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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
alle so kennen; er muß alles Mögliche seinen Untergebenen überlassen. Die Schatten-
seiten des reinen Privatgeschäfts treten mehr hervor. Das größere Geschäft ist leicht
auf fremdes Kapital angewiesen, das ihm gekündigt werden kann. Zufällige Familien-
schicksale bedrohen es stets; der frühe Tod des Inhabers führt zu einer Auflösung oder
zu einem Verkauf. Die Auflösung zerstört die Kundenbeziehung, die Tradition, die
Erfahrungen, die hier gesammelt waren, macht Angestellte und Arbeiter brotlos. Der
Verkauf bringt einen neuen Herrn, mit dem die alten Diener sich nicht stellen können.
Durch Erbschaft kommt das Geschäft oft in die Hände eines unfähigen Sohnes.

So wachsen für die größeren Unternehmungen die Anlässe, die Impulse, sie in
kollektive Hände überzuführen. Wir besprechen das Entstehen der Handels- und Aktien-
gesellschaften, der Genossenschaften, der Kartelle in den folgenden Paragraphen. Hier
fügen wir nur noch die statistische Thatsache bei, daß unsere Gewerbestatistik von 1895
schon 70050 Unternehmungen zählt, welche in kollektiven Händen liegen; das erscheint
nicht viel gegenüber 1,4 Mill. Gehülfenbetrieben, wohl aber gegenüber 18933 Betrieben
mit über 50 und gegenüber 210000 mit über 10 Personen; und es kommen auf sie
schon 2,8 Mill. (1882 1,7) Personen; rechnete man dazu noch die Post und die Eisen-
bahnen, so würden es etwa 3,4 Millionen sein gegenüber einer Gesamtzahl von etwas über
10 Mill., welche in gewerblichen Betrieben mit Gehülfen (einschließlich Post und Eisen-
bahn) thätig sind. Unter den 70050 Kollektivbetrieben sind 55239 offene Handels-
gesellschaften mit fast 1,5 Mill. Personen. Auch die anderen Formen der Kollektiv-
betriebe haben also bereits eine erhebliche Bedeutung; und sie sind entfernt nicht voll
von der Statistik erfaßt. Es fehlen einige Tausend Genossenschaften, wahrscheinlich auch
viele Gemeindeanstalten. Der staatliche Forstbetrieb, die ganze Heeresverwaltung ist
nicht einbegriffen.

Auf weitere Einzelheiten hier einzugehen, würde zu weit führen. Auch davon
will ich hier nicht weiter sprechen, daß jede solche kollektive Geschäftsleitung neue andere
Schwierigkeiten erzeugt, als sie in der Einzelunternehmung vorliegen. Wir kommen
darauf teilweise weiterhin zurück. Nur das möchte ich hier noch betonen: die Geschäfte mit
solcher Spitze haben in ihrer komplizierten Leitung die Einfachheit und Schlagfertigkeit
der herrschaftlichen Einzelunternehmung eingebüßt; ihre Leiter werden nicht mehr von
so einfachen Motiven beherrscht, sie müssen sich vertragen, einem Gesamtinteresse unter-
ordnen. Deshalb können kollektive Geschäftsleitungen nur glücklich fungieren, wenn
psychologisch-sittliche Entwickelungsreihen und eigentümliche rechtliche und institutionelle
Prozesse in aufwärtsgehender Linie sich vollzogen haben.

ad 2. Die Einschiebung eines geschäftlichen Beamtentums zwischen die Inhaber
der Geschäfte und die Arbeiter ist ein Resultat des Großbetriebes. Die Zahl solcher
Angestellter betrug nach der Berufsstatistik

[Tabelle]

In der deutschen Gewerbestatistik (die Gärtnerei, Tierzucht, Gewerbe, Handel
und Verkehr umfaßt) zählte man 1895 auf 3 Mill. Selbständiger (d. h. Unternehmer),
wovon 1,7 Mill. Allein-, 1,3 Mill. Gehülfenbetriebe waren, 0,5 Mill. Angestellte,
6,8 Mill. Arbeiter; also die Unternehmer in den Gehülfenbetrieben betrugen nur noch
das 21/2 fache ihrer Beamten; nach den gewerbestatistischen Zahlen haben von 1882 bis
1895 die Unternehmer in den Gehülfenbetrieben um 1,3 %, die Arbeiter um 62,6, die
Beamten um 118,9 % zugenommen. Daraus erhellt die rasch wachsende Bedeutung
dieser Elemente unserer heutigen größeren Betriebe. Sie spielen in den Aktiengesellschaften
und Genossenschaften eine noch größere Rolle als in den großen Privatgeschäften. An
sie denkt die Socialdemokratie, wenn sie behauptet, die das Kapital besitzenden Eigen-
tümer der Geschäfte könnten heute jeden Tag entbehrt werden. Wir werden sehen, wie

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
alle ſo kennen; er muß alles Mögliche ſeinen Untergebenen überlaſſen. Die Schatten-
ſeiten des reinen Privatgeſchäfts treten mehr hervor. Das größere Geſchäft iſt leicht
auf fremdes Kapital angewieſen, das ihm gekündigt werden kann. Zufällige Familien-
ſchickſale bedrohen es ſtets; der frühe Tod des Inhabers führt zu einer Auflöſung oder
zu einem Verkauf. Die Auflöſung zerſtört die Kundenbeziehung, die Tradition, die
Erfahrungen, die hier geſammelt waren, macht Angeſtellte und Arbeiter brotlos. Der
Verkauf bringt einen neuen Herrn, mit dem die alten Diener ſich nicht ſtellen können.
Durch Erbſchaft kommt das Geſchäft oft in die Hände eines unfähigen Sohnes.

