortſchritte, und ſomit muß man ſich ihrer bedienen; immer muß es möglich bleiben, auch mit der neuen Art des Wirth- ſchaftens das Leben ſo zu geſtalten, daß die alten wirth- ſchaftlichen Tugenden dieſelben bleiben. Und das wird ſelbſt der eifrigſte Freund des Alten zugeſtehen, daß in den höhern Kreiſen die Tugenden des Fleißes, der Thätigkeit nicht verſchwunden ſind, daß ſie nur eine andere Richtung erhalten haben. Es wurde früher für geringen Effekt viel geiſtige und körperliche Arbeitskraft mit viel Geräuſch und viel Unruhe ver- ſchwendet. Die Arbeitskraft der helfenden kleinen Meiſter war nicht ausgenutzt; mit Laufereien, mit Warten und Herumſchlendern wurde viel Zeit verſäumt. Die Leiſtun- gen nach techniſcher Seite konnten nur unvollkommen ſein. Eine beſſere Zeiteintheilung und Arbeitstheilung gibt jetzt beſſere Leiſtungen und Produkte mit geringerem Aufwand. Das Familienleben hat an Ruhe und an Möglichkeit geiſtiger und gemüthlicher Vertiefung gewonnen. Weniger freilich wird man das von den untern Klaſſen ſagen können. Da hat die Leichtigkeit, Alles fertig im Laden zu kaufen, ſtatt es durch die Thätigkeit der Hausfrau entſtehen zu laſſen, bis jetzt moraliſch eher ungünſtig gewirkt. Indolenz, Unluſt zu weiblichen Ar-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/204>, abgerufen am 23.11.2024.