Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Entstehung, Wesen und Verfassung der Kartelle. schwierig die Verhandlungen sein mußten, wie häufig sie scheiterten, wie oft bestehendeKartelle sich wieder auflösten. Meist hat erst die bittere Not 60--90 % der gesamten Produktion des Gebietes auf den Standpunkt der Vereinigung hingedrängt; wenn nicht so viele beitraten, war der Erfolg meist in Frage gestellt. Auch ist klar, daß nur Geschäfte ohne zu viel Schwierigkeiten sich einigen konnten, die gleichmäßige, vertretbare Waren, hauptsächlich Halbstoffe erzeugen, wie Kohle, Eisen, Schienen, Salz, Chemikalien, Petroleum, Zucker, Branntwein oder Eisenbahn- und Telegraphengesellschaften etc. Die Versuche in der keramischen, Wirkwaren-, Chokoladen-, Glacehandschuhfabrikation scheiterten bisher. Auch wo es sich um Tausende von kleinen und mittleren Produzenten handelt, ist die Sache sehr viel schwieriger, als wo eine kleinere Zahl großer Fabriken den Markt beherrscht. Die Phasen der Kartellentwickelung lassen sich kurz so charakterisieren: 1. Ver- Die juristische Natur der Verbindungen und der Centralstellen kann sehr ver- Außer dem direkten Zwecke der Konkurrenz und Preisregulierung, der Herstellung In Schutzzollländern war die Herstellung der Kartelle durch die Abhaltung der 29*
Entſtehung, Weſen und Verfaſſung der Kartelle. ſchwierig die Verhandlungen ſein mußten, wie häufig ſie ſcheiterten, wie oft beſtehendeKartelle ſich wieder auflöſten. Meiſt hat erſt die bittere Not 60—90 % der geſamten Produktion des Gebietes auf den Standpunkt der Vereinigung hingedrängt; wenn nicht ſo viele beitraten, war der Erfolg meiſt in Frage geſtellt. Auch iſt klar, daß nur Geſchäfte ohne zu viel Schwierigkeiten ſich einigen konnten, die gleichmäßige, vertretbare Waren, hauptſächlich Halbſtoffe erzeugen, wie Kohle, Eiſen, Schienen, Salz, Chemikalien, Petroleum, Zucker, Branntwein oder Eiſenbahn- und Telegraphengeſellſchaften ꝛc. Die Verſuche in der keramiſchen, Wirkwaren-, Chokoladen-, Glacéhandſchuhfabrikation ſcheiterten bisher. Auch wo es ſich um Tauſende von kleinen und mittleren Produzenten handelt, iſt die Sache ſehr viel ſchwieriger, als wo eine kleinere Zahl großer Fabriken den Markt beherrſcht. Die Phaſen der Kartellentwickelung laſſen ſich kurz ſo charakteriſieren: 1. Ver- Die juriſtiſche Natur der Verbindungen und der Centralſtellen kann ſehr ver- Außer dem direkten Zwecke der Konkurrenz und Preisregulierung, der Herſtellung In Schutzzollländern war die Herſtellung der Kartelle durch die Abhaltung der 29*
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Auch wo es ſich um Tauſende von kleinen und mittleren Produzenten handelt,<lb/> iſt die Sache ſehr viel ſchwieriger, als wo eine kleinere Zahl großer Fabriken den<lb/> Markt beherrſcht.</p><lb/> <p>Die Phaſen der Kartellentwickelung laſſen ſich kurz ſo charakteriſieren: 1. Ver-<lb/> abredungen über Kreditgewährung, Zahlungsbedingungen und Ähnliches, 2. ſolche über<lb/> Maximalpreiſe, welche man für Rohſtoffe zahlt, über Minimalpreiſe, die man beim<lb/> Verkauf fordert; 3. Hinzufügung des Ehrenwortes und bald von Geldſtrafen bei Ver-<lb/> letzung, welche man durch hinterlegte Wechſel leicht einziehbar macht; auch das reicht<lb/> meiſt nicht aus; alſo 4. Verteilung des Marktes durch Demarkationslinien, die bei Strafe<lb/> eingehalten werden müſſen, und 5. Verabredungen