So wachſen für die größeren Unternehmungen die Anläſſe, die Impulſe, ſie in
kollektive Hände überzuführen. Wir beſprechen das Entſtehen der Handels- und Aktien-
geſellſchaften, der Genoſſenſchaften, der Kartelle in den folgenden Paragraphen. Hier
fügen wir nur noch die ſtatiſtiſche Thatſache bei, daß unſere Gewerbeſtatiſtik von 1895
ſchon 70050 Unternehmungen zählt, welche in kollektiven Händen liegen; das erſcheint
nicht viel gegenüber 1,4 Mill. Gehülfenbetrieben, wohl aber gegenüber 18933 Betrieben
mit über 50 und gegenüber 210000 mit über 10 Perſonen; und es kommen auf ſie
ſchon 2,8 Mill. (1882 1,7) Perſonen; rechnete man dazu noch die Poſt und die Eiſen-
bahnen, ſo würden es etwa 3,4 Millionen ſein gegenüber einer Geſamtzahl von etwas über
10 Mill., welche in gewerblichen Betrieben mit Gehülfen (einſchließlich Poſt und Eiſen-
bahn) thätig ſind. Unter den 70050 Kollektivbetrieben ſind 55239 offene Handels-
geſellſchaften mit faſt 1,5 Mill. Perſonen. Auch die anderen Formen der Kollektiv-
betriebe haben alſo bereits eine erhebliche Bedeutung; und ſie ſind entfernt nicht voll
von der Statiſtik erfaßt. Es fehlen einige Tauſend Genoſſenſchaften, wahrſcheinlich auch
viele Gemeindeanſtalten. Der ſtaatliche Forſtbetrieb, die ganze Heeresverwaltung iſt
nicht einbegriffen.

Auf weitere Einzelheiten hier einzugehen, würde zu weit führen. Auch davon
will ich hier nicht weiter ſprechen, daß jede ſolche kollektive Geſchäftsleitung neue andere
Schwierigkeiten erzeugt, als ſie in der Einzelunternehmung vorliegen. Wir kommen
darauf teilweiſe weiterhin zurück. Nur das möchte ich hier noch betonen: die Geſchäfte mit
ſolcher Spitze haben in ihrer komplizierten Leitung die Einfachheit und Schlagfertigkeit
der herrſchaftlichen Einzelunternehmung eingebüßt; ihre Leiter werden nicht mehr von
ſo einfachen Motiven beherrſcht, ſie müſſen ſich vertragen, einem Geſamtintereſſe unter-
ordnen. Deshalb können kollektive Geſchäftsleitungen nur glücklich fungieren, wenn
pſychologiſch-ſittliche Entwickelungsreihen und eigentümliche rechtliche und inſtitutionelle
Prozeſſe in aufwärtsgehender Linie ſich vollzogen haben.

ad 2. Die Einſchiebung eines geſchäftlichen Beamtentums zwiſchen die Inhaber
der Geſchäfte und die Arbeiter iſt ein Reſultat des Großbetriebes. Die Zahl ſolcher
Angeſtellter betrug nach der Berufsſtatiſtik

[Tabelle]

In der deutſchen Gewerbeſtatiſtik (die Gärtnerei, Tierzucht, Gewerbe, Handel
und Verkehr umfaßt) zählte man 1895 auf 3 Mill. Selbſtändiger (d. h. Unternehmer),
wovon 1,7 Mill. Allein-, 1,3 Mill. Gehülfenbetriebe waren, 0,5 Mill. Angeſtellte,
6,8 Mill. Arbeiter; alſo die Unternehmer in den Gehülfenbetrieben betrugen nur noch
das 2½ fache ihrer Beamten; nach den gewerbeſtatiſtiſchen Zahlen haben von 1882 bis
1895 die Unternehmer in den Gehülfenbetrieben um 1,3 %, die Arbeiter um 62,6, die
Beamten um 118,9 % zugenommen. Daraus erhellt die raſch wachſende Bedeutung
dieſer Elemente unſerer heutigen größeren Betriebe. Sie ſpielen in den Aktiengeſellſchaften
und Genoſſenſchaften eine noch größere Rolle als in den großen Privatgeſchäften. An
ſie denkt die Socialdemokratie, wenn ſie behauptet, die das Kapital beſitzenden Eigen-
tümer der Geſchäfte könnten heute jeden Tag entbehrt werden. Wir werden ſehen, wie

