Das Erbrecht, die Angriffe auf dasselbe, seine Reform.
Man kann nun einwenden, in solchen Zeiten sänken die verkommenen Söhne und Enkel einer alternden Aristokratie durch Verschwendung und durch ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften in der Regel spätestens in der 2. oder 3. Generation von selbst in die unteren Klassen herab, oder die Familien stürben aus, neue, bessere Elemente träten an ihre Stelle, und es fände so gleichsam ein natürlicher Reinigungsprozeß statt. Aber ein solcher genügt den anstürmenden demokratischen Bestrebungen nicht. Unter dem Ein- drucke der entarteten Sitten, der gesunkenen Leistungsfähigkeit und der politischen Fehler der bevorrechtigten Kreise, bildet sich in solcher Zeit der Glaube, alle Vermögens- verteilung sei ungerecht. Und unter der Vorstellung, daß alle Menschen von Natur gleich seien, wird nun das Erbrecht überhaupt angegriffen, das den gleichen Menschen so ungleichen Besitz zuweise. Der Zufall, der durch Krankheit und Gesundheit, durch Leben und Sterben in alles Menschenschicksal eingreift, erscheint auch in der Form der Erbrechtsresultate nun als etwas Unerträgliches, durch neue Einrichtungen zu Beseitigendes.
Aus solchen Bewegungen ist der berechtigte Gedanke erwachsen, daß das Erbrecht der Seitenverwandten zu beseitigen sei, daß der Staat durch Erbschaftssteuern an jeder Vermögensübertragung im Todesfall teilzunehmen habe. Weiter schon geht es, wenn alle größeren Vermögen einer progressiven Erbschaftssteuer unterworfen werden, oder wenn, wie das oft (zumal im Altertum) vorgekommen ist, die größeren Vermögen durch staatliche Konfiskation beseitigt werden. Das letzte Glied in dieser Kette ist der socialistische Gedanke, überhaupt Staat oder Gemeinde statt der Kinder erben zu lassen oder wenigstens jede Erbschaft über einen gewissen Umfang diesem Princip zu unterwerfen. Dabei wird übersehen, wie klein heutzutage die Zahl der Millionäre ist, die man beneidet, bei deren Kindern die ungünstigen sittlichen und wirtschaftlichen Folgen des Erbrechts über- wiegen. Wir können ohne Übertreibung behaupten, daß bei 80--95 % aller Familien auch heute noch das Erbrecht der Kinder überwiegend segensreich wirkt. Auf die Zahlen, die dies wahrscheinlich machen, werden wir bei der Einkommensverteilung zurückkommen. Und auch bei der heutigen Aristokratie wird die Zahl derer, welche durch größeren Besitz und Erhaltung desselben in den Familien der Gesamtheit mehr nützen als schaden, ebenso groß oder größer sein wie die der entarteten Rentierssöhnchen, die durch ein großes Erbe zu Grunde gehen, nicht arbeiten, durch ihr Beispiel mehr schaden als nützen. Und wie wollte man ein Erbrecht einrichten, das nach der persönlichen Würdigkeit dem einen sein Erbe läßt, dem anderen es nimmt. So wird, so lange es individuelle Menschen und individuelles Eigentum giebt, die Menschheit sich in Familien fortpflanzt, auch das Erbrecht dauern, allerdings allmählich durch Steuern mehr beschränkt und in Bezug auf Seitenverwandte ganz oder halb beseitigt; sowie modifiziert durch jenen gemeinnützigen Sinn, der jedem Millionär die Pflicht auferlegt, einen Teil seines Besitzes durch gemeinnützige Stiftungen der Gesamtheit zuzuwenden.
