theile für die gewerklichen Verhältnisse des Ortes zur Folge hat, kann durch Ortsstatuten die Haltung von Magazinen durch Solche, die nicht Meister sind, beschränkt werden.
Der Handwerkerstand war zunächst durch diese neue Gewerbeordnung befriedigt; die vorhandenen Meister gewannen zunächst etwas durch die Erschwerung des Meisterwerdens, und die durch ganz andere Ursachen bewirkte Besserung des Absatzes, der Geschäfte im fol- genden und nächstfolgenden Jahre schob man ohne Wei- teres der neuen Gesetzgebung, besonders den Prüfungen zu.
Daß man damals so dachte, ist natürlich. Mehr zu verwundern ist und hat mich bei vielen persönlichen Rücksprachen mit liberalen aufgeklärten Meistern oft über- rascht, daß die Mehrzahl auch heute noch für die Prüfungen eingenommen ist. Waltet dabei mancherlei Mißverstand, mancherlei egoistisches Motiv vor, ein rich- tiger Kern ist mir in den Aussagen von vielen Meistern entgegengetreten. Das Leben der Gesellen und Lehrlinge außer dem Hause des Meisters, in der heutigen Groß- stadt, birgt in seiner Unabhängigkeit manche große Ge- fahr. Bei dem einen wächst damit der Charakter und der selbstvertrauende redliche Fleiß, bei sehr vielen nur die Genußsucht, die Unzufriedenheit, die Faulheit und Unzuverlässigkeit; leichtsinnige, zu frühe Ehen kommen zahlreicher vor. Mit diesen Uebelständen hat der Meister zu kämpfen; er wird sie, weil er darunter leidet, leicht überschätzen; aber vorhanden sind sie, und berechtigt ist es, auf moralische Mittel der Gegenwirkung zu denken. Und weil ihm die andern Mittel ferner liegen, so ist
Die Gewerbenovelle von 1849.
theile für die gewerklichen Verhältniſſe des Ortes zur Folge hat, kann durch Ortsſtatuten die Haltung von Magazinen durch Solche, die nicht Meiſter ſind, beſchränkt werden.
Der Handwerkerſtand war zunächſt durch dieſe neue Gewerbeordnung befriedigt; die vorhandenen Meiſter gewannen zunächſt etwas durch die Erſchwerung des Meiſterwerdens, und die durch ganz andere Urſachen bewirkte Beſſerung des Abſatzes, der Geſchäfte im fol- genden und nächſtfolgenden Jahre ſchob man ohne Wei- teres der neuen Geſetzgebung, beſonders den Prüfungen zu.
Daß man damals ſo dachte, iſt natürlich. Mehr zu verwundern iſt und hat mich bei vielen perſönlichen Rückſprachen mit liberalen aufgeklärten Meiſtern oft über- raſcht, daß die Mehrzahl auch heute noch für die Prüfungen eingenommen iſt. Waltet dabei mancherlei Mißverſtand, mancherlei egoiſtiſches Motiv vor, ein rich- tiger Kern iſt mir in den Ausſagen von vielen Meiſtern entgegengetreten. Das Leben der Geſellen und Lehrlinge außer dem Hauſe des Meiſters, in der heutigen Groß- ſtadt, birgt in ſeiner Unabhängigkeit manche große Ge- fahr. Bei dem einen wächst damit der Charakter und der ſelbſtvertrauende redliche Fleiß, bei ſehr vielen nur die Genußſucht, die Unzufriedenheit, die Faulheit und Unzuverläſſigkeit; leichtſinnige, zu frühe Ehen kommen zahlreicher vor. Mit dieſen Uebelſtänden hat der Meiſter zu kämpfen; er wird ſie, weil er darunter leidet, leicht überſchätzen; aber vorhanden ſind ſie, und berechtigt iſt es, auf moraliſche Mittel der Gegenwirkung zu denken. Und weil ihm die andern Mittel ferner liegen, ſo iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0109"n="87"/><fwplace="top"type="header">Die Gewerbenovelle von 1849.</fw><lb/>
theile für die gewerklichen Verhältniſſe des Ortes zur<lb/>
Folge hat, kann durch Ortsſtatuten die Haltung von<lb/>
