Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Vieles, was man von der Arbeitsteilung überhaupt aussagte, gilt nur von dieser weitgehendsten Art der gewerblichen Arbeitszerlegung, die zugleich ihren eigentümlichen Charakter dadurch erhält, daß sie vom Unternehmer angeordnet, meist in der Fabrik und unter ihrer Disciplin ausgeführt wird. Es ist eine Art specialisierter Arbeit, die in schroffem Gegensatze zur haus- und landwirtschaftlichen, zur gewerblichen alten Werkstattarbeit steht.
Einen etwas verschiedenen Charakter hat diese Arbeitszerlegung, je nachdem sie mehr an specialisierte Werkzeuge anknüpft und so virtuose Teilarbeiter schafft, deren Ausbildung, in Jahren erworben, gleichsam einen wertvollen Besitz darstellt oder, je nachdem die Arbeitsmaschinen gesiegt haben und damit die virtuosen Teilarbeiter über- flüssig, durch ungelernte und sogenannte Futterarbeiter ersetzt wurden. Gewiß ist mit der fortschreitenden Maschinenanwendung so ein Teil der Arbeiter technisch herab- gedrückt worden; aber es ist eine grobe Übertreibung, wenn Marx die Sache so dar- stellt, als ob hierdurch fast alle Arbeiter in ungelernte verwandelt, der ganze Arbeiterstand gesunken wäre.
Die neueste deutsche Berufszählung hat über das Vorkommen der gelernten und ungelernten Arbeiter zum erstenmale volles Licht verbreitet. Ich führe nach ihr und anderweiten Nachrichten folgendes an. Es ist zuerst zu bemerken, daß auch viele sogenannte ungelernte Arbeiter, wie die Spinner und Weber, durch gute und lange Übung zu halbgelernten werden können. Der ausgezeichnete Maschinenweber kann die doppelte, oft dreifache Zahl mechanischer Webstühle bedienen. Sehr wichtig ist, daß die ungelernte gewerbliche Arbeit fast doppelt so stark bei dem weiblichen Geschlecht vorkommt wie beim männlichen; ferner daß sie in der Landwirtschaft mehr als noch einmal so zahlreich, im Handel und Verkehr mehr als dreimal so häufig vertreten ist wie im Gewerbe. Die ungelernte weibliche Arbeit liegt aber im Wesen des weiblichen Geschlechtes an sich mehr begründet; und die ungelernte landwirtschaftliche Arbeit ist abwechslungsvoll und gesund, ist in der Unmöglichkeit der Arbeitsteilung in der Landwirtschaft begründet; die im Handel und Verkehr besteht vielfach aus Vertrauenspersonen, aus Kutschern, Hausdienern etc.
Außerdem beschränkt sich in der Industrie die starke Zunahme der ungelernten Arbeit auf gewisse Industriegruppen, wie Spinnerei, Weberei, Wäscherei, Färberei, Buch- binderei, Papier-, chemische, Zuckerfabriken, Hütten etc. In dem größeren Teile der Maschinen-, Metall-, Holz-, Möbel-, Lederindustrie, in den Kunstgewerben, in den alten Handwerken überwiegt noch heute die gelernte Arbeit; in vielen Industrien hat bis in die neuere Zeit trotz zahlreicher Maschinen die Specialisierung der Operationen zugenommen, und stehen überall neben Futterarbeitern feine Specialarbeiter, z. B. in einer englischen Tuchfabrik wurden neuerdings 34 Operationen, in einer deutschen Schuhwarenfabrik 16 unterschieden. Ich führe zuletzt das Gesamtresultat der deutschen Berufszählung und einer Erhebung an, die Bücher für Basel und das Jahr 1888 gemacht hat. Es gab unter 100 Gewerbetreibenden:
[Tabelle]
In diesen Zahlen liegt zugleich ein Hinweis auf die vier socialen Gruppen, welche die moderne gewerbliche Arbeitsteilung geschaffen hat. An der Spitze der größeren Ge- schäfte steht die leitende, kaufmännisch und technisch geschulte Aristokratie; die betreffenden sind meist zugleich die Eigentümer eines erheblichen Teiles des in den Geschäften steckenden werbenden Kapitals; aber vielfach sind es auch mittellose Kapazitäten, die als Direktoren von Gesellschaften, als Associes, als Prokuristen die Geschäfte leiten. Neben dieser Klasse steht im Verhältnis von bezahlten Beamten heute die rasch wachsende Zahl der Commis, Techniker, Künstler, Contremaitres, Aufseher, die teils aus dem Handel, teils aus den liberalen Berufen, teils aus dem höheren Arbeiterstande hervorgehen. Sie bilden zusammen mit den kleineren Unternehmern die höhere Schicht des Mittelstandes. An dritter und
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Vieles, was man von der Arbeitsteilung überhaupt ausſagte, gilt nur von dieſer weitgehendſten Art der gewerblichen Arbeitszerlegung, die zugleich ihren eigentümlichen Charakter dadurch erhält, daß ſie vom Unternehmer angeordnet, meiſt in der Fabrik und unter ihrer Disciplin ausgeführt wird. Es iſt eine Art ſpecialiſierter Arbeit, die in ſchroffem Gegenſatze zur haus- und landwirtſchaftlichen, zur gewerblichen alten Werkſtattarbeit ſteht.