131. Die Ergebnisse der geschichtlichen Betrachtung. Zwei historische Entwickelungsreihen aus der Geschichte des Eigentums übersehen wir: die antike und die moderne. Beidesmal siegte im ganzen das Privateigentum über das ältere Staats- und Gemeindeeigentum. Diese letzteren Formen waren in breiter, aus- gebildeter Weise so lange vorhanden, wie eine naturalwirtschaftliche Genossenschafts- oder Staatsverfassung die noch nicht zu individueller Ausbildung gelangten Menschen beherrschte. Ein volles staatliches Bodeneigentum hat es nur in militärischen oder priesterlichen Despotien gegeben; die Allmende setzte Überwiegen der Weidewirtschaft über den Ackerbau voraus. Mit dem Siege des intensiven Ackerbaues, mit allen Fort- schritten der Technik verknüpft sich bei allen Völkern das breitere Vordringen des freien Privateigentums. Weil wir bisher eine andere Art vollendeter technischer Produktion in Ackerbau und Industrie, im Klein- und Großhandel noch nicht erlebt haben, als unter der Voraussetzung des überwiegenden Privateigentums, so hat bisher auch die herrschaftliche freie Verfügung der Individuen über die Gegenstände der beschränkten materiellen Außenwelt für die beste rechtliche Basis der Volkswirtschaft gegolten.
Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 25
Das Erbrecht, die Angriffe auf dasſelbe, ſeine Reform.
Man kann nun einwenden, in ſolchen Zeiten ſänken die verkommenen Söhne und Enkel einer alternden Ariſtokratie durch Verſchwendung und durch ihre körperlichen und geiſtigen Eigenſchaften in der Regel ſpäteſtens in der 2. oder 3. Generation von ſelbſt in die unteren Klaſſen herab, oder die Familien ſtürben aus, neue, beſſere Elemente träten an ihre Stelle, und es fände ſo gleichſam ein natürlicher Reinigungsprozeß ſtatt. Aber ein ſolcher genügt den anſtürmenden demokratiſchen Beſtrebungen nicht. Unter dem Ein- drucke der entarteten Sitten, der geſunkenen Leiſtungsfähigkeit und der politiſchen Fehler der bevorrechtigten Kreiſe, bildet ſich in ſolcher Zeit der Glaube, alle Vermögens- verteilung ſei ungerecht. Und unter der Vorſtellung, daß alle Menſchen von Natur gleich ſeien, wird nun das Erbrecht überhaupt angegriffen, das den gleichen Menſchen ſo ungleichen Beſitz zuweiſe. Der Zufall, der durch Krankheit und Geſundheit, durch Leben und Sterben in alles Menſchenſchickſal eingreift, erſcheint auch in der Form der Erbrechtsreſultate nun als etwas Unerträgliches, durch neue Einrichtungen zu Beſeitigendes.
Aus ſolchen Bewegungen iſt der berechtigte Gedanke erwachſen, daß das Erbrecht der Seitenverwandten zu beſeitigen ſei, daß der Staat durch Erbſchaftsſteuern an jeder Vermögensübertragung im Todesfall teilzunehmen habe. Weiter ſchon geht es, wenn alle größeren Vermögen einer progreſſiven Erbſchaftsſteuer unterworfen werden, oder wenn, wie das oft (zumal im Altertum) vorgekommen iſt, die größeren Vermögen durch ſtaatliche Konfiskation beſeitigt werden. Das letzte Glied in dieſer Kette iſt der ſocialiſtiſche Gedanke, überhaupt Staat oder Gemeinde ſtatt der Kinder erben zu laſſen oder wenigſtens jede Erbſchaft über einen gewiſſen Umfang dieſem Princip zu unterwerfen. Dabei wird überſehen, wie klein heutzutage die Zahl der Millionäre iſt, die man beneidet, bei deren Kindern die ungünſtigen ſittlichen und wirtſchaftlichen Folgen des Erbrechts über- wiegen. Wir können ohne Übertreibung behaupten, daß bei 80—95 % aller Familien auch heute noch das Erbrecht der Kinder überwiegend ſegensreich wirkt. Auf die Zahlen, die dies wahrſcheinlich machen, werden wir bei der Einkommensverteilung zurückkommen. Und auch bei der heutigen Ariſtokratie wird die Zahl derer, welche durch größeren Beſitz und Erhaltung desſelben in den Familien der Geſamtheit mehr nützen als ſchaden, ebenſo groß oder größer ſein wie die der entarteten Rentiersſöhnchen, die durch ein großes Erbe zu Grunde gehen, nicht arbeiten, durch ihr Beiſpiel mehr ſchaden als nützen. Und wie wollte man ein Erbrecht einrichten, das nach der perſönlichen Würdigkeit dem einen ſein Erbe läßt, dem anderen es nimmt. So wird, ſo lange es individuelle Menſchen und individuelles Eigentum giebt, die Menſchheit ſich in Familien fortpflanzt, auch das Erbrecht dauern, allerdings allmählich durch Steuern mehr beſchränkt und in Bezug auf Seitenverwandte ganz oder halb beſeitigt; ſowie modifiziert durch jenen gemeinnützigen Sinn, der jedem Millionär die Pflicht auferlegt, einen Teil ſeines Beſitzes durch gemeinnützige Stiftungen der Geſamtheit zuzuwenden.