Magazinen durch Solche, die nicht Meiſter ſind,<lb/>
beſchränkt werden.</p><lb/><p>Der Handwerkerſtand war zunächſt durch dieſe neue<lb/>
Gewerbeordnung befriedigt; die vorhandenen Meiſter<lb/>
gewannen zunächſt etwas durch die Erſchwerung des<lb/>
Meiſterwerdens, und die durch ganz andere Urſachen<lb/>
bewirkte Beſſerung des Abſatzes, der Geſchäfte im fol-<lb/>
genden und nächſtfolgenden Jahre ſchob man ohne Wei-<lb/>
teres der neuen Geſetzgebung, beſonders den Prüfungen zu.</p><lb/><p>Daß man damals ſo dachte, iſt natürlich. Mehr<lb/>
zu verwundern iſt und hat mich bei vielen perſönlichen<lb/>
Rückſprachen mit liberalen aufgeklärten Meiſtern oft über-<lb/>
raſcht, daß die Mehrzahl auch heute noch für die<lb/>
Prüfungen eingenommen iſt. Waltet dabei mancherlei<lb/>
Mißverſtand, mancherlei egoiſtiſches Motiv vor, ein rich-<lb/>
tiger Kern iſt mir in den Ausſagen von vielen Meiſtern<lb/>
entgegengetreten. Das Leben der Geſellen und Lehrlinge<lb/>
außer dem Hauſe des Meiſters, in der heutigen Groß-<lb/>ſtadt, birgt in ſeiner Unabhängigkeit manche große Ge-<lb/>
fahr. Bei dem einen wächst damit der Charakter und<lb/>
der ſelbſtvertrauende redliche Fleiß, bei ſehr vielen nur<lb/>
die Genußſucht, die Unzufriedenheit, die Faulheit und<lb/>
Unzuverläſſigkeit; leichtſinnige, zu frühe Ehen kommen<lb/>
zahlreicher vor. Mit dieſen Uebelſtänden hat der Meiſter<lb/>
zu kämpfen; er wird ſie, weil er darunter leidet, leicht<lb/>
überſchätzen; aber vorhanden ſind ſie, und berechtigt iſt<lb/>
es, auf moraliſche Mittel der Gegenwirkung zu denken.<lb/>
Und weil ihm die andern Mittel ferner liegen, ſo iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[87/0109]
Die Gewerbenovelle von 1849.
theile für die gewerklichen Verhältniſſe des Ortes zur
Folge hat, kann durch Ortsſtatuten die Haltung von
Magazinen durch Solche, die nicht Meiſter ſind,
beſchränkt werden.
Der Handwerkerſtand war zunächſt durch dieſe neue
Gewerbeordnung befriedigt; die vorhandenen Meiſter
gewannen zunächſt etwas durch die Erſchwerung des
Meiſterwerdens, und die durch ganz andere Urſachen
bewirkte Beſſerung des Abſatzes, der Geſchäfte im fol-
genden und nächſtfolgenden Jahre ſchob man ohne Wei-
teres der neuen Geſetzgebung, beſonders den Prüfungen zu.
Daß man damals ſo dachte, iſt natürlich. Mehr
zu verwundern iſt und hat mich bei vielen perſönlichen
Rückſprachen mit liberalen aufgeklärten Meiſtern oft über-
raſcht, daß die Mehrzahl auch heute noch für die
Prüfungen eingenommen iſt. Waltet dabei mancherlei
Mißverſtand, mancherlei egoiſtiſches Motiv vor, ein rich-
tiger Kern iſt mir in den Ausſagen von vielen Meiſtern
entgegengetreten. Das Leben der Geſellen und Lehrlinge
außer dem Hauſe des Meiſters, in der heutigen Groß-
ſtadt, birgt in ſeiner Unabhängigkeit manche große Ge-
fahr. Bei dem einen wächst damit der Charakter und
der ſelbſtvertrauende redliche Fleiß, bei ſehr vielen nur
die Genußſucht, die Unzufriedenheit, die Faulheit und
Unzuverläſſigkeit; leichtſinnige, zu frühe Ehen kommen
zahlreicher vor. Mit dieſen Uebelſtänden hat der Meiſter
zu kämpfen; er wird ſie, weil er darunter leidet, leicht
überſchätzen; aber vorhanden ſind ſie, und berechtigt iſt
es, auf moraliſche Mittel der Gegenwirkung zu denken.
Und weil ihm die andern Mittel ferner liegen, ſo iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/109>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.