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[436/0452] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. alle ſo kennen; er muß alles Mögliche ſeinen Untergebenen überlaſſen. Die Schatten- ſeiten des reinen Privatgeſchäfts treten mehr hervor. Das größere Geſchäft iſt leicht auf fremdes Kapital angewieſen, das ihm gekündigt werden kann. Zufällige Familien- ſchickſale bedrohen es ſtets; der frühe Tod des Inhabers führt zu einer Auflöſung oder zu einem Verkauf. Die Auflöſung zerſtört die Kundenbeziehung, die Tradition, die Erfahrungen, die hier geſammelt waren, macht Angeſtellte und Arbeiter brotlos. Der Verkauf bringt einen neuen Herrn, mit dem die alten Diener ſich nicht ſtellen können. Durch Erbſchaft kommt das Geſchäft oft in die Hände eines unfähigen Sohnes. So wachſen für die größeren Unternehmungen die Anläſſe, die Impulſe, ſie in kollektive Hände überzuführen. Wir beſprechen das Entſtehen der Handels- und Aktien- geſellſchaften, der Genoſſenſchaften, der Kartelle in den folgenden Paragraphen. Hier fügen wir nur noch die ſtatiſtiſche Thatſache bei, daß unſere Gewerbeſtatiſtik von 1895 ſchon 70050 Unternehmungen zählt, welche in kollektiven Händen liegen; das erſcheint nicht viel gegenüber 1,4 Mill. Gehülfenbetrieben, wohl aber gegenüber 18933 Betrieben mit über 50 und gegenüber 210000 mit über 10 Perſonen; und es kommen auf ſie ſchon 2,8 Mill. (1882 1,7) Perſonen; rechnete man dazu noch die Poſt und die Eiſen- bahnen, ſo würden es etwa 3,4 Millionen ſein gegenüber einer Geſamtzahl von etwas über 10 Mill., welche in gewerblichen Betrieben mit Gehülfen (einſchließlich Poſt und Eiſen- bahn) thätig ſind. Unter den 70050 Kollektivbetrieben ſind 55239 offene Handels- geſellſchaften mit faſt 1,5 Mill. Perſonen. Auch die anderen Formen der Kollektiv- betriebe haben alſo bereits eine erhebliche Bedeutung; und ſie ſind entfernt nicht voll von der Statiſtik erfaßt. Es fehlen einige Tauſend Genoſſenſchaften, wahrſcheinlich auch viele Gemeindeanſtalten. Der ſtaatliche Forſtbetrieb, die ganze Heeresverwaltung iſt nicht einbegriffen. Auf weitere Einzelheiten hier einzugehen, würde zu weit führen. Auch davon will ich hier nicht weiter ſprechen, daß jede ſolche kollektive Geſchäftsleitung neue andere Schwierigkeiten erzeugt, als ſie in der Einzelunternehmung vorliegen. Wir kommen darauf teilweiſe weiterhin zurück. Nur das möchte ich hier noch betonen: die Geſchäfte mit ſolcher Spitze haben in ihrer komplizierten Leitung die Einfachheit und Schlagfertigkeit der herrſchaftlichen Einzelunternehmung eingebüßt; ihre Leiter werden nicht mehr von ſo einfachen Motiven beherrſcht, ſie müſſen ſich vertragen, einem Geſamtintereſſe unter- ordnen. Deshalb können kollektive Geſchäftsleitungen nur glücklich fungieren, wenn pſychologiſch-ſittliche Entwickelungsreihen und eigentümliche rechtliche und inſtitutionelle Prozeſſe in aufwärtsgehender Linie ſich vollzogen haben. ad 2. Die Einſchiebung eines geſchäftlichen Beamtentums zwiſchen die Inhaber der Geſchäfte und die Arbeiter iſt ein Reſultat des Großbetriebes. Die Zahl ſolcher Angeſtellter betrug nach der Berufsſtatiſtik In der deutſchen Gewerbeſtatiſtik (die Gärtnerei, Tierzucht, Gewerbe, Handel und Verkehr umfaßt) zählte man 1895 auf 3 Mill. Selbſtändiger (d. h. Unternehmer), wovon 1,7 Mill. Allein-, 1,3 Mill. Gehülfenbetriebe waren, 0,5 Mill. Angeſtellte, 6,8 Mill. Arbeiter; alſo die Unternehmer in den Gehülfenbetrieben betrugen nur noch das 2½ fache ihrer Beamten; nach den gewerbeſtatiſtiſchen Zahlen haben von 1882 bis 1895 die Unternehmer in den Gehülfenbetrieben um 1,3 %, die Arbeiter um 62,6, die Beamten um 118,9 % zugenommen. Daraus erhellt die raſch wachſende Bedeutung dieſer Elemente unſerer heutigen größeren Betriebe. Sie ſpielen in den Aktiengeſellſchaften und Genoſſenſchaften eine noch größere Rolle als in den großen Privatgeſchäften. An ſie denkt die Socialdemokratie, wenn ſie behauptet, die das Kapital beſitzenden Eigen- tümer der Geſchäfte könnten heute jeden Tag entbehrt werden. Wir werden ſehen, wie

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/452>, abgerufen am 02.05.2024.