Einen etwas verſchiedenen Charakter hat dieſe Arbeitszerlegung, je nachdem ſie mehr an ſpecialiſierte Werkzeuge anknüpft und ſo virtuoſe Teilarbeiter ſchafft, deren Ausbildung, in Jahren erworben, gleichſam einen wertvollen Beſitz darſtellt oder, je nachdem die Arbeitsmaſchinen geſiegt haben und damit die virtuoſen Teilarbeiter über- flüſſig, durch ungelernte und ſogenannte Futterarbeiter erſetzt wurden. Gewiß iſt mit der fortſchreitenden Maſchinenanwendung ſo ein Teil der Arbeiter techniſch herab- gedrückt worden; aber es iſt eine grobe Übertreibung, wenn Marx die Sache ſo dar- ſtellt, als ob hierdurch faſt alle Arbeiter in ungelernte verwandelt, der ganze Arbeiterſtand geſunken wäre.
Die neueſte deutſche Berufszählung hat über das Vorkommen der gelernten und ungelernten Arbeiter zum erſtenmale volles Licht verbreitet. Ich führe nach ihr und anderweiten Nachrichten folgendes an. Es iſt zuerſt zu bemerken, daß auch viele ſogenannte ungelernte Arbeiter, wie die Spinner und Weber, durch gute und lange Übung zu halbgelernten werden können. Der ausgezeichnete Maſchinenweber kann die doppelte, oft dreifache Zahl mechaniſcher Webſtühle bedienen. Sehr wichtig iſt, daß die ungelernte gewerbliche Arbeit faſt doppelt ſo ſtark bei dem weiblichen Geſchlecht vorkommt wie beim männlichen; ferner daß ſie in der Landwirtſchaft mehr als noch einmal ſo zahlreich, im Handel und Verkehr mehr als dreimal ſo häufig vertreten iſt wie im Gewerbe. Die ungelernte weibliche Arbeit liegt aber im Weſen des weiblichen Geſchlechtes an ſich mehr begründet; und die ungelernte landwirtſchaftliche Arbeit iſt abwechslungsvoll und geſund, iſt in der Unmöglichkeit der Arbeitsteilung in der Landwirtſchaft begründet; die im Handel und Verkehr beſteht vielfach aus Vertrauensperſonen, aus Kutſchern, Hausdienern ꝛc.
Außerdem beſchränkt ſich in der Induſtrie die ſtarke Zunahme der ungelernten Arbeit auf gewiſſe Induſtriegruppen, wie Spinnerei, Weberei, Wäſcherei, Färberei, Buch- binderei, Papier-, chemiſche, Zuckerfabriken, Hütten ꝛc. In dem größeren Teile der Maſchinen-, Metall-, Holz-, Möbel-, Lederinduſtrie, in den Kunſtgewerben, in den alten Handwerken überwiegt noch heute die gelernte Arbeit; in vielen Induſtrien hat bis in die neuere Zeit trotz zahlreicher Maſchinen die Specialiſierung der Operationen zugenommen, und ſtehen überall neben Futterarbeitern feine Specialarbeiter, z. B. in einer engliſchen Tuchfabrik wurden neuerdings 34 Operationen, in einer deutſchen Schuhwarenfabrik 16 unterſchieden. Ich führe zuletzt das Geſamtreſultat der deutſchen Berufszählung und einer Erhebung an, die Bücher für Baſel und das Jahr 1888 gemacht hat. Es gab unter 100 Gewerbetreibenden:
[Tabelle]
In dieſen Zahlen liegt zugleich ein Hinweis auf die vier ſocialen Gruppen, welche die moderne gewerbliche Arbeitsteilung geſchaffen hat. An der Spitze der größeren Ge- ſchäfte ſteht die leitende, kaufmänniſch und techniſch geſchulte Ariſtokratie; die betreffenden ſind meiſt zugleich die Eigentümer eines erheblichen Teiles des in den Geſchäften ſteckenden werbenden Kapitals; aber vielfach ſind es auch mittelloſe Kapazitäten, die als Direktoren von Geſellſchaften, als Aſſociés, als Prokuriſten die Geſchäfte leiten. Neben dieſer Klaſſe ſteht im Verhältnis von bezahlten Beamten heute die raſch wachſende Zahl der Commis, Techniker, Künſtler, Contremaitres, Aufſeher, die teils aus dem Handel, teils aus den liberalen Berufen, teils aus dem höheren Arbeiterſtande hervorgehen. Sie bilden zuſammen mit den kleineren Unternehmern die höhere Schicht des Mittelſtandes. An dritter und
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[352/0368]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Vieles, was man von der Arbeitsteilung überhaupt ausſagte, gilt nur von dieſer
weitgehendſten Art der gewerblichen Arbeitszerlegung, die zugleich ihren eigentümlichen
Charakter dadurch erhält, daß ſie vom Unternehmer angeordnet, meiſt in der Fabrik
und unter ihrer Disciplin ausgeführt wird. Es iſt eine Art ſpecialiſierter Arbeit, die
in ſchroffem Gegenſatze zur haus- und landwirtſchaftlichen, zur gewerblichen alten
Werkſtattarbeit ſteht.
