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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Zustände in der Pfalz.
nöthig, dabei noch einen Moment zu verweilen. Um
keine falschen Schlüsse aus dem Gegensatz zu ziehen, muß
man sich der Vergangenheit und der anderweitigen Zu-
stände in der Pfalz erinnern.

Das schöne, von der Natur reich gesegnete Land
hatte mit der französischen Herrschaft die freiheitliche
Gesetzgebung erhalten; der beweglich rührige Sinn der
Bewohner war dem Neuen ohnedieß zugänglich; die
Aenderungen, welche andere Länder erst nach Jahrzehn-
ten erfuhren, vollzogen sich schon jetzt; die zahlreichen
indolenten bisher nur durch die Zunft geschützten Meister
begannen schon damals abzunehmen. Als die Verwü-
stungen der Kriege überwunden waren, als vollends mit
dem Zollverein die Segnungen des freien Verkehrs und
der günstigen Lage, die Segnungen der Eisenerzlager,
des vorzüglichen Weinbodens mehr und mehr zu Tage
traten, da wuchs die dichte Bevölkerung immer mehr;
die Kultur des Landes, der Bau von Tabak und Wein
drängte zu immer weiter gehender Parcellirung; die
Parcelle ist im Durchschnitt noch nicht ein halbes Tag-
werk1 groß; jeder Grundbesitzer hat seinen kleinen Besitz
durchschnittlich in nicht weniger als 9 Parcellen. Die
Bevölkerung hatte 1818 4124 Menschen pro Quadrat-
meile betragen, 1849 betrug sie 5697.

Aber successiv war die Zunahme eine langsamere
geworden, der Lohn war gesunken, die Noth gestiegen.
Die Auswanderung nach Amerika nahm bedeutende Di-
mensionen an, nannte man doch häufig den deutschen

1 1 Tagwerk = 1,7 preuß. Morgen.

Die Zuſtände in der Pfalz.
nöthig, dabei noch einen Moment zu verweilen. Um
keine falſchen Schlüſſe aus dem Gegenſatz zu ziehen, muß
man ſich der Vergangenheit und der anderweitigen Zu-
ſtände in der Pfalz erinnern.

Das ſchöne, von der Natur reich geſegnete Land
hatte mit der franzöſiſchen Herrſchaft die freiheitliche
Geſetzgebung erhalten; der beweglich rührige Sinn der
Bewohner war dem Neuen ohnedieß zugänglich; die
Aenderungen, welche andere Länder erſt nach Jahrzehn-
ten erfuhren, vollzogen ſich ſchon jetzt; die zahlreichen
indolenten bisher nur durch die Zunft geſchützten Meiſter
begannen ſchon damals abzunehmen. Als die Verwü-
ſtungen der Kriege überwunden waren, als vollends mit
dem Zollverein die Segnungen des freien Verkehrs und
der günſtigen Lage, die Segnungen der Eiſenerzlager,
des vorzüglichen Weinbodens mehr und mehr zu Tage
traten, da wuchs die dichte Bevölkerung immer mehr;
die Kultur des Landes, der Bau von Tabak und Wein
drängte zu immer weiter gehender Parcellirung; die
Parcelle iſt im Durchſchnitt noch nicht ein halbes Tag-
werk1 groß; jeder Grundbeſitzer hat ſeinen kleinen Beſitz
durchſchnittlich in nicht weniger als 9 Parcellen. Die
Bevölkerung hatte 1818 4124 Menſchen pro Quadrat-
meile betragen, 1849 betrug ſie 5697.

Aber ſucceſſiv war die Zunahme eine langſamere
geworden, der Lohn war geſunken, die Noth geſtiegen.
Die Auswanderung nach Amerika nahm bedeutende Di-
menſionen an, nannte man doch häufig den deutſchen

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[133/0155] Die Zuſtände in der Pfalz. nöthig, dabei noch einen Moment zu verweilen. Um keine falſchen Schlüſſe aus dem Gegenſatz zu ziehen, muß man ſich der Vergangenheit und der anderweitigen Zu- ſtände in der Pfalz erinnern. Das ſchöne, von der Natur reich geſegnete Land hatte mit der franzöſiſchen Herrſchaft die freiheitliche Geſetzgebung erhalten; der beweglich rührige Sinn der Bewohner war dem Neuen ohnedieß zugänglich; die Aenderungen, welche andere Länder erſt nach Jahrzehn- ten erfuhren, vollzogen ſich ſchon jetzt; die zahlreichen indolenten bisher nur durch die Zunft geſchützten Meiſter begannen ſchon damals abzunehmen. Als die Verwü- ſtungen der Kriege überwunden waren, als vollends mit dem Zollverein die Segnungen des freien Verkehrs und der günſtigen Lage, die Segnungen der Eiſenerzlager, des vorzüglichen Weinbodens mehr und mehr zu Tage traten, da wuchs die dichte Bevölkerung immer mehr; die Kultur des Landes, der Bau von Tabak und Wein drängte zu immer weiter gehender Parcellirung; die Parcelle iſt im Durchſchnitt noch nicht ein halbes Tag- werk 1 groß; jeder Grundbeſitzer hat ſeinen kleinen Beſitz durchſchnittlich in nicht weniger als 9 Parcellen. Die Bevölkerung hatte 1818 4124 Menſchen pro Quadrat- meile betragen, 1849 betrug ſie 5697. Aber ſucceſſiv war die Zunahme eine langſamere geworden, der Lohn war geſunken, die Noth geſtiegen. Die Auswanderung nach Amerika nahm bedeutende Di- menſionen an, nannte man doch häufig den deutſchen 1 1 Tagwerk = 1,7 preuß. Morgen.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/155>, abgerufen am 25.11.2024.