131. Die Ergebniſſe der geſchichtlichen Betrachtung. Zwei hiſtoriſche Entwickelungsreihen aus der Geſchichte des Eigentums überſehen wir: die antike und die moderne. Beidesmal ſiegte im ganzen das Privateigentum über das ältere Staats- und Gemeindeeigentum. Dieſe letzteren Formen waren in breiter, aus- gebildeter Weiſe ſo lange vorhanden, wie eine naturalwirtſchaftliche Genoſſenſchafts- oder Staatsverfaſſung die noch nicht zu individueller Ausbildung gelangten Menſchen beherrſchte. Ein volles ſtaatliches Bodeneigentum hat es nur in militäriſchen oder prieſterlichen Despotien gegeben; die Allmende ſetzte Überwiegen der Weidewirtſchaft über den Ackerbau voraus. Mit dem Siege des intenſiven Ackerbaues, mit allen Fort- ſchritten der Technik verknüpft ſich bei allen Völkern das breitere Vordringen des freien Privateigentums. Weil wir bisher eine andere Art vollendeter techniſcher Produktion in Ackerbau und Induſtrie, im Klein- und Großhandel noch nicht erlebt haben, als unter der Vorausſetzung des überwiegenden Privateigentums, ſo hat bisher auch die herrſchaftliche freie Verfügung der Individuen über die Gegenſtände der beſchränkten materiellen Außenwelt für die beſte rechtliche Baſis der Volkswirtſchaft gegolten.
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 25
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[385/0401]
Das Erbrecht, die Angriffe auf dasſelbe, ſeine Reform.
Man kann nun einwenden, in ſolchen Zeiten ſänken die verkommenen Söhne und
Enkel einer alternden Ariſtokratie durch Verſchwendung und durch ihre körperlichen und
geiſtigen Eigenſchaften in der Regel ſpäteſtens in der 2. oder 3. Generation von ſelbſt
in die unteren Klaſſen herab, oder die Familien ſtürben aus, neue, beſſere Elemente träten
an ihre Stelle, und es fände ſo gleichſam ein natürlicher Reinigungsprozeß ſtatt. Aber
ein ſolcher genügt den anſtürmenden demokratiſchen Beſtrebungen nicht. Unter dem Ein-
drucke der entarteten Sitten, der geſunkenen Leiſtungsfähigkeit und der politiſchen Fehler
der bevorrechtigten Kreiſe, bildet ſich in ſolcher Zeit der Glaube, alle Vermögens-
verteilung ſei ungerecht. Und unter der Vorſtellung, daß alle Menſchen von Natur
gleich ſeien, wird nun das Erbrecht überhaupt angegriffen, das den gleichen Menſchen
ſo ungleichen Beſitz zuweiſe. Der Zufall, der durch Krankheit und Geſundheit, durch
Leben und Sterben in alles Menſchenſchickſal eingreift, erſcheint auch in der Form
der Erbrechtsreſultate nun als etwas Unerträgliches, durch neue Einrichtungen zu
Beſeitigendes.