Einen etwas verſchiedenen Charakter hat dieſe Arbeitszerlegung, je nachdem ſie
mehr an ſpecialiſierte Werkzeuge anknüpft und ſo virtuoſe Teilarbeiter ſchafft, deren
Ausbildung, in Jahren erworben, gleichſam einen wertvollen Beſitz darſtellt oder, je
nachdem die Arbeitsmaſchinen geſiegt haben und damit die virtuoſen Teilarbeiter über-
flüſſig, durch ungelernte und ſogenannte Futterarbeiter erſetzt wurden. Gewiß iſt
mit der fortſchreitenden Maſchinenanwendung ſo ein Teil der Arbeiter techniſch herab-
gedrückt worden; aber es iſt eine grobe Übertreibung, wenn Marx die Sache ſo dar-
ſtellt, als ob hierdurch faſt alle Arbeiter in ungelernte verwandelt, der ganze Arbeiterſtand
geſunken wäre.
Die neueſte deutſche Berufszählung hat über das Vorkommen der gelernten und
ungelernten Arbeiter zum erſtenmale volles Licht verbreitet. Ich führe nach ihr und
anderweiten Nachrichten folgendes an. Es iſt zuerſt zu bemerken, daß auch viele ſogenannte
ungelernte Arbeiter, wie die Spinner und Weber, durch gute und lange Übung zu
halbgelernten werden können. Der ausgezeichnete Maſchinenweber kann die doppelte, oft
dreifache Zahl mechaniſcher Webſtühle bedienen. Sehr wichtig iſt, daß die ungelernte
gewerbliche Arbeit faſt doppelt ſo ſtark bei dem weiblichen Geſchlecht vorkommt wie beim
männlichen; ferner daß ſie in der Landwirtſchaft mehr als noch einmal ſo zahlreich,
im Handel und Verkehr mehr als dreimal ſo häufig vertreten iſt wie im Gewerbe. Die
ungelernte weibliche Arbeit liegt aber im Weſen des weiblichen Geſchlechtes an ſich mehr
begründet; und die ungelernte landwirtſchaftliche Arbeit iſt abwechslungsvoll und geſund,
iſt in der Unmöglichkeit der Arbeitsteilung in der Landwirtſchaft begründet; die im Handel
und Verkehr beſteht vielfach aus Vertrauensperſonen, aus Kutſchern, Hausdienern ꝛc.
Außerdem beſchränkt ſich in der Induſtrie die ſtarke Zunahme der ungelernten
Arbeit auf gewiſſe Induſtriegruppen, wie Spinnerei, Weberei, Wäſcherei, Färberei, Buch-
binderei, Papier-, chemiſche, Zuckerfabriken, Hütten ꝛc. In dem größeren Teile der
Maſchinen-, Metall-, Holz-, Möbel-, Lederinduſtrie, in den Kunſtgewerben, in den alten
Handwerken überwiegt noch heute die gelernte Arbeit; in vielen Induſtrien hat bis in
die neuere Zeit trotz zahlreicher Maſchinen die Specialiſierung der Operationen zugenommen,
und ſtehen überall neben Futterarbeitern feine Specialarbeiter, z. B. in einer engliſchen
Tuchfabrik wurden neuerdings 34 Operationen, in einer deutſchen Schuhwarenfabrik 16
unterſchieden. Ich führe zuletzt das Geſamtreſultat der deutſchen Berufszählung und
einer Erhebung an, die Bücher für Baſel und das Jahr 1888 gemacht hat. Es gab
unter 100 Gewerbetreibenden:
In dieſen Zahlen liegt zugleich ein Hinweis auf die vier ſocialen Gruppen, welche
die moderne gewerbliche Arbeitsteilung geſchaffen hat. An der Spitze der größeren Ge-
ſchäfte ſteht die leitende, kaufmänniſch und techniſch geſchulte Ariſtokratie; die betreffenden
ſind meiſt zugleich die Eigentümer eines erheblichen Teiles des in den Geſchäften ſteckenden
werbenden Kapitals; aber vielfach ſind es auch mittelloſe Kapazitäten, die als Direktoren
von Geſellſchaften, als Aſſociés, als Prokuriſten die Geſchäfte leiten. Neben dieſer Klaſſe
ſteht im Verhältnis von bezahlten Beamten heute die raſch wachſende Zahl der Commis,
Techniker, Künſtler, Contremaitres, Aufſeher, die teils aus dem Handel, teils aus den
liberalen Berufen, teils aus dem höheren Arbeiterſtande hervorgehen. Sie bilden zuſammen
mit den kleineren Unternehmern die höhere Schicht des Mittelſtandes. An dritter und
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/368>, abgerufen am 16.07.2024.
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