über das einheitliche Vorgehen bei<lb/> Submiſſionen; nur <hi rendition="#g">ein</hi> Werk bietet, die anderen höchſtens zum Schein; 6. feſte Ver-<lb/> abredungen über die Größe der Produktion jedes Werkes nach ſeiner bisherigen Kapacität,<lb/> entweder überhaupt oder wenigſtens fürs Inland, häufig ſo, daß für Minderproduktion<lb/> eine Prämie gezahlt, für eine gewiſſe Mehrproduktion eine Strafe erhoben wird; dieſe<lb/> Verabredung verbindet ſich meiſt mit Preisfeſtſetzungen; 7. reicht auch das nicht, ſo wird<lb/> aller Verkauf der Produkte auf eine Centralſtelle übertragen, welche die Natur einer<lb/> gemeinſamen Agentur haben kann oder die einer ſelbſtändigen Aktiengeſellſchaft, deren<lb/> Aktionäre nur die beteiligten Werke ſein können. Iſt die Centraliſation ſoweit gediehen,<lb/> ſo können auch weitere Maßnahmen getroffen werden: die Stillſtellung teilnehmender<lb/> oder gepachteter Werke, der Ankauf von nicht beigetretenen, die Verhinderung der<lb/> Entſtehung neuer Werke, wobei man in den Mitteln teilweiſe nicht wähleriſch iſt.</p><lb/> <p>Die juriſtiſche Natur der Verbindungen und der Centralſtellen kann ſehr ver-<lb/> ſchieden ſein; in Amerika hat man die Form gewählt, daß ein kleines Vertrauens-<lb/> komitee, die ſogenannten <hi rendition="#aq">trustees</hi>, die Aktien der beteiligten Werke in die Hand und<lb/> damit die unbedingte Verfügung über Generalverſammlungen und Vorſtände, über<lb/> techniſches und kaufmänniſches Gebaren der Geſellſchaften bekommen; ſie ſtellen den<lb/> Aktionären an Stelle der Aktien Certifikate aus, oft im 2—4 fachen Betrag der Aktien,<lb/> um die gezahlten Dividenden niedriger erſcheinen zu laſſen.</p><lb/> <p>Außer dem direkten Zwecke der Konkurrenz und Preisregulierung, der Herſtellung<lb/> von Monopolen und hohen Gewinnen haben die Kartelle in großartiger Weiſe Verſuchs-<lb/> ſtationen, Bibliotheken, Nachrichtenbureaus errichtet, den techniſchen Fortſchritt gefördert,<lb/> die Verkehrsanſtalten beeinflußt, die Regierungen und Parlamente, wie die öffent-<lb/> liche Meinung bearbeitet, oft auch mit enormen Summen einzelne Perſonen für ſich<lb/> gewonnen.</p><lb/> <p>In Schutzzollländern war die Herſtellung der Kartelle durch die Abhaltung der<lb/> fremden Konkurrenz wohl etwas erleichtert; im ganzen haben ſie ſich in allen Ländern<lb/> mit maſchinellem Großbetrieb, ſtarker Konkurrenz, entwickeltem Verkehr gebildet. 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Entſtehung, Weſen und Verfaſſung der Kartelle.
ſchwierig die Verhandlungen ſein mußten, wie häufig ſie ſcheiterten, wie oft beſtehende
Kartelle ſich wieder auflöſten. Meiſt hat erſt die bittere Not 60—90 % der geſamten
Produktion des Gebietes auf den Standpunkt der Vereinigung hingedrängt; wenn nicht
ſo viele beitraten, war der Erfolg meiſt in Frage geſtellt. Auch iſt klar, daß nur
Geſchäfte ohne zu viel Schwierigkeiten ſich einigen konnten, die gleichmäßige, vertretbare
Waren, hauptſächlich Halbſtoffe erzeugen, wie Kohle, Eiſen, Schienen, Salz, Chemikalien,
Petroleum, Zucker, Branntwein oder Eiſenbahn- und Telegraphengeſellſchaften ꝛc. Die
Verſuche in der keramiſchen, Wirkwaren-, Chokoladen-, Glacéhandſchuhfabrikation ſcheiterten
bisher. Auch wo es ſich um Tauſende von kleinen und mittleren Produzenten handelt,
iſt die Sache ſehr viel ſchwieriger, als wo eine kleinere Zahl großer Fabriken den
Markt beherrſcht.
Die Phaſen der Kartellentwickelung laſſen ſich kurz ſo charakteriſieren: 1. Ver-
abredungen über Kreditgewährung, Zahlungsbedingungen und Ähnliches, 2. ſolche über
Maximalpreiſe, welche man für Rohſtoffe zahlt, über Minimalpreiſe, die man beim
Verkauf fordert; 3. Hinzufügung des Ehrenwortes und bald von Geldſtrafen bei Ver-
letzung, welche man durch hinterlegte Wechſel leicht einziehbar macht; auch das reicht
meiſt nicht aus; alſo 4. Verteilung des Marktes durch Demarkationslinien, die bei Strafe
eingehalten werden müſſen, und 5. Verabredungen über das einheitliche Vorgehen bei
Submiſſionen; nur ein Werk bietet, die anderen höchſtens zum Schein; 6. feſte Ver-
abredungen über die Größe der Produktion jedes Werkes nach ſeiner bisherigen Kapacität,
entweder überhaupt oder wenigſtens fürs Inland, häufig ſo, daß für Minderproduktion
eine Prämie gezahlt, für eine gewiſſe Mehrproduktion eine Strafe erhoben wird; dieſe
Verabredung verbindet ſich meiſt mit Preisfeſtſetzungen; 7. reicht auch das nicht, ſo wird
aller Verkauf der Produkte auf eine Centralſtelle übertragen, welche die Natur einer
gemeinſamen Agentur haben kann oder die einer ſelbſtändigen Aktiengeſellſchaft, deren
Aktionäre nur die beteiligten Werke ſein können. Iſt die Centraliſation ſoweit gediehen,
ſo können auch weitere Maßnahmen getroffen werden: die Stillſtellung teilnehmender
oder gepachteter Werke, der Ankauf von nicht beigetretenen, die Verhinderung der
Entſtehung neuer Werke, wobei man in den Mitteln teilweiſe nicht wähleriſch iſt.
Die juriſtiſche Natur der Verbindungen und der Centralſtellen kann ſehr ver-
ſchieden ſein; in Amerika hat man die Form gewählt, daß ein kleines Vertrauens-
komitee, die ſogenannten trustees, die Aktien der beteiligten Werke in die Hand und
damit die unbedingte Verfügung über Generalverſammlungen und Vorſtände, über
techniſches und kaufmänniſches Gebaren der Geſellſchaften bekommen; ſie ſtellen den
Aktionären an Stelle der Aktien Certifikate aus, oft im 2—4 fachen Betrag der Aktien,
um die gezahlten Dividenden niedriger erſcheinen zu laſſen.
Außer dem direkten Zwecke der Konkurrenz und Preisregulierung, der Herſtellung
von Monopolen und hohen Gewinnen haben die Kartelle in großartiger Weiſe Verſuchs-
ſtationen, Bibliotheken, Nachrichtenbureaus errichtet, den techniſchen Fortſchritt gefördert,
die Verkehrsanſtalten beeinflußt, die Regierungen und Parlamente, wie die öffent-
liche Meinung bearbeitet, oft auch mit enormen Summen einzelne Perſonen für ſich
gewonnen.
In Schutzzollländern war die Herſtellung der Kartelle durch die Abhaltung der
fremden Konkurrenz wohl etwas erleichtert; im ganzen haben ſie ſich in allen Ländern
mit maſchinellem Großbetrieb, ſtarker Konkurrenz, entwickeltem Verkehr gebildet. Am
weitgehendſten wohl in den Vereinigten Staaten, wo ſie auch die Politik und die
Eiſenbahnen am meiſten beherrſchen; es exiſtieren dort zahlreiche Truſts mit 60—90 Mill.
Dollars Kapital; aber auch in England, Frankreich, Deutſchland, Öſterreich, Italien
beſtehen zahlreiche Kartelle; in Deutſchland zählte man 1887 70, 1896 137. Eine
Reihe großer internationaler Kartelle beherrſchen den Weltmarkt, wie der amerikaniſche
Standart Oil Truſt, der die dortige Petroleumproduktion, und das Haus Rothſchild,
das die ruſſiſche kontrolliert. Jeder derartige Verband wirkt leicht darauf hin, daß
die mit ihm verkehrenden Produktionskreiſe ſich ähnlich organiſieren, um nicht bei jeder
Gelegenheit von der Übermacht des anderen Teiles gedrückt zu werden. Die Groß- und
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