Aus ſolchen Bewegungen iſt der berechtigte Gedanke erwachſen, daß das Erbrecht
der Seitenverwandten zu beſeitigen ſei, daß der Staat durch Erbſchaftsſteuern an jeder
Vermögensübertragung im Todesfall teilzunehmen habe. Weiter ſchon geht es, wenn
alle größeren Vermögen einer progreſſiven Erbſchaftsſteuer unterworfen werden, oder
wenn, wie das oft (zumal im Altertum) vorgekommen iſt, die größeren Vermögen durch
ſtaatliche Konfiskation beſeitigt werden. Das letzte Glied in dieſer Kette iſt der ſocialiſtiſche
Gedanke, überhaupt Staat oder Gemeinde ſtatt der Kinder erben zu laſſen oder wenigſtens
jede Erbſchaft über einen gewiſſen Umfang dieſem Princip zu unterwerfen. Dabei wird
überſehen, wie klein heutzutage die Zahl der Millionäre iſt, die man beneidet, bei
deren Kindern die ungünſtigen ſittlichen und wirtſchaftlichen Folgen des Erbrechts über-
wiegen. Wir können ohne Übertreibung behaupten, daß bei 80—95 % aller Familien
auch heute noch das Erbrecht der Kinder überwiegend ſegensreich wirkt. Auf die Zahlen,
die dies wahrſcheinlich machen, werden wir bei der Einkommensverteilung zurückkommen.
Und auch bei der heutigen Ariſtokratie wird die Zahl derer, welche durch größeren
Beſitz und Erhaltung desſelben in den Familien der Geſamtheit mehr nützen als
ſchaden, ebenſo groß oder größer ſein wie die der entarteten Rentiersſöhnchen, die durch
ein großes Erbe zu Grunde gehen, nicht arbeiten, durch ihr Beiſpiel mehr ſchaden
als nützen. Und wie wollte man ein Erbrecht einrichten, das nach der perſönlichen
Würdigkeit dem einen ſein Erbe läßt, dem anderen es nimmt. So wird, ſo lange
es individuelle Menſchen und individuelles Eigentum giebt, die Menſchheit ſich in
Familien fortpflanzt, auch das Erbrecht dauern, allerdings allmählich durch Steuern mehr
beſchränkt und in Bezug auf Seitenverwandte ganz oder halb beſeitigt; ſowie modifiziert
durch jenen gemeinnützigen Sinn, der jedem Millionär die Pflicht auferlegt, einen Teil
ſeines Beſitzes durch gemeinnützige Stiftungen der Geſamtheit zuzuwenden.
131. Die Ergebniſſe der geſchichtlichen Betrachtung. Zwei
hiſtoriſche Entwickelungsreihen aus der Geſchichte des Eigentums überſehen wir: die
antike und die moderne. Beidesmal ſiegte im ganzen das Privateigentum über das
ältere Staats- und Gemeindeeigentum. Dieſe letzteren Formen waren in breiter, aus-
gebildeter Weiſe ſo lange vorhanden, wie eine naturalwirtſchaftliche Genoſſenſchafts- oder
Staatsverfaſſung die noch nicht zu individueller Ausbildung gelangten Menſchen
beherrſchte. Ein volles ſtaatliches Bodeneigentum hat es nur in militäriſchen oder
prieſterlichen Despotien gegeben; die Allmende ſetzte Überwiegen der Weidewirtſchaft
über den Ackerbau voraus. Mit dem Siege des intenſiven Ackerbaues, mit allen Fort-
ſchritten der Technik verknüpft ſich bei allen Völkern das breitere Vordringen des freien
Privateigentums. Weil wir bisher eine andere Art vollendeter techniſcher Produktion
in Ackerbau und Induſtrie, im Klein- und Großhandel noch nicht erlebt haben, als
unter der Vorausſetzung des überwiegenden Privateigentums, ſo hat bisher auch die
herrſchaftliche freie Verfügung der Individuen über die Gegenſtände der beſchränkten
materiellen Außenwelt für die beſte rechtliche Baſis der Volkswirtſchaft gegolten.
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 25
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/401>, abgerufen am 22.11